Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
1. Allgemeines
Rz. 197
Die wesentlichen Regelungen der deutschen Fusionskontrolle finden sich in den §§ 35–43a GWB. Sie werden ergänzt durch die allgemeinen, auch für die Fusionskontrolle geltenden Regelungen des GWB und des allgemeinen Verwaltungsrechts, so z.B. die Regelungen der §§ 54 ff. GWB über das Verwaltungs-, Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren.
Hinweis
Aktuelle Merkblätter des Bundeskartellamts und andere Informationen zur deutschen Fusionskontrolle sind auf der Homepage des Bundeskartellamts zu finden.
Rz. 198
Die deutsche Fusionskontrolle ist anwendbar auf alle Zusammenschlüsse, die nicht der EU-Fusionskontrolle unterliegen, spürbare Auswirkungen in Deutschland haben und bestimmte Aufgreifschwellen überschreiten.
Die Anwendbarkeit der deutschen Fusionskontrolle setzt also Folgendes voraus:
▪ |
keine Anwendbarkeit der EU-Fusionskontrolle, |
▪ |
das Vorliegen eines Zusammenschlusses, |
▪ |
spürbare Inlandsauswirkungen, |
▪ |
Überschreiten der Aufgreifschwellen. |
Fehlt es an einem einzigen dieser vier Kriterien, kommt eine Anwendung der deutschen Fusionskontrolle nicht in Betracht.
Eine Ausnahme von der Anwendbarkeit der deutschen Fusionskontrolle wurde im Zuge der Bewältigung der Finanzmarktkrise durch § 16 FMStBG eingeführt. Danach sind die Vorschriften der deutschen Fusionskontrolle (§§ 35 ff. GWB) auf Aktivitäten des Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin), insb. auf Beteiligungserwerbe durch den SoFFin, nicht anwendbar. Beteiligungserwerbe des SoFFin können aber nach wie vor der europäischen Fusionskontrolle unterliegen, wenn es sich um einen Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung handelt (vgl. dazu o. Rdn 117 ff.).
2. Subsidiarität ggü. der EU-Fusionskontrolle
Rz. 199
Die deutsche Fusionskontrolle ist gegenüber den Regelungen der EU-Fusionskontrolle subsidiär. Gem. § 35 Abs. 3 GWB i.V.m. Art. 21 Abs. 3 FKVO ist sie nicht anwendbar, soweit ein Sachverhalt der EU-Fusionskontrolle unterliegt.
Hinweis
Für die Praxis bedeutet das, dass zunächst immer die Anwendbarkeit der EU-Fusionskontrolle geprüft und ausgeschlossen werden sollte, bevor die Voraussetzungen der deutschen Fusionskontrolle weiter geprüft werden.
Rz. 200
I.d.R. bereitet die Abgrenzung zwischen deutscher und EU-Fusionskontrolle keine Schwierigkeiten.
Probleme können allenfalls bei der geographischen Zuordnung der Umsatzerlöse auftreten. Wertvolle Hinweise gibt die Kommission in ihrer Konsolidierten Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen aus dem Jahr 2008.
3. Begriff des "Zusammenschlusses"
Rz. 201
Die deutsche Fusionskontrolle findet nur auf "Zusammenschlüsse" i.S.v. § 37 GWB Anwendung.
§ 37 GWB unterscheidet vier Zusammenschlusstatbestände:
▪ |
Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB – sog. "Vermögenserwerb"), |
▪ |
Erwerb der (unmittelbaren oder mittelbaren) Kontrolle über ein anderes Unternehmen durch ein oder mehrere Unternehmen (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB – sog. "Kontrollerwerb"), |
▪ |
Erwerb von Stimmrechts- und/oder Kapitalanteilen, der zu einer Beteiligung von insgesamt 25 % bzw. 50 % an einem anderen Unternehmen führt (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB – sog. "Anteilserwerb"), |
▪ |
Erwerb eines "wettbewerblich erheblichen Einflusses" auf ein anderes Unternehmen (§ 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB). |
Rz. 202
Allen Zusammenschlusstatbeständen ist gemeinsam, dass sowohl Erwerber als auch Erwerbsobjekt "Unternehmen" im kartellrechtlichen Sinne sein müssen. Die Unternehmenseigenschaft kann insb. bei natürlichen Personen fraglich sein, wenn sie nicht selbst unternehmerisch tätig sind. Gem. § 36 Abs. 3 GWB gelten Personen und Personenvereinigungen aber auch dann als "Unternehmen", wenn sie eine Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen halten (sog. "Flick-Klausel").
a) Vermögenserwerb
Rz. 203
Der Begriff des "Vermögens" ist umfassend zu verstehen. Er umfasst alle geldwerten Güter eines Unternehmens ohne Rücksicht auf Art, Verwendung oder Verwertbarkeit. Zum Vermögen gehören auch tatsächliche Werte wie Kundenkreis, Goodwill, Betriebsgeheimnisse, Rezepturen oder Absatzorganisation, soweit sie als Gegenstand des Geschäftsverkehrs in Betracht kommen und für sie üblicherweise ein Entgelt bezahlt wird.
Rz. 204
Vermögenserwerb i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist nur der Vollrechtserwerb. Der Erwerb obligatorischer oder beschränkt dinglicher Rechte (Lizenzen, Pfandrechte etc.) fällt nicht darunter. Der Erwerb solcher Rechte kann aber u.U. als Kontrollerwerb anzusehen sein und den Zusammenschlusstatbestand des § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB erfüllen.
Rz. 205
Die Gründe für den Vermögenserwerb sind für § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht relevant. Auch der Vermögenserwerb von Todes wegen ist Zusammenschluss i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB und kann als solcher der deutschen Fusionskontrolle unterliegen.
aa) Erwerb des Vermögens im Ganzen
Rz. 206
Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens im Ganzen kann z.B. die Übernahme des rechtlich unselbstständigen ...