Rz. 443
Soweit der Versicherungsnehmer die vorvertragliche Anzeigepflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat, steht dem Versicherer nur noch ein Recht zur Kündigung des Vertrags unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu (§ 19 Abs. 3 S. 2 VVG). Rechtsfolge einer wirksam erklärten Kündigung ist die Beendigung der Versicherung mit Ablauf der Kündigungsfrist für die Zukunft. Dabei liegt die Beweislast für das Nichtvorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beim Versicherungsnehmer. Der Versicherer muss das Kündigungsrecht innerhalb eines Monats geltend machen, nachdem er von der Verletzung der Anzeigepflicht, die sein Kündigungsrecht begründet, Kenntnis erlangt hat (§ 21 Abs. 1 S. 1 VVG). Gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 VVG hat der Versicherer die Kündigung des Vertrags wegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zu begründen. Es gilt diesbezüglich das zur Begründung des Rücktrittsrechts wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht Gesagte entsprechend.
Rz. 444
Ein Kündigungsrecht des Versicherers besteht dann nicht, wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, abgeschlossen hätte (§ 19 Abs. 4 S. 1 VVG).
Rz. 445
Fraglich ist, ob ein Rücktritt in eine Kündigung umgedeutet werden kann, wenn der Versicherer zunächst einen Rücktritt ausgesprochen hat, später jedoch das Vorliegen einer für den Rücktritt notwendigen groben Fahrlässigkeit verneint wird. In der Praxis dürfte diese Frage immer dann von Bedeutung sein, wenn in dem Zeitpunkt, in dem das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers verneint wird, bereits die Monatsfrist für die Kündigungserklärung gem. § 21 Abs. 1 S. 1 VVG abgelaufen ist. Eine solche Umdeutung eines unwirksamen Rücktritts nach § 19 Abs. 2 VVG in eine wirksame Kündigung nach § 19 Abs. 3 VVG ist nach h.M. möglich.
Rz. 446
Fraglich ist darüber hinaus, ob zusammen mit dem Rücktritt hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrags wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht erklärt werden kann. Dies hätte für den Versicherer den Vorteil, dass er – bei Erklärung des Rücktritts innerhalb eines Monats ab Kenntniserlangung von den das Rücktrittsrecht begründenden Umständen – die Kündigungserklärung ebenfalls fristgerecht i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 VVG erklärt hätte. Obwohl Gestaltungsrechte grundsätzlich bedingungsfeindlich sind, vertritt die h.M., dass die hilfsweise Erklärung der Kündigung wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zusammen mit der Erklärung des Rücktritts möglich sein soll.