Rz. 217
Eine Entschädigungspflicht besteht nicht, wenn der Versicherungsnehmer versucht, den Versicherer arglistig über Tatsachen zu täuschen, die für Grund oder Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind. B 4.12.2 VHB 2022 enthält keine Obliegenheit, sondern einen Verwirkungsgrund, der sich auf § 242 BGB zurückführen lässt.
1. Definition, Grundsätze
Rz. 218
Definition
Arglistige Täuschung ist das bewusste und willentliche Einwirken auf den Entscheidungswillen des Versicherers durch Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums über Grund und Höhe der Leistungsverpflichtung.
Rz. 219
Die arglistige Täuschung kann durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung bzw. Verschleierung wahrer Tatsachen begangen werden. Der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant muss die Unrichtigkeit der Angaben kennen. Dabei reicht es aus, wenn er, obwohl er mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, unrichtige Behauptungen aufstellt oder sich der ihm aufdrängenden und ohne weiteres möglichen und zumutbaren Erkenntnis der die Täuschung begründenden Umstände verschließt und das Fehlen derartiger Umstände blindlings zusichert.
Rz. 220
Der arglistig Täuschende muss zudem die Vorstellung haben, seine unrichtige Erklärung könne möglicherweise für die Willensbildung des anderen Teils, d.h. des Versicherers, von Bedeutung sein. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht vorliegt. Der Versicherungsnehmer darf befürchteten Beweisschwierigkeiten oder Verzögerungen der Regulierung seines Schadens nicht durch Täuschungen entgegenwirken. Sehen die AVB für den Fall der arglistigen Täuschung völlige Leistungsfreiheit des Versicherers vor, genügt es, wenn der Versicherungsnehmer nur über eine für die Entschädigung relevante Tatsache zu täuschen versucht hat, auch wenn die Täuschung im Ergebnis folgenlos bleibt.
Einer vorherigen Belehrung bedarf es nicht.
Bereits vor der Täuschung erbrachte Leistungen müssen nicht zurückgezahlt werden.
Rz. 221
Rechtsprechung
Arglistige Täuschung bejaht: wenn Brandstiftungsandrohung nach Gaststättenneueröffnung nicht angezeigt wird; wenn in der Schadensmeldung Einbruchschäden aus einem früheren Einbruch als Schäden des aktuellen angegeben werden; wenn frühere Schadenfälle verschwiegen werden; wenn Ersatzrechnungen als Original oder verfälschte Rechnungen vorgelegt werden; wenn der Versicherungsnehmer bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche bewusst falsche Angaben macht, um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden; wenn sich der Versicherungsnehmer zur Durchsetzung vermeintlicher Entschädigungsansprüche eine inhaltlich unrichtige Kaufbestätigung ausstellen lässt und diese seinem Versicherer vorlegt; und zwar auch dann, wenn der Versicherungsnehmer die Gegenstände tatsächlich besessen und zu dem angegebenen Preis wirklich gekauft hat; bei Verschweigen, dass eine Rechnung rückdatiert ist; wenn unzutreffende Zeitangaben über den Schadenfall gemacht werden; bei unzutreffenden Angaben über die Wohnfläche; bei falschen Angaben zur Schadenhöhe; der Versicherungsnehmer muss sich auch ein ihm nicht bekanntes und von ihm nicht gebilligtes Verhalten seines Wissensvertreters zurechnen lassen; Leistungsfreiheit besteht auch, wenn der Versicherungsnehmer nur über einen relativ geringfügigen Betrag getäuscht hat oder sich die Täuschung nur auf einen Teilschaden bezieht.
2. Ausnahmen
Rz. 222
Unrichtige Angaben des Versicherungsnehmers nach der endgültigen Versagung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer führen auch im Fall einer versuchten arglistigen Täuschung nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers; der rechtliche Grund für vor Eintritt des Verwirkungstatbestandes erbrachte Leistungen auf bestehende Verbindlichkeiten entfällt durch die spätere arglistige Täuschung nicht.
Rz. 223
Weil die Sanktion der Leistungsfreiheit ihre Rechtfertigung im Grundsatz von Treu und Glauben findet, setzt dieser auch der Leistungsfreiheit des Versicherers Grenzen. Die Berufung auf Leistungsfreiheit darf sich nicht als unzulässige Rechtsausübung darstellen, was der Fall ist, wenn die Täuschung nur einen kleinen Teil des gemeldeten Schadens betrifft, wobei es nicht auf den absoluten Betrag ankommt, sondern auf die Relation zum Gesamtschaden. Dasselbe gilt, wenn der Anspruchsverlust zu einer Existenzbedrohung beim Versicherungsnehmer führen würde und nur geringes Verschulden vorliegt.