Rz. 46
Sonderregelungen waren wegen der mit der VVG-Reform verbundenen, strukturellen Änderungen und deren Auswirkungen auch auf Altverträge notwendig. Art. 1 Abs. 3 EGVVG räumte daher den Versicherern bei Altverträgen, die von den Vorschriften des neuen VVG abweichen, insoweit befristet ein Bedingungsanpassungsrecht zum 1.1.2009 ein.
Der Umfang und die Grenzen dieses Anpassungsrechtes sind streitig und bislang nicht geklärt. Vom Wortlaut her werden alle Abweichungen umfasst.
Nach hier vertretener Auffassung konnte sich die Anpassungsoption nur auf die Abweichungen von zwingenden Vorschriften des VVG 2009 beziehen. Die befristete Anpassungsoption sollte dem Versicherer nur die Anpassung der AVB an das reformierte Recht ermöglichen, das sich für die Krankenversicherung nunmehr insbesondere aus den gemäß § 208 S. 1 VVG für nicht disponibel erklärten §§ 194–199 VVG und §§ 201–207 VVG in Verbindung mit den gemäß § 32 VVG für nicht disponibel erklärten §§ 19–28 Abs. 4 VVG und § 31 Abs. 1 S. 2 VVG – soweit anwendbar – ergibt.
Rz. 47
Vielfach wurde allerdings vom eingeräumten Bedingungsanpassungsrecht kein Gebrauch gemacht, weil der Aufwand gescheut wurde und offenbar auch die Auffassung vorherrschte, die unwirksame Rechtsfolgenbestimmung bei vertraglichen Obliegenheiten werde als Lücke angesehen und dann § 28 VVG entsprechend herangezogen: Ein Irrtum mit weitreichenden Folgen: Vertragliche Obliegenheiten in nicht angepassten Altverträgen laufen leer, wenn keine wirksame Rechtsfolgenregelung nach VVG 2009 vorliegt.
Rz. 48
In seiner Entscheidung vom 12.10.2011 hat der BGH umfassend zu den Fragen und insbesondere Rechtsfolgen eines versäumten Bedingungsanpassungsrechtes Stellung bezogen: Der BGH stellte zunächst klar, dass er an seiner Rechtsprechung zu § 6 Abs. 1 S. 1 VVG a.F., wonach der Versicherungsvertrag eine Vereinbarung über die Sanktion einer vertraglichen Obliegenheitsverletzung enthalten muss, auch für das neue Recht festhält. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG kann nicht gem. § 306 Abs. 2 BGB zur Lückenfüllung herangezogen werden, da es sich bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG um eine gesetzliche Sonderregelung handelt, die die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB verdrängt. Insbesondere enthält § 28 Abs. 2 S. 2 VVG kein gesetzliches Kürzungsrecht.
Mithin kann sich der Versicherer bei versäumter und auch nicht nachweisbarer Bedingungsanpassung nicht auf Leistungsfreiheit wegen vertraglicher Obliegenheitsverletzung stützen, da die ursprüngliche Sanktionsregelung in Form der dort zu beurteilenden alten AVB unwirksam ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.12.2008 eingetreten ist und damit das neue VVG 2009 Anwendung findet.
Die nicht angepasste AVB weicht von dem mit der VVG-Reform eingeführten Sanktionssystem entgegen § 32 Abs. 1 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers ab und ist daher unwirksam gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Die früher vorgesehene Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des Versicherers ist bei lediglich grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung mit wesentlichen Grundgedanken des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG nicht mehr zu vereinbaren.
Rz. 49
Diese Grundsatzentscheidung des BGH (a.a.O.) ist auf Bestimmungen anderer AVB zu Obliegenheitsverletzungen und ihren Rechtsfolgen zu übertragen, die entsprechend dem nach altem VVG geltenden Alles-oder-Nichts-Prinzip eine vollständige Leistungsfreiheit im Falle vorsätzlichen und grob fahrlässigen Verstoßes gegen vertragliche Obliegenheiten vorsah.
Rz. 50
Wurde das befristet mögliche Bedingungsanpassungsrecht durch den Versicherer nicht rechtzeitig ausgeübt, laufen vertragliche Obliegenheitsverletzungen in Altverträgen leer und sind jedenfalls sanktionslos.
Die rechtzeitige Durchführung des Bedingungsanpassungsrechtes, insbesondere der Zugang der hierfür erforderlichen Mitteilungen an den Versicherungsnehmer in Textform mit der in Art. 1 Abs. 3 EGVVG vorgesehenen Kenntlichmachung der Unterschiede bis zum 30.11.2008, ist vom Versicherer zu beweisen, der sich auf die Ausübung des Bedingungsanpassungsrechtes berufen will.
Kann vom Versicherer der Zugangsbeweis nicht geführt werden, kommt für ihn nur noch ein Rückgriff auf die gesetzliche Auskunftspflicht gem. § 31 VVG in Betracht. Deren Verletzung kann gegebenenfalls gem. § 14 VVG mangelnde Fälligkeit des Aufwendungsersatzanspruches zur Folge haben.