Frank-Michael Goebel, Regine Förger
Rz. 630
Stehen der beweisbelasteten Partei keine Beweismittel zur Verfügung, um die entscheidungserheblichen und bestrittenen Tatsachen nachzuweisen, kann nach § 445 ZPO der Antrag gestellt werden, den Beweisgegner zu vernehmen.
Rz. 631
Voraussetzung ist, dass der erforderliche Beweis von der beweisbelasteten Partei mit anderen Beweismitteln nicht oder nicht vollständig geführt werden konnte. Auch darf das Gericht nach § 445 Abs. 2 ZPO noch nicht vom Gegenteil der zu beweisenden Tatsache überzeugt sein.
Rz. 632
Bevor ein solcher Antrag gestellt wird, sind verschiedene Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen:
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Mit dem Antrag auf Vernehmung des Gegners als Partei werden dessen Darlegungen in den Rang eines Beweismittels erhoben, sodass die Gefahr besteht, nicht nur den eigenen Vortrag nicht nachweisen zu können, sondern sogar den Beweis für die gegnerischen Darlegungen zu erbringen. |
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Je nach der Persönlichkeit des Prozessgegners kann allerdings die Möglichkeit bestehen, dass dieser unter dem Eindruck der unmittelbaren gerichtlichen Vernehmung, d.h. soweit er nicht durch die Übermittlung von Prozessinhalten und die Beratung seines Bevollmächtigten geschützt ist, und vor dem Hintergrund einer möglichen Vereidigung seinen Vortrag "modifiziert" oder gar gänzlich ändert. |
Rz. 633
Tipp
Diese Möglichkeit ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn sich dem Vortrag des Gegners entnehmen lässt, dass dieser bereits sehr juristisch geprägt ist.
Rz. 634
Die Parteivernehmung des Beweisgegners nach § 445 Abs. 1 ZPO kommt auch dann in Betracht, wenn der Beweisführer den ihm obliegenden Beweis mit anderen Beweismitteln nicht vollständig geführt hat, d.h. zwar aus Sicht des erkennenden Prozessgerichts eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der beweispflichtigen Tatsache spricht, aber diese Wahrscheinlichkeit nicht ausreicht, den Beweis tatsächlich zu führen.
Rz. 635
Die Parteivernehmung kommt insoweit mithin nur als "Ultima ratio" am Ende der sonst erschöpften Beweisaufnahme in Betracht.
Rz. 636
Wird die Parteivernehmung des Gegners durch das Gericht angeordnet und trägt der Beweisführer im Anschluss daran noch andere Beweismittel vor, so ist die Parteivernehmung zunächst nach § 450 Abs. 2 ZPO zurückzustellen, bis die anderen Beweise erhoben sind.
Rz. 637
Ist nach Erhebung der anderweitigen Beweise die Beweisfrage zur Überzeugung des erkennenden Gerichts geklärt, ist auf die Parteivernehmung gänzlich zu verzichten.
Rz. 638
Der Beweisgegner, dessen Vernehmung angeordnet worden ist, ist grundsätzlich zur Aussage nicht verpflichtet. § 446 ZPO erlaubt es dem Gericht jedoch, aus der Aussageverweigerung des Beweisgegners Schlüsse zu ziehen, d.h. dessen Verhalten in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. Auch wenn der Prozessgegner zur Vernehmung ohne hinreichende Entschuldigung nicht erscheint, kann die zu beweisende Tatsache als bewiesen angesehen werden.
Rz. 639
Für den Beweisgegner ist es dabei wesentlich, seine Gründe für die Aussageverweigerung im Einzelnen darzulegen. Auch diese Gründe sind bei der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts zu berücksichtigen.
Rz. 640
Als Gründe für die Verweigerung kommen insbesondere in Betracht:
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die Offenlegung ehrenrühriger Vorgänge, |
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die Offenlegung strafbarer Vorgänge, |
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die Mitteilung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, |
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die Gefahr außerprozessualer Nachteile. |
Rz. 641
Tipp
Die Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Gegners kann dadurch vorbereitet und begleitet werden, dass zu dem behaupteten Geschehen, d.h. der beweisbedürftigen Tatsache, möglichst viele unstreitige oder durch andere Beweismittel nachzuweisende Hilfstatsachen vorgetragen werden, die den Spielraum des Beweisgegners, nicht die Wahrheit zu sagen, weiter einengen oder das Gericht die (Un-)Glaubwürdigkeit des Gegners besser einschätzen lassen.