Antje Dudenbostel, Saskia M. Schmid
Rz. 260
Bei der Zusammenfassung ohne Eingliederung tritt demgegenüber ein vollständiger Verlust der Identität im engeren Sinne in Bezug auf alle beteiligten Einheiten ein. Der durch die Zusammenfassung ohne Eingliederung entstandene Betrieb ist ein "anderer" als die Betriebe/Betriebsteile, aus denen er entstanden ist.
Rz. 261
Aufgrund dessen geht die "strenge Identitätslehre" wiederum davon aus, dass sämtliche Betriebsvereinbarungen ihre Wirkung verlieren.
Rz. 262
Da auch diesbezüglich ein Wertungswiderspruch in Bezug auf das Schutzniveau zwischen unternehmensinternen Zusammenfassungen ohne Eingliederung und solchen mit Betriebsinhaberwechsel bestünde, gehen diese Autoren auch bezüglich der Zusammenfassung ohne Eingliederung mehrheitlich von einer analogen Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB bzw. einer entsprechenden "Nachbindung" in Bezug auf die Betriebsvereinbarungen der zusammengefassten Betriebe/Betriebsteile aus. Eine analoge Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ist indes aus den o.g. Gründen fragwürdig.
Rz. 263
Die h.M. in der Literatur befürwortet demgegenüber im Grundsatz eine Weitergeltung der in den ohne Eingliederung zusammengefassten Betrieben/Betriebsteilen zuvor geltenden Betriebsvereinbarungen, und zwar im Rahmen ihres ursprünglichen persönlichen, sachlichen und räumlichen Geltungsbereich. Nach Fitting soll dies allerdings nur gelten, sofern die Weitergeltung möglich und sinnvoll ist, also insbesondere wenn die zusammengelegten Betreibe/Betriebsteile innerhalb der neuen Einheit noch räumlich und organisatorisch abgrenzbar sind.
Rz. 264
Auch zu der unternehmensinternen Zusammenfassung ohne Eingliederung existieren keine höchstrichterlichen Entscheidungen.
Rz. 265
Das BAG hat in Bezug auf eine unternehmensübergreifende Umstrukturierung in einer Entscheidung aus dem Jahr 2005 ausdrücklich offengelassen, ob die Betriebsvereinbarung eines der zusammengeschlossenen Betriebe den Zusammenschluss "überlebt" hat.
Rz. 266
Daneben existieren zwei Entscheidungen zu der Sonderkonstellation der Zusammenfassung von Betrieben/Betriebsteilen zu neuen betrieblichen Einheiten durch Tarifvertrag nach § 3 BetrVG. Das BAG führt dort aus, dass allein die Zusammenfassung von Betrieben durch einen Tarifvertrag nach § 3 BetrVG nicht zum Verlust der betriebsverfassungsrechtlichen Identität der zusammengefassten Betriebe führe. Nehme der Arbeitgeber den Abschluss des Zuordnungstarifvertrags nicht zum Anlass, durch zusätzliche Maßnahmen die Organisations- und Leitungsstruktur der betroffenen Betriebe auch tatsächlich zu ändern, blieben tariflich zusammengefasste Betriebe als organisatorisch getrennte Teileinheiten bestehen und bewahrten ihre Identität, so dass die in ihnen geltenden Betriebsvereinbarungen im fingierten Einheitsbetrieb – im Rahmen ihrer bisherigen Geltungsbereiche – normativ fortwirken.
Rz. 267
Die Zusammenfassung mehrerer Betriebe/Betriebsteile zu einem neuen Betrieb ohne Eingliederung kann in unterschiedlicher Form erfolgen. Auch bei einer Zusammenfassung ohne Vereinbarung nach § 3 BetrVG ist denkbar, dass die zusammengefassten Betriebe/Betriebsteile innerhalb der neuen Einheit weiterhin abgrenzbare und organisatorisch relativ selbstständige Teileinheiten bleiben. Dann dürften auch die Betriebsvereinbarungen nach der Rechtsprechung fortgelten. Werden Betriebe/Betriebsteile hingegen in der Form zusammengefasst, dass eine völlig neue Struktur entsteht, in der die zusammengefassten Einheiten nicht mehr als solche auszumachen sind, ist nach den Grundsätzen der Rechtsprechung von einem so weitgehenden Identitätsverlust auszugehen, dass auch die Betriebsvereinbarungen enden.
Rz. 268
Zusammengefasst ergibt sich damit folgendes Meinungsbild:
Rz. 269
Schaubild: Auswirkungen unternehmensinterner Umstrukturierungen auf die Geltung von Betriebsvereinbarungen
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BAG |
Literatur |
Betriebsstilllegung/Betriebsschließung |
BV werden gegenstandslos und enden. Ausnahme: Sozialplan |
BV werden gegenstandslos und enden. Ausnahme: Sozialplan und BV zu betrieblicher Altersversorgung |
Betriebsteilstilllegung/Betriebseinschränkung |
BV gelten weiter |
BV gelten weiter. Ausnahme: nur für den stillgelegten Betriebsteil geltende BV |
Betriebsverlegung |
BV gelten weiter |
BV gelten weiter. Ausnahme: standortbezogene BV |
Betriebsaufspaltung und Fortführung der entstehenden betrieblichen Einheiten als eigenständige Betriebe |
Nicht entschieden; Vermutung: BV gelten weiter |
h.M.: BV gelten weiter |
Betriebsabspaltung und Fortführung des abgespaltenen Betriebsteils als eigenständiger Betrieb |
Nicht entschieden; Vermutung: BV gelten weiter |
h.M.: BV gelten weiter |
Eingliederung eines Betriebs in einen anderen Betrieb, bzw. Spaltung eines Betriebs und Eingliederung eines durch die Spaltung entstehenden Betriebsteils in einen anderen Betrieb |
Nicht entschieden; Vermutung: BV des eingegliederten Betriebs(teils) enden in der Regel; sie gelten ausnahmsweise weiter, wenn eingegliederter Betriebs(teil) als abgrenzbare Teileinheit im ... |