Rz. 47
Ein weiteres Problem liegt in der Frage, in welchem Umfang die Erträgnisse der Vorerbschaft an den behinderten Vorerben vom Testamentsvollstrecker herausgegeben werden müssen. Die Frage stellt sich sowohl dann, wenn die Erträge so hoch sind, dass nicht nur der Lebensunterhalt des Behinderten gedeckt, sondern auch die Heimkosten bezahlt werden könnten, als auch im umgekehrten Fall, wenn der Nachlass zu wenig oder keine Erträge abwirft. § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB sieht in diesem Zusammenhang vor, dass das Nachlassgericht Erblasseranordnungen außer Kraft setzen kann, wenn andernfalls der Nachlass gefährdet würde. Ebenfalls betroffen ist eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Erben. Sind die Früchte der Vorerbschaft so umfangreich, dass mit ihnen nicht nur der Lebensunterhalt des Behinderten, sondern auch die Heimkosten getragen werden könnten, wird auf oberverwaltungsgerichtlicher Ebene die Frage der Sittenwidrigkeit der Anordnung zwar diskutiert, jedenfalls bislang allerdings verneint. In der Literatur bestehen unterschiedliche Lösungsansätze, wobei Kern der Diskussion keine Sittenwidrigkeitserwägungen, sondern vielmehr die Frage nach der Treuwidrigkeit der Weisungen des Erblassers an den Testamentsvollstrecker ist. Eine Mindermeinung billigt dem Erben stets einen Zugriff auf die Erträgnisse der Vorerbschaft zu, wobei wiederum diskutiert wird, ob dieser Zugriff gänzlich ungeschmälert oder beschränkt auf bestimmte Tatbestände wie die Bestreitung des eigenen Unterhalts oder von Unterhaltsansprüchen gegenüber Dritten erfolgen soll. Die wohl h.M. geht demgegenüber davon aus, dass Verwaltungsanordnungen, die den Zugriff des Vorerben auf die Früchte des Nachlasses beschränken, grds. aus Gründen der Zweckrichtung des Testaments zulässig sind. Der BGH hat die Frage bislang offengelassen. Einer möglichen den Bestand der testamentarischen Konstruktion gefährdenden Rechtsprechungsdynamik kann im Wege einer in der letztwilligen Verfügung formulierten Auflage entgegengewirkt werden:
Zitat
"Sollten die angeordneten Verwaltungsanordnungen unwirksam oder außer Kraft gesetzt sein, beschwere ich den Vorerben mit der bedingten Auflage, Substanz und Erträge seiner Nachlassbeteiligung nur unter Einhaltung dieser Verwaltungsanordnung einzusetzen."
Der umgekehrte Fall der Regelung des Fehlens der Nachlassfrüchte ist besonders in Zeiten einer Niedrigzinsphase relevant. Hier empfiehlt es sich, dem Testamentsvollstrecker zumindest einen (ggf. prozentual beschränkten) Zugriff auch auf die Nachlasssubstanz zu gestatten. Technisch funktioniert dies, indem der Nacherbe mit einem Vorausvermächtnis zugunsten des Vorerben belastet wird, wobei der Vorerbentestamentsvollstrecker zugleich die Rechte eines Nacherbenvollstreckers ausübt:
Formulierungsbeispiel
Sollten (…) Leistungen für den Vorerben (…) notwendig oder zumindest sinnvoll sein, die nicht aus den (…) Reinerträgen des Nachlasses (…) finanzierbar sind, ist der Nacherbe im Wege eines Vorausvermächtnisses verpflichtet, einer begrenzten Verwertung in Höhe von jährlich (…) % der Brutto-Nachlasssubstanz zuzustimmen. Der Testamentsvollstrecker erteilt diese Zustimmung als Nacherbentestamentsvollstrecker (§ 2222 BGB).