a) Werkvertrag mit Schutzwirkung für Dritte
Rz. 34
Ein Gutachtenvertrag zwischen einem beruflichen Sachkenner – etwa einem Rechtsberater – und seinem Auftraggeber ist regelmäßig ein Werkvertrag (§§ 631, 675 Abs. 1 BGB). Aus einem solchen Vertrag kann der Sachkundige – auch ein Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer oder eine Gesellschaft dieser Berufskreise – wegen eines fehlerhaften Gutachtens einem in den Schutzbereich des Gutachtenvertrages einbezogenen Dritten haften, der aufgrund des Gutachtens sowie im Vertrauen auf dessen Richtigkeit und Vollständigkeit eine nachteilige Vermögensverfügung vorgenommen hat (vgl. Rdn 27 ff.).
Rz. 35
Eine gesetzliche Gutachterhaftung ergibt sich aus der seit dem 1.8.2002 geltenden Vorschrift des § 839a BGB. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger, der vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht (vgl. § 8 Rdn 13).
b) Einbeziehung eines Dritten in den vertraglichen Schutzbereich
Rz. 36
Ein Wille der Partner eines Gutachtenvertrages, einen Dritten – i.d.R. einen Kreditgeber, Käufer oder Kapitalanleger – in den vertraglichen Schutzbereich aufzunehmen, ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn eine Person, die über besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt, auftragsgemäß ein Gutachten erstattet, dass erkennbar zum Gebrauch ggü. Dritten bestimmt ist und deswegen i.d.R. nach dem Willen des Auftraggebers ("Bestellers") mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein soll. Dabei ist entscheidend, dass der Gutachter nach dem Inhalt des Auftrags damit rechnen musste, sein Gutachten werde ggü. Dritten verwendet und von diesen – im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens – zur Grundlage einer Vermögensverfügung gemacht. Ist das der Fall, umfasst der Gutachtenvertrag auch den Schutz dieser Dritten; ein entgegenstehender Wille der Vertragspartner, der auf eine Täuschung des Dritten zielt, ist treuwidrig und daher unbeachtlich. Entsprechend dem Zweck des Gutachtens, ggü. dem Dritten Vertrauen zu erwecken und Beweiskraft zu vermitteln, hindert eine Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers und des Dritten nicht dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Gutachtenvertrages (vgl. aber Rdn 70).
Rz. 37
Die Prüfung, ob im Einzelfall ein bestimmter Dritter von den Partnern eines Gutachtenvertrages in dessen Schutzbereich aufgenommen wurde, ist im Wege der Auslegung – auch einer ergänzenden Auslegung – vorzunehmen und im Rechtstreit Aufgabe des Tatrichters. Wesentlicher Auslegungsstoff sind Mitteilungen des Gutachters zu Inhalt und Umständen der Auftragserteilung sowie der Inhalt des Gutachtens, insb. Angaben zu dessen Zweck.
Rz. 38
Die Rechtsprechung betont zwar das Anliegen, dass der Kreis derjenigen Dritten, die von den Schutzpflichten eines Gutachtenvertrages erfasst werden, "nicht uferlos ausgeweitet werden darf". Das hat den BGH aber nicht gehindert, in den Schutzbereich eines fremden Gutachtenvertrages "auch eine namentlich nicht bekannte Vielzahl" anderer Personen einzubeziehen.
Zum Kreis der geschützten Dritten gehören diejenigen Personen, in deren Interesse die Vertragsleistung des Schuldners – etwa eines Gutachters – nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Vertragspartner zumindest auch erbracht werden soll. Der Schuldner soll für Schäden Dritter dann nicht einstehen müssen, wenn ihm nach Treu und Glauben sowie mit Rücksicht auf den Vertragszweck nicht zugemutet werden kann, sich ohne zusätzliche Vergütung auf das Risiko einer erweiterten Haftung einzulassen.
Eine entsprechende – unzulässige – Ausweitung des Haftungsrisikos verneint der BGH, wenn das Gutachten – für den Gutachter erkennbar – vereinbarungsgemäß Finanzierungszwecken dient; dann können auch mehrere Kreditgeber, bei komplexen Finanzierungen auch eine namentlich nicht bekannte Vielzahl privater Kreditgeber in den Schutzbereich eines Gutachtenvertrages einbezogen sein. Dementsprechend hat der BGH auch einem Kreditinstitut, das dem Kreditgeber für ein Teildarlehen gebürgt hat, die Schutzwirkung eines Gutachtenvertrages zugebilligt. Für die Aufnahme eines Dritten in den Schutzbereich eines Gutachtenvertrages kommt es nicht darauf an, ob die Vertragspartner diejenigen Personen kennen, die von dem Gutachten betroffen werden können; es genügt, dass dieses erkennbar für Dritte bestimmt ist, wobei allerdings die vertragliche Schutzpflicht auf eine überschaubare, klar abgrenzbare Personengruppe beschränkt ist. Der Gutachter haftet nicht, wenn der Auftraggeber das Gutachten in einer Weise verwendet, mi...