Prof. Dr. Götz Schulze, Dr. Sven Schilf
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 23
Ein in Belgien ansässiger Gebrauchtwagenhändler verlangt Zahlung des Kaufpreises für einen an einen deutschen Händler verkauften Pkw.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 24
Art. 3 Nr. 2 EGBGB weist die Kollisionsnormen in völkervertraglichen Vereinbarungen gegenüber den Kollisionsnormen des EGBGB als vorrangig aus. Die Vorrangfrage zwischen EU-Kollisionsrecht und völkervertraglichem Kollisionsrecht wird dagegen durch die EU-Verordnungen bestimmt.
Geltung und Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Staatsvertrags sind genau festzustellen. Dabei ist darauf zu achten, dass der Staatsvertrag völkerrechtlich und innerstaatlich gelten muss und dass sein Anwendungsbereich im gegebenen Fall zeitlich, sachlich, persönlich und räumlich eröffnet ist. Der Anwendungsbereich wird im Übereinkommens- oder Abkommenstext ausdrücklich geregelt. Die Anwendungsbereiche sind zum Teil nur auf einzelne spezielle Aspekte beschränkt, für die sie dann neben dem im Übrigen geltenden Recht zur Anwendung kommen. Die staatsvertraglichen Kollisionsregeln gelten oftmals auch nur im Verhältnis der Ratifikationsstaaten untereinander, so dass neben dem Anwendungsbereich auch die Geltung im Verhältnis zu Deutschland oder zu einem anderen betroffenen Staat geprüft werden muss.
Rz. 25
Alle Gerichte sind berechtigt und das verfahrensbezogen letztinstanzliche Gericht ist ermessensgebunden verpflichtet, Auslegungsfragen betreffend die Rom-VOen (siehe Rdn 19) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (Art. 267 AEUV).
3. Checkliste: Geltung und Anwendbarkeit des kollisionsrechtlichen Staatsvertrags (hier: Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf – CISG)
Rz. 26
Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO erklärt diejenigen Internationalen Übereinkommen für unberührt, die zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten und einem Drittstaat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO galten. Daraus folgt der Vorrang des UN-Kaufrechts (CISG) gegenüber der Rom I-VO.
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Geltung des Staatsvertrags?
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Innerstaatlich: Ratifikation auf Grundlage eines Ratifikationsgesetzes (Art. 59 GG). Für den vorliegenden Fall: Das Übereinkommen ist für Deutschland im Verhältnis zu Belgien seit dem 1.11.1997 in Kraft. |
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Völkervertraglich: Ggf. notwendige Mindestanzahl von Ratifikationen. Hier: keine. |
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Anwendungsbereich des Staatsvertrags?
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Zeitlich: Anwendbar im Verhältnis zu Belgien seit 1.11.1997 (Tag des Inkrafttretens, Art. 100 CISG). |
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Sachlich: Ansprüche aus Kaufverträgen über Waren (Art. 1 Abs. 1 CISG). Erfasster Regelungsbereich (Art. 4): Anspruch auf Kaufpreiszahlung gem. Art. 53 CISG. Kein vertraglicher Ausschluss (Art. 6 CISG). Hier: keine opt out Erklärung. |
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Räumlich: Die Parteien haben ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten (Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG)? Verkäufer hat seinen Sitz in Belgien (Vertragsstaat). |
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Persönlich: Juristische und natürliche Personen. Keine Verbraucher (Art. 2 lit. a CISG: Ware für den persönlichen Gebrauch). |
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Kollision mit anderen einschlägigen Staatsverträgen (ausdrückliche Regelung in den Staatsverträgen, sonst Vorrang der lex specialis und der lex posterior). Hier: Kein anderes vorrangiges Abkommen zwischen Deutschland und Belgien. |
Ergebnis: CISG ist anwendbar. Der Kaufpreisanspruch ergibt sich aus Art. 53 CISG.