Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 192
Die Notwendigkeit einer angemessenen Einarbeitungszeit für den Vergleichsberuf ist vom Versicherungsnehmer zu akzeptieren. Wollte man die Verweisungsklausel nur auf solche Tätigkeiten beziehen, die die versicherte Person ohne jegliche Ergänzung und Erweiterung ihrer beruflichen Fähigkeiten in vollem Umfang sachgerecht und anforderungsgemäß ausüben kann, wäre sie praktisch gegenstandslos. Eine Einarbeitung im neuen Tätigkeitsbereich, die zeitlich und inhaltlich über eine übliche Einarbeitung bei Antritt einer neuen Stelle hinausgeht, ist unzumutbar. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass auch eine völlig neue Tätigkeit innerhalb einer angemessenen Einarbeitungszeit sachgerecht und anforderungsgemäß ausgeübt werden kann; in diesem Fall kann auf diese grundsätzlich verwiesen werden. Zum Teil wird die Grenze der Zumutbarkeit im Einklang mit der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bei einem Zeitraum von drei Monaten gezogen. Eine Einarbeitungszeit von über sechs oder gar neun Monaten erscheint jedenfalls zu lang.
Rz. 193
Sofern dies nicht vertraglich vereinbart wurde, ist der Versicherte nur zur angemessenen Einarbeitung gehalten, jedoch nicht zu Umschulungen oder Fortbildungen verpflichtet. In der älteren Rechtsprechung wurde die Zumutbarkeit einer Umschulung teilweise noch bejaht, sofern diese den Charakter einer Fortbildung habe, innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes abgeschlossen werden könne und sich das Ausbildungsziel dem Schwierigkeitsgrad nach noch im Rahmen dessen halte, was der Versicherte gemäß der bisherigen Ausbildung und Berufserfahrung voraussichtlich bewältigen kann.
Rz. 194
Als Einarbeitung sind auch die Reaktivierung und der Ausbau vorhandener Qualifikationen zu verstehen. Gerade bei wechselhaften Erwerbsbiografien ist häufig ein Anknüpfen an in der Vergangenheit erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse zumutbar, auch wenn eine mehrmonatige Einarbeitungszeit benötigt wird. Die Abgrenzung erfolgt danach, ob es um qualitativ neue Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne einer Fort- bzw. Ausbildung handelt oder um eine Einarbeitung, die lediglich der Anpassung an gewandelte Arbeitsbedingungen dient.
In diesem Sinne kann das Erlernen der Benutzung eines PC als Arbeitsgerät sowohl eine bloße Einarbeitung, als auch eine echte Fortbildung sein, je nachdem, ob der Betroffene zuvor schon Arbeiten verrichtet hat, die aufgrund des technischen Fortschritts nunmehr mit dem PC als Hilfsmittel erledigt werden, oder ob noch keinerlei Berührung mit den in Rede stehenden Tätigkeiten stattgefunden hat. Allerdings wird sich ein Versicherter auch privat erlangte PC-Kenntnisse grundsätzlich zurechnen lassen müssen. Häufig wird davon auszugehen sein, dass die Erforderlichkeit der Benutzung eines PCs eine Verweisung nicht ausschließt. Der PC stellt grundsätzlich eine Fortentwicklung einer bereits in der Schreibmaschine angelegten Kulturtechnik dar, die mit einer erheblich höheren Nutzerfreundlichkeit und Arbeitseffektivität verbunden ist. Müssen neben der Beherrschung der Tastatur nur einige wenige weitere Vorgänge wie das Abspeichern, das Blättern zwischen verschiedenen Formularen, das Springen zwischen verschiedenen Eingabefeldern etc. erlernt werden, soll jedenfalls noch eine Einarbeitung vorliegen. Auf Grund der vorhandenen erheblichen Erleichterungen für Nutzer ohne vertiefte EDV-Kenntnisse (Maus, Menüsteuerung, anklickbare Symbole usw.) sind diese Fähigkeiten grundsätzlich innerhalb kürzester Zeit erlernbar. Nur wenn das Erlernen vertiefter Kenntnisse, etwa einer Programmiersprache, erforderlich ist, soll eine echte Fortbildung vorliegen.
Rz. 195
Eine noch nicht abgeschlossene Ausbildung oder Umschulung für eine neuen Beruf hat bei der Verweisung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, solange die dadurch vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten wegen des Fortschreitens dieser Ausbildung oder Umschulung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nicht bereits konsolidiert waren.
Rz. 196
Mangels Vereinbarung haben durch Umschulung nach dem Versicherungsfall erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Frage, ob der Versicherte auf eine Vergleichstätigkeit verwiesen werden kann, außer Betracht zu bleiben. Anders verhält sich die Sachlage daher, wenn der Versicherungsvertrag oder die Bedingungen ausdrücklich neu erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten als berücksichtigungsfähig bezeichnen.
Beispiel
Erlernt die Versicherte den Beruf einer Köchin, wird dann in diesem Beruf berufsunfähig, schult hiernach zur Hotelbetriebswirtin um und übt diesen Beruf eine Zeit lang aus, so ist dies irrelevant, sofern nach dem Versicherungsvertrag keine Berücksichtigung neuer durch Umschulung erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten zu erfolgen hat. Die durch Umschulung erworbenen Kenntnisse bleiben also in diesem Fall für die Zumutbarkeit der Verweisung außer Betracht.
Rz. 197
Ob sich der Versicherungsnehmer wegen einer nach Eintritt des Versicherungsfalls freiwillig ...