Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 154
Der Schenkungsrückforderungsanspruch des § 528 BGB hat in der Praxis der Sozialleistungsträger seine größte Bedeutung, wenn Eltern ins Heim kommen. Vgl. dazu Fallbeispiel 19: Der Schenkungsrückforderungsanspruch des heimpflegebedürftigen Vaters (siehe Rdn 21) und § 12.
Dass der Schenkungsrückforderungsanspruch im sozialhilferechtlichen Leistungsverhältnis anspruchshindernd bzw. anspruchsmindernd wirkt, ist unstreitig. Offen ist heute nur noch die Antwort auf die Frage, ob ein solcher Anspruch Einkommen oder Vermögen im sozialhilferechtlichen Sinne darstellt.
Hinweis
Im Sinne des Unterhaltsrechts ist der Anspruch Vermögen.
Rz. 155
Das BSG hat die Frage z.T. offengelassen, z.T. hat es sie im Sinne eines "Vermögenswertes" beantwortet, obwohl das BVerwG für das BSHG bereits eine Bewertung als Einkommen vorgenommen hatte. In der Rechtsprechung zum Pflegewohngeld wird davon ausgegangen, dass der Anspruch Vermögen ist, weil man sonst kaum zu dem Ergebnis hätte gelangen können, dass er zum Schonvermögen (§ 90 Abs. 3 SGB XII) gehört, wenn seine Verwertung eine Härte im pflegewohngeldrechtlichen Sinne (§ 12 Abs. 3 PflegeG NRW 2003) darstellt. Der allgemeine Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe – so das OVG – sei hier in weitem Umfang außer Kraft gesetzt.
Rz. 156
Im Sinne der Zuflusstheorie zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im SGB XII wird man zu dem Ergebnis kommen, dass der Schenkungsrückforderungsanspruch dem Grunde nach gleichzeitig mit der Bedürftigkeit entsteht und deshalb sozialhilferechtlich Einkommen in Geldeswert ist. Das wird allerdings z.T. völlig anders bewertet, wenn es darum geht, dass ein Beschenkter den Schenkungsgegenstand als solchen zurückgibt und nicht nur einen Wertersatzanspruch erfüllt. Dann wird z.T. in der zivilrechtlichen Literatur diskutiert, dass dann Vermögen zurückübertragen werde, das auch wieder unter die Schonvermögensvorschriften des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII fallen könne. Das lehnt ein Teil der sozialrechtlichen Kommentarliteratur ab, während ein anderer Teil dem Gedanken der Schonvermögensbildung folgt.
Rz. 157
Je nachdem, welcher Auffassung man folgt, wirkt sich das sich hinsichtlich der Einsatz- und Verwertungspflicht erheblich auf das Ergebnis aus. Allerdings muss man auch bedenken, dass selbst dann, wenn sich der verschenkte Werte tatsächlich wieder in Schonvermögen "umwandeln" würde, am Ende doch § 102 SGB XII droht, weil es kein postmortales Schonvermögen gibt.
Rz. 158
Fallbeispiel 22: Die verschenkten Erbschaftsmittel
Die Antragstellerin bezog Leistungen nach dem SGB XII, deren Weitergewährung der Sozialleistungsträger vier Jahre nach dem Erbfall versagte, weil die Klägerin Barvermögen aus einer Erbschaft nach ihrem Bruder erhalten hatte. Die A macht geltend, die Erbschaft an ihre Tochter verschenkt zu haben, weil sie von dem Bruder in ihrer Kindheit missbraucht worden sei und von ihm nicht erben wolle. Diese habe das Geld verbraucht.
Rz. 159
Falllösung Fallbeispiel 22:
Die Rechtsprechung hat diesen Fall wie folgt entschieden:
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Ein Hilfebedürftiger kann nicht auf einen Erbanspruch verwiesen werden, wenn ihm die Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen (Faktizitätsprinzip). |
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Ein Verweis auf einen Schenkungsrückforderungsanspruch kann nicht erfolgen, wenn eine Verwirklichung oder Durchsetzung des Anspruchs kurzfristig nicht möglich ist (Prinzip der "bereiten" Mittel und Wiederherstellung des Nachrangs durch Überleitung). |
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Die Sozialhilfe darf auch nicht auf das bis zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden. § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ist nicht bereits dann einschlägig, wenn der Leistungsempfänger sicher weiß, dass er infolge der Einkommens- und Vermögensminderung hilfebedürftig werden wird. Andererseits genügt es, wenn sich der Leistungsempfänger bei der Einkommens- und Vermögensminderung maßgeblich davon hat leiten lassen, auf diese Weise die Voraussetzungen für die staatliche Hilfeleistung zu schaffen. Das ist nicht der Fall, wenn die A wie hier aufgrund eines in der Vergangenheit erlittenen sexuellen Missbrauches durch ihren Bruder keine Zahlungen aus der Erbschaft erhalten wollte (Begrenzung der Selbsthilfeverpflichtung aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten). |
Rz. 160
Im vorliegenden Fall hätte ggf. auch noch eine Kontrollüberlegung geholfen: Wenn ein Abkömmling nach der Pflichtteilsverzichtsentscheidung des BGH auf den Pflichtteil verzichten oder ausschlagen kann, dann müsste es ihm ggf. auch möglich sein, an denjenigen zu verschenken, der ansonsten der Begünstigte der Ausschlagung geworden wäre. Das ist aber bisher ungeklärt und offen bleibt, ob man diese Überlegungen auch anstellen kann für das Verschenken an einen Nichtpflichtteilsberechtigten.