I. Verständnis der Norm
Rz. 2
Für das Verständnis der Norm ist eine kurze Darstellung der Rechtsprechungsgeschichte unumgänglich. Das BAG knüpfte ursprünglich allein an die betriebsverfassungsrechtliche Terminologie des Betriebs bzw. Betriebsteils an und legte damit die herkömmliche Definition des Betriebs als eine organisatorische Einheit, in der Personen mit Hilfe persönlicher, sächlicher oder immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgen, zugrunde. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse selbst wurde als Rechtsfolge des Betriebsübergangs angesehen. Im Zuge der verstärkten europarechtlichen Auswirkungen auf das nationale Arbeitsrecht zeigten sich in den 90er-Jahren jedoch die Schwächen dieser herkömmlichen Betrachtungsweise. In modernen Dienstleistungsbetrieben wird eine betriebliche Einheit nicht mehr durch sächliche Mittel definiert, sondern vielmehr durch die Arbeitnehmer selbst, die die Dienstleistungen erbringen. In zwei Grundsatzentscheidungen aus den Jahren 1994 und 1997 hat der EuGH daher die Schwächen der traditionellen (nationalen) Definition des Betriebsbegriffs aufgezeigt. Im Vordergrund steht nunmehr nicht mehr der Begriff des Betriebs oder Betriebsteils, sondern der Begriff der wirtschaftlichen Einheit.
Rz. 3
Dieser Rspr. hat sich das BAG angeschlossen. Die Begriffsbestimmung ist dabei keinesfalls abgeschlossen. Nach wie vor erscheint eine Vielzahl von Entscheidungen aller Arbeitsgerichte, aber auch weiterhin des EuGH. In Zweifelsfällen sollte man sich daher stets Sinn und Zweck der Vorschrift vor Augen führen: Die weitgehenden Rechtsfolgen des § 613a BGB sollen den Erwerber treffen, der das wirtschaftliche Substrat aus der übergegangenen Einheit zieht.
II. Begriff der wirtschaftlichen Einheit
Rz. 4
Ausschlaggebend für die Prüfung ist damit nicht der Betriebsbegriff, sondern der vom EuGH angewandte Begriff der wirtschaftlichen Einheit. Ob diese wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt, ist nach sämtlichen, den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu prüfen. Folgende Kriterien sind von Bedeutung (7-Punkte-Katalog):
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Die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, |
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der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, |
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der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, |
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die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft auf den neuen Inhaber, |
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der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft, |
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der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit sowie |
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die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. |
Rz. 5
Jedem dieser Kriterien kann im Einzelfall unterschiedliches Gewicht zukommen. Nicht zuletzt hängt dies von der betroffenen Branche ab. Handelt es sich z.B. um einen Betrieb aus dem Produktionsgewerbe, stehen die materiellen Aktiva im Vordergrund; bei einem Dienstleistungsbetrieb kommt es hingegen mehr auf die persönlichen Betriebsmittel, insbesondere auf die Gesamtheit der Arbeitnehmer, an. Dies soll anhand der folgenden zwei Beispiele verdeutlicht werden:
Rz. 6
Beispiel 1
Die Fa. A betreibt am Standort A eine Schuhfabrik. Die Produktionsstätte zeichnet sich durch eine hohe Anzahl von Maschinen aus, die zur Herstellung der Schuhe benötigt werden. Der Konkurrent, die Fa. B am Standort B, übernimmt nun die Fa. A insgesamt mit sämtlichen Gebäuden, Maschinen und beweglichen Gütern. Auch der gesamte Kundenstamm wird übernommen.
Hierbei handelt es sich um einen klassischen Fall des Betriebsübergangs. Der Wert der Fa. wird durch die materiellen Aktiva bestimmt. Diese werden von einem Betriebserwerber übernommen. Es handelt sich um einen Betriebsübergang mit der Folge, dass der Betriebserwerber B verpflichtet ist, sämtliche Arbeitnehmer der Fa. A zu übernehmen.
Rz. 7
Beispiel 2
Eine Reinigungskraft ist zur Reinigung ausschließlich in einem bestimmten Unternehmen eingesetzt. Der Reinigungsauftrag wird gekündigt. Nunmehr vergibt das Unternehmen einen neuen Reinigungsauftrag und die neue Fa. stellt über 85 % der bislang tätigen Reinigungskräfte einschließlich der Vorarbeiterin ein. Unsere Reinigungskraft wurde bei dieser Neueinstellung jedoch nicht berücksichtigt, bekam aber auch keine Kündigung ihres bisherigen Arbeitgebers.
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