I. Allgemeines
Rz. 181
Das an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpfte Erbstatut gilt grundsätzlich universell. Aus Art. 29, 30, 31 EuErbVO ergeben sich lediglich eng begrenzte Möglichkeiten zu einer Modifikation ausländischen Erbrechts für die Vererbung inländischen Vermögens. Auch hinsichtlich des im Ausland belegenen Vermögens verlangt das Erbstatut uneingeschränkte Geltung. Wird das anwendbare Recht in dem ausländischen Staat, in dem der Erblasser Vermögen hinterlassen hatte oder gar einen Wohnsitz hatte, nach anderen Maßstäben bestimmt, so bleibt der dadurch eintretende internationale Entscheidungsdissens auf der Basis der EuErbVO de iure unberücksichtigt.
Rz. 182
Beispiel:
Die Erblasserin war koreanische Staatsangehörige und unterrichtete an der Musikhochschule in Würzburg Violine. Sie starb in der Universitätsklinik Florenz auf einer Konzertreise aufgrund eines Aortenaneurysma. In ihrem Hotel in Florenz hinterlässt sie einer wertvolle Guaneri Geige und bei einer Bank in Seoul ein umfassendes Bankdepot mit Aktien zur Absicherung ihres Lebensabends.
Hier beurteilt sich vorbehaltlich einer abweichenden Rechtswahl gem. Art. 77 Abs. 1 kor. IPRG 2022 aus koreanischer Sicht die Erbfolge nach dem koreanischen Heimatrecht der Erblasserin, während aus italienischer Perspektive gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO das deutsche Erbrecht anzuwenden ist.
Im Rahmen der Nachlassplanung wird man sich freilich de facto auf diese Situation einstellen müssen. Das Gleiche gilt für die Nachlassabwicklung.
II. Sonderregime für Immobilien und Unternehmen
Rz. 183
Gemäß Art. 30 EuErbVO finden "besondere Regelungen" im Recht eines Staates, in dem sich bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten befinden, vorrangig vor dem nach den Regeln der EuErbVO bestimmten Erbstatut Anwendung, wenn diese die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf jene Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren und diese Regeln nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind.
Rz. 184
Diese Klausel provoziert beim deutschen Rechtsanwender ein Déjà-vu in Bezug auf Art. 3a Abs. 2 EGBGB, der insbesondere im internationalen Erbrecht nach der Rechtsprechung und weit überwiegenden Literaturansicht zur Begründung eines kollisionsrechtlichen "vorrangigen Einzelstatuts" führte. EG 54 S. 3 und 4 EuErbVO stellt hier aber vorsorglich klar, dass diese Ausnahme von der Anwendung des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts eng auszulegen sei. Daher dürften Kollisionsnormen, die unbewegliche Sachen einem anderen als dem auf bewegliche Sachen anzuwendenden Recht unterwerfen, nicht als besondere Regelungen mit Beschränkungen angesehen werden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf bestimmte Vermögenswerte betreffen oder Auswirkungen auf sie haben. Als "Besondere Regeln" i.S.v. Art. 30 EuErbVO sollen also ausschließlich Sachnormen anzusehen sein. Diese Feststellung ist freilich widersprüchlich. Die ausländischen Regeln sollen nämlich nur dann vorrangig anzuwenden sein, wenn diese "nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind". Die Frage, ob diese Regeln nach dem ausländischen Recht anzuwenden sind, ergibt sich aber nicht aus dem ausländischen Sachrecht – dieses kann seinen gegenständlichen Anwendungsbereich nicht selbst bestimmen –, sondern aus dem ausländischen Kollisionsrecht. Insoweit ist daher notwendigerweise auf die – ausdrücklichen oder ungeschriebenen – Kollisionsnormen des ausländischen Belegenheitsstaates zurückzugreifen, um festzustellen, ob es dort irgendwelche "besondere Regelungen" gibt, die unabhängig vom Erbstatut anzuwenden sind.
Rz. 185
EG 54 S. 1 EuErbVO verweist erläuternd auf Regelungen, die bestimmte unbewegliche Sachen, bestimmte Unternehmen und andere besondere Arten von Vermögenswerten aufgrund wirtschaftlicher, familiärer oder sozialer Erwägungen besonderen Regelungen mit Beschränkungen unterwerfen, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf diese Vermögenswerte betreffen oder Auswirkungen auf sie haben. Man wird sich keine Sorgen darüber machen müssen, dass schon bald nach dem Verstreichen des Anwendungsstichtags in den einzelnen Mitgliedstaaten die Regeln präsentiert werden, die den dortigen Juristen so sehr am Herzen liegen, dass sie diese als "erbrechtsverordnungsfest" i.S.v. Art. 30 EuErbVO eingeordnet sehen wollen.
Rz. 186
Folgende Regelungen kommen typischerweise in Betracht:
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Die Sonderregelungen zur Hoferbfolge (Erbhofgesetz), wie sie z.B. in einigen deutschen Gebieten, in Österreich, Polen, den nördlichen Landesteilen Italiens und einigen skandinavischen Ländern gelten. |
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Art. 831 frz. Code civil und Art. 832–1 lux. Code civil enthalten Regelungen, die sich auf die Zuteilung des Eigentums an einem landwirtschaftlichen, industriellen oder handwerklic... |