Rz. 246
Ob der Verkäufer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, beurteilt sich nach einem objektiv-abstrakten und typisierenden Sorgfaltsmaßstab. Damit ist die Sorgfalt gemeint, die nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zur Zeit des zu beurteilenden Verhaltens zu beachten ist. Somit ist der Sorgfaltsmaßstab für den Händler deutlich höher anzusetzen als für den Verbraucher als privaten Verkäufer. Das hat sich schon vor der Schuldrechtsreform (1.1.2001) darin ausgedrückt, dass vom Privatmann vor dem Verkauf keine Untersuchung des Fahrzeugs erwartet wird, wohl aber vom Gebrauchtwagenhändler.
aa) Untersuchungs- und Aufklärungspflicht des Händlers
Rz. 247
Für den Gebrauchtwagenhändler besteht zwar keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen. Es wird aber eine allgemeine Untersuchungspflicht im Sinne einer Sicht- und Funktionsprüfung bejaht.
Da der Kunde in aller Regel die Sachkunde des Gebrauchtwagenhändlers durch einen höheren Kaufpreis als beim Privatkauf üblich mit vergütet, kann der Käufer normalerweise darauf vertrauen, dass der Kfz-Händler, der ja grundsätzlich eine fehlerfreie Ware schuldet, diese Angaben zumindest in einem gewissen Rahmen überprüft, falls hierauf nicht ausdrücklich oder stillschweigend vom Käufer verzichtet wurde, oder der Händler nicht deutlich zu erkennen gibt, dass er die Fahrzeuge nicht untersucht.
Rz. 248
Wer zumutbare und in den Verkehrskreisen übliche Vorkehrungen unterlässt, den Verkauf mängelbehafteter Ware zu vermeiden, handelt vorwerfbar pflichtwidrig. Üblich und zumutbar – und zwar in der Regel schon beim Ankauf – sind im gewerbsmäßigen Autohandel eine Sichtprüfung von außen und innen sowie eine Funktionsprüfung. Es kann von einem "Rollenvertrauen" gesprochen werden, welches sich schon aus dem Auftreten im Rechtsverkehr als fachkundiger Händler ergibt und schon allein die Erwartung rechtfertigt, dass im professionellen Handel angebotene Fahrzeuge fachmännisch untersucht werden. Wird nicht untersucht, hat der Händler eine entsprechende Aufklärungspflicht, anderenfalls darf der Käufer davon ausgehen, dass der Pkw ohne Ergebnis auf Unfallschäden untersucht wurde. Hiervon werden im Einzelfall auch Ausnahmen gemacht, wenn für den Käufer aus den Umständen offensichtlich war, dass der Verkäufer das Fahrzeug nicht untersucht hat (z.B. bei sofortigem Weiterverkauf). Das soll auch für den privaten Verkauf gelten, wenn der Verkäufer bei dem Käufer den Eindruck erweckt, dass er einen gewerblichen Gebrauchtwagenhandel betreibe und dass er jedenfalls über die überlegene Sachkunde eines Gebrauchtwagenhändlers und Kfz-Fachmannes verfüge.
Rz. 249
Der Umfang der Untersuchungspflicht bestimmt sich nach dem technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren. Verfügt der Händler nicht über eine eigene Werkstatt, genügt eine Überprüfung auf leicht erkennbare Mängel; Händler mit Werkstatt müssen genauer untersuchen.
Rz. 250
Die Sichtprüfung hat durch einen Techniker zu erfolgen und umfasst Karosserie (innen und außen) einschließlich Radhaus und Federbeinwänden, Reifen, Felgen und auch die Fahrzeugunterseite nebst Bremsleitungen, auch wenn eine Hebebühne nicht vorhanden ist. Zu kontrollieren ist neben der Zulässigkeit von Reifen und Felgen sowie der Fahrzeugidentitätsnummer insbesondere auf Durchrostungen und Unfallindikationen wie Nachlackierungen, unterschiedliche Türspalten und Blechunebenheiten.
Rz. 251
Ohne konkreten Unfall- oder Mängelverdacht besteht keine Pflicht zur Achsvermessung, zum Einsatz von Rostsuchgeräten, der Demontage der Bremsanlage einer Lackschichtmessung oder einer umfassenden Motoruntersuchung. Auch eine Überprüfung der tatsächlichen Laufleistung wird – trotz häufiger Tachomanipulationen – nicht geschuldet, soweit sich nicht Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit aufdrängen. Für zweifelhaft hält es der BGH, ob ein Händler das Alter von Hochgeschwindigkeitsreifen überprüfen muss, wenn er diese kurz zuvor als neu und äußerlich einwandfrei erworben hat. Er bejaht die Untersuchungspflicht aber jedenfalls dann, wenn das Profil schon längere Zeit nicht mehr hergestellt wird, so dass sich Zweifel über das tatsächliche Alter des Reifens hätten aufdrängen müssen. Ist ein Gebrauchtfahrzeug teilweise nachlackiert, muss der Händler den Kunden auf den sich hieraus ergebenden Unfallverdacht hinweisen. Andernfalls kann nicht nur fahrlässiges, sondern sogar arglistiges Verhalten i.S.d. § 123 BGB in Betracht kommen.
Rz. 252
Für den Motor genügen eine Sichtprüfung sowie eine Funktionsprüfung auf Laufgeräusche, der Kompressionsdruck braucht nicht geprüft zu werden. Insbesondere bei einem Händler ohne Werkstatt ist eine Motorinspektion nicht zu erwarten. Aber auch vom Händler mit Wer...