Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
I. Begriff des Arbeitnehmers
Rz. 78
Für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs verweist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (RL 2019/1152) auf das Recht der Mitgliedstaaten. Zur Begriffsbestimmung ist daher auf § 611a BGB abzustellen. § 611a BGB definiert den Arbeitnehmer als denjenigen, der aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das BAG definiert als weiteres wesentliches Merkmal des Arbeitnehmerbegriffs, dass der Dienstverpflichtete aufgrund eines durch privatrechtlichen Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses einen Anspruch auf Zahlung von Entgelt erwirbt (vgl. BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, NJW 2020, 3802; siehe zum Arbeitnehmerbegriff in Abgrenzung zum freien Mitarbeiter auch unten Rdn 768 ff. und zur arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit Rdn 853).
1. Arbeit aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags
Rz. 79
Grundvoraussetzung eines Arbeitsverhältnisses ist damit die Begründung des Arbeitsverhältnisses durch einen privatrechtlichen Vertrag (§§ 611 ff. BGB). Dabei ist die volle privatrechtliche Wirksamkeit des Arbeitsvertrages nicht erforderlich. Auch wer aufgrund eines anfechtbaren oder nichtigen Arbeitsvertrages beschäftigt wird, ist bis zur Geltendmachung der Nichtigkeit bzw. bis zur wirksamen Anfechtung des Arbeitsvertrages als Arbeitnehmer anzusehen. Unerheblich ist, ob die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Pflicht zur Arbeitsleistung die gesamte Arbeitszeit des Arbeitnehmers in Anspruch nimmt. Ein Arbeitsverhältnis und damit eine Arbeitnehmereigenschaft liegt damit insb. auch bei TzA (ErfK, § 2 TzBfG Rn 3) und bei nur geringfügiger Beschäftigung vor.
Rz. 80
In Ermangelung eines privatrechtlichen Vertrags sind daher insb. Beamte, Richter, Strafgefangene, in Heil- und Pflegeanstalten Untergebrachte, Wehrdienstleistende und Bundesfreiwilligendienstleistende keine Arbeitnehmer. Hier wird die Tätigkeit aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses erbracht.
2. Leistung von Arbeit
Rz. 81
Leistung von Arbeit bedeutet jedes Verhalten, das zur Befriedigung eines Bedürfnisses eines anderen dient und im Wirtschaftsleben als Arbeit qualifiziert wird, unabhängig davon, ob es sich um geistige oder körperliche Betätigung handelt (vgl. Schaub, ArbRHB, § 8 Rn 9). Es kommt nicht darauf an, wie die Arbeit vergütet wird. Im Zweifel ist insoweit auf § 612 BGB zurückzugreifen.
3. Arbeit im Dienste eines anderen
Rz. 82
Der Arbeitnehmerbegriff erfordert weiterhin, dass die Arbeit im Dienst eines Anderen geleistet wird. Das BAG stellt hier wesentlich darauf ab, ob die Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbracht wird (BAG v. 9.10.2002 – 5 AZR 405/01, NJOZ 2003, 1578; BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, NJW 2020, 3802). Insoweit greift das BAG auf die in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB enthaltenen Abgrenzungsmerkmale zwischen dem selbstständigen Handelsvertreter und dem abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten zurück. Soweit hier geregelt ist, dass derjenige selbstständig ist, der im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, sieht das BAG hierin einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch i.Ü. zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft heranzuziehen und auch in § 611a BGB als Kriterium bestimmt ist. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insb. darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, wobei dieses Weisungsrecht Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen kann (BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, DB 2008, 1575, 1576). Bei der Frage, in welchem Maß der Mitarbeiter persönlich abhängig ist, ist vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen. Denn abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien lassen sich nicht aufstellen. So gibt es eine Reihe von Tätigkeiten, die sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses (freien Mitarbeiterverhältnisses) erbracht werden können. Auch kann die Weisungsgebundenheit je nach Art der Tätigkeit unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, dass dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbstständigkeit verbleibt. Für die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation können daher neben der Weisungsgebundenheit auch weitere Kriterien herangezogen werden. Für die Arbeitnehmerstellung spricht etwa, wenn der Dienstverpflichtete grds. seine ganze Arbeitskraft dem Dienstberechtigten schuldet. Demgegenüber ist für den Selbstständigen typisch, dass er nicht nur für einen Kunden, Mandanten, Patienten usw. arbeitet, sondern für mehrere. Für die Klärung der Arbeitnehmereigenschaft bedarf es daher einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles.
Rz. 83
Das klassische Abgrenzungskriterium der Weisungsgebundenheit verbunden mit im Einzelfall schwierigen Wertungsfragen erweist sich insb. bei der...