Wolfgang Arens, Jürgen Brand
Rz. 79
Der Interessenausgleich nach § 112 BetrVG regelt die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt, in welchem Umfang und in welcher Form eine geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll. Dabei werden zum einen die Interessen des Unternehmens an der Betriebsänderung und zum anderen die Interessen der Belegschaft an der Vermeidung von Nachteilen geregelt. Hierzu gehört auch die Frage, wie die Personalplanung erfolgt, also ob Arbeitnehmer entlassen, versetzt oder umgeschult werden.
I. Rechtsgrundlagen des Interessenausgleichs
Rz. 80
Der Interessenausgleich ist eine Kollektivvereinbarung eigener Art und ist vom Unternehmer und Betriebsrat schriftlich niederzulegen und zu unterschreiben. Er wird nach den Vorschriften über den Vertrag gem. §§ 145 ff. BGB und die Betriebsvereinbarung gem. § 77 BetrVG behandelt. Die Nichtbeachtung der Schriftform kann trotz inhaltlicher Einigkeit mit dem Betriebsrat zu Nachteilsausgleichsansprüchen der betroffenen Arbeitnehmer führen.
Rz. 81
Aus dem Interessenausgleich erwachsen Rechte und Pflichten der Betriebsvereinbarungsparteien gegeneinander. Diese können jedoch nicht im Wege des Leistungsantrags im Beschlussverfahren erzwungen werden. § 113 Abs. 1 BetrVG setzt erkennbar voraus, dass der Arbeitgeber vom Interessenausgleich abweichen kann. Weicht der Arbeitgeber von dem Interessenausgleich ab, begründet das einen Anspruch des Arbeitnehmers aus dem Individualarbeitsverhältnis auf Nachteilsausgleich (vgl. § 113 Abs. 3 BetrVG). Gleiches gilt, wenn der Unternehmer erst gar keinen Interessenausgleich versucht.
II. Zustandekommen des Interessenausgleichs
Rz. 82
Kommt es zwischen dem Unternehmer und dem Betriebsrat nicht zu einer Einigung, können Unternehmer oder Betriebsrat gem. § 112 Abs. 2 BetrVG versuchen, eine gütliche Einigung durch Vermittlung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit oder gem. § 112 Abs. 3 und Abs. 4 BetrVG durch die Einigungsstelle zu erreichen.
Rz. 83
Hinweis
Dabei haben diese Stellen nicht die Kompetenz, eine Entscheidung über den Interessenausgleich gegen die Vorstellungen einer Partei zu treffen. Folglich kann der Versuch, einen Interessenausgleich herbeizuführen, auch im Rahmen dieses Verfahrens scheitern. Der Grund liegt vor allem darin, dass dem Unternehmer, der die alleinige Verantwortung und das Risiko der von ihm geplanten Maßnahmen trägt, gegen seinen Willen kein Interessenausgleich aufgezwungen werden soll.
Rz. 84
Stimmen beide Seiten dem Interessenausgleich zu, ist das Verfahren damit beendet. Stimmt eine Partei dagegen nicht zu, muss der Unternehmer die Einigungsstelle anrufen, um die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich gem. § 113 BetrVG zu vermeiden. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Betriebsrat nicht zuvor den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit oder die Einigungsstelle zur Vermittlung gem. § 112 Abs. 2 BetrVG angerufen hat.
Rz. 85
Der Interessenausgleich kann zusammen mit dem Sozialplan verhandelt und abgeschlossen werden. Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht zwingend. Auch ersetzt der Interessenausgleich bzw. die Verhandlung darüber mit dem Betriebsrat nicht die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 BetrVG. Fraglich ist auch, ob im Hinblick auf die Wochenfrist des § 102 BetrVG die Unterschrift des Betriebsrates unter den Interessenausgleich als abschließende Stellungnahme des Betriebsrates i.S.v. § 102 BetrVG verstanden werden kann.
Rz. 86
Ein Verfügungsanspruch des Betriebsrats auf Einhaltung eines Interessenausgleichs bei einer Betriebsänderung besteht nicht. Für eine einstweilige Verfügung fehlt es darüber hinaus regelmäßig an einem Verfügungsgrund.