Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 104
Besteht bereits ein Titel über den freiwillig gezahlten Sockelbetrag, kann dieser Betrag nicht erneut im Rahmen eines Leistungsantrages geltend gemacht werden.
aa) Verfahrensrechtliche Vorgaben
Rz. 105
In dieser Situation ging man früher davon aus, dass ein (ergänzender) Zahlungsantrag gestellt werden muss:
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"… monatlich weitere 200 EUR über durch die UR 1/2021 der Notars Meier in Musterhausen titulierten 500 EUR hinausgehend zu zahlen." |
oder
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"… monatlich weitere 50 EUR über durch die die Urkunde des Jugendamtes in Musterhausen vom 21.1.2021 titulierten 250 EUR hinausgehend zu zahlen." |
Das Ergebnis war dann, dass
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über den Sockelbetrag weiterhin ein außergerichtlicher Titel bestand, der nach Maßgabe des § 239 FamFG und materiellrechtlich nach § 313 BGB abzuändern wäre und |
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über den Spitzenbetrag ein gerichtlicher Titel, für dessen spätere Abänderung § 238 FamFG zur Anwendung kommt. |
Rz. 106
Besteht bereits ein anderweitiger Titel über den Sockelbetrag, dann muss nach der Rspr. des BGH der Antrag im gerichtlichen Verfahren nicht mehr als Nachforderungsantrag (früher Nachforderungsklage) auf den Spitzenbetrag beschränkt werden. Vielmehr ist ein Abänderungsverfahren nach § 239 FamFG einzuleiten:
Rz. 107
Demnach sind folgende Anträge zu formulieren:
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"… unter Abänderung der UR 1/2021 der Notars Meier in Musterhausen ab … monatlich 700 EUR zu zahlen." |
oder
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"… unter Abänderung der Urkunde des Jugendamtes in Musterhausen vom 21.1.2021 ab … 300 EUR zu zahlen." |
Rz. 108
Dann wird im Abänderungsverfahren der vorhandene außergerichtliche Titel beseitigt und ein neuer und einheitlicher – gerichtlicher – Titel geschaffen. Für spätere (weitere) Abänderungsverfahren bedeutet das, dass nur noch der (neue) gerichtliche Titel angegriffen werden muss und damit die Regelungen des § 238 FamFG zur Anwendung kommen.
Rz. 109
Praxistipp:
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Dann wird im Abänderungsverfahren der vorhandene außergerichtliche Titel beseitigt und ein neuer – gerichtlicher – Titel geschaffen, der den gesamten geschuldeten Unterhaltsbetrag umfasst. |
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Für spätere (weitere) Abänderungsverfahren bedeutet das, dass nur noch der (neue) gerichtliche Titel angegriffen werden muss und damit die Regelungen des § 238 FamFG zur Anwendung kommen. |
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Vermieden werden hierdurch sog. "Patchwork-Titel", bei denen sich die Verpflichtung aus dem Zusammenspiel von außergerichtlichem und gerichtlichem Titel ergibt. |
Rz. 110
Der Verfahrenswert ergibt sich jedoch auch in diesem Fall nur aus der Differenz zwischen dem titulierten und den mit dem Abänderungsantrag geltend gemachten Jahresbetrag des Unterhaltes.
bb) Inhaltliche Vorgaben für die Abänderung
(1) Für den Unterhaltsschuldner
Rz. 111
Die einseitige Verpflichtungserklärung des Unterhaltspflichtigen stellt ein Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB dar, vom dem dieser sich nicht einseitig lösen kann. Der Unterhaltspflichtige ist also an diesen Titel gebunden mit der Folge, dass er eine Abänderung nur unter den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 239 FamFG verlangen und durchsetzen kann. Für ein Abänderungsverlangen des Unterhaltspflichtigen (auf Herabsetzung seiner Verpflichtung) ist also eine Änderung der Geschäftsgrundlage Voraussetzung (siehe Rdn 309).
(2) Für den Unterhaltsgläubiger
Rz. 112
Im Regelfall ist dagegen die Unterhaltsberechtigte an diesen Titel nicht gebunden. Sie kann also im Wege des Abänderungsverfahrens ohne Bindung an die vorliegende Urkunde einen höheren Unterhalt verlangen, siehe Rdn 364.
Rz. 113
Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn sich der Pflichtige und die Berechtigte – i.d.R. durch ihre Anwälte – auf die im Titel festgelegte Unterhaltshöhe geeinigt haben. Eine solche im Vorfeld geschlossene Vereinbarung bindet auch die Berechtigte.
Rz. 114
Einseitige notarielle Unterhaltsverpflichtungen oder Jugendamtsurkunden, denen eine Vereinbarung der Beteiligten zugrunde liegt, sind daher nicht frei abänderbar. Im Rahmen der Abänderung ist vielmehr stets der Inhalt der Vereinbarung der Parteien zu wahren. Eine Abänderung kommt nur dann in Betracht, wenn diese wegen nachträglicher Veränderungen nach den Grundsätzen über den Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) geboten ist.