Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
I. Gehörsrüge und Gegenvorstellung
Rz. 13
Wenn das rechtliche Gehör entscheidungserheblich verletzt wurde und ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, kann Gehörsrüge gemäß § 312a Abs. 1 und 2 S. 1 ZPO erhoben werden, und zwar innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen. Weil mithin eine kürzere Frist als die der Berufung oder der Revision gegeben ist, sollte bei Zweifeln, ob ein Rechtsmittel/anderer Rechtsbehelf gegeben ist, vorsorglich die kurze Zwei-Wochenfrist notiert werden.
Laut BGH gilt aber ein Subsidiaritätsgrundsatz: Verstöße sind rechtzeitig zu rügen, damit das Gericht eine Heilung herbeiführen kann. Dieser Grundsatz verlangt, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Eine Partei kann daher z.B. das verfahrensfehlerhafte Übergehen eines Beweisantritts nicht mehr erfolgreich mit der Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde rügen, wenn sie es in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nach der Beweisaufnahme unterlassen hat, auf einen noch nicht erledigten Beweisantrag hinzuweisen. Wird der Subsidiaritätsgrundsatz nicht beachtet, sperrt dies spätere Rechtsmittel/-behelfe. Daran ändert auch die Verankerung des Gehörsprinzips in Art. 103 Abs. 1 GG nichts. Für die Anwaltspraxis stellt dies eine Herausforderung dar, weil auch vertieft zu einem fehlerhaften prozessrechtlichen Vorgehen des Gerichts auszuführen ist, um das Rügerecht nicht zu verlieren.
Rz. 14
Die Rechtsprechung des BGH und des BVerfG zur Verletzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG ist umfangreich. Maßgebend ist, dass das Gebot rechtlichen Gehörs das Gericht u.a. dazu verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.
Hat das Gericht eine von der Partei aufgestellte beweisbewehrte Behauptung, bei der es sich um ein zentrales Argument seiner Rechtsverteidigung handelt, zwar im Rahmen der tatbestandlichen Feststellungen seines Urteils wiedergegeben, lässt sich den Urteilsgründen aber nicht entnehmen, ob das Gericht den Vortrag der Partei für unerheblich oder widerlegt erachtet hat, fehlt es an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Parteivortrag. Auch dann liegt ein entscheidungserheblicher Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor.
Rz. 15
Ein zu rügender Verstoß ist ferner gegeben, wenn das Gericht einer Partei die Ausführungen in einem nachgelassenen Schriftsatz (z.B. zur Beweiswürdigung nach Beweisaufnahme) übergeht, denn das Gericht bringt mit dem Schriftsatznachlass zum Ausdruck, dass es eine Stellungnahme im Termin nicht erwartet und fristgemäß erfolgten Vortrag zum Beweisergebnis berücksichtigen wird. Hieran ist es dann gebunden.
Wenn sich eine Partei die Begründung ihres Rechtsschutzbegehrens vorbehalten hat, muss das Gericht eine Frist setzen oder angemessene Zeit warten, wobei das Abwarten eines Monats angemessen sein kann. Wenn eine Partei eine Erklärung innerhalb eines von ihr bestimmten Zeitraums angekündigt hat, darf das Gericht nach fruchtlosem Ablauf des in Aussicht gestellten Zeitpunkts eine Entscheidung treffen, ohne weiter nachzufragen, wenn der Zeitraum objektiv angemessen war und Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Partei aus nicht von ihr zu vertretenden Umständen nicht weiter vortragen konnte. Daraus folgt, dass selbst angekündigte Fristen ebenfalls im Fristenkalender zu notieren sind.
Rz. 16
Das rechtliche Gehör kann auch hinsichtlich des Ergebnisses einer Beweisaufnahme verletzt sein. Klärt das Gericht z.B. entscheidungserhebliche Widersprüche zwischen den Schlussfolgerungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und denjenigen eines Privatgutachters nicht hinreichend auf, sondern folgt es – ohne logische und nachvollziehbare Begründung – den Ausführungen eines von ihnen, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts, § 286 ZPO. Damit ist das rechtliche Gehör derjenigen Partei verletzt, die sich das ihr günstige Beweisergebnis zu eigen gemacht hat.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet ein Gericht, die Parteien vorher darauf hinzuweisen, dass es im schriftlichen Verfahren gemäß § 495a ZPO entscheiden wird sowie den Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu welchem die Parteien zur Sache vortragen können.
Rz. 17
Die formlose Gegenvorstellung hat keinen Devolutiveffekt und ist gegen Urteile unstatthaft. Sie ist kein Teil des Rechtswegs i.S.d. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, da sie kein gesetzlich ger...