Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 148
Zitat
"Jeder Mensch hat das Recht, die Gestaltung seines letzten Lebensabschnittes zu bestimmen ("Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung"), aber immer im Rahmen der gültigen Gesetze und nach seiner religiösen Überzeugung."
Der Satz stammt aus einer Handreichung des Zentralrates der Muslime in Deutschland und weist darauf hin, dass eine Patientenverfügung im höchsten Grad etwas Individuelles ist und erforderlichenfalls im Lichte der religiösen Überzeugung des Verfügenden erstellt und ausgelegt werden muss. Nachgewiesene offizielle Muster von Patientenverfügungen aus Sicht spezieller Religionen findet man aber gleichwohl kaum.
(1) Christliche Patientenverfügung
Rz. 149
Die deutsche Bischofskonferenz, die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) haben 2018 die im Internet verfügbare aktualisierte Neuauflage der "Christlichen Patientenvorsorge durch Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung und Behandlungswünsche" veröffentlicht. Im Kapitel 3 findet sich ein Formular "Christliche Patientenvorsorge und Hinweiskarte" mit der die "theologisch-ethischen Aspekte eines christlichen Umgangs mit dem Ende des irdischen Lebens" berücksichtigt werden.
Rz. 150
Die christliche Patientenverfügung enthält in ihrem Formular nur zwei Grundsituationen und verweist ansonsten in den Bereich der ergänzenden Verfügungen, die der Patient selbstständig einfügen kann. Dort soll ggf. eingefügt werden, dass lebenserhaltende Maßnahmen für den Fall der Einsichts- und Entscheidungsunfähigkeit aufgrund einer Gehirnschädigung beendet oder untersagt werden können, auch wenn noch kein tödlicher Verlauf begonnen hat. Wegen dieser unklaren Ausgestaltung und der Beschränkung wurde das Muster in der Vergangenheit heftig kritisiert.
(2) Patientenverfügung muslimischer Mandanten
Rz. 151
Anhaltspunkte für muslimische Positionen finden sich in einer Stellungnahme des Zentralrates der Muslime zur Sterbehilfe. Dort wird entlang der Begriffe
▪ |
aktive Sterbehilfe (gezielte Herbeiführung des Todes durch Handeln aufgrund eines tatsächlichen oder mutmaßlichen Wunsches einer Person) |
▪ |
indirekte aktive Sterbehilfe (die in Kauf genommene Beschleunigung des Todeseintritts als Nebenwirkung z.B. einer gezielten Schmerzbekämpfung) |
▪ |
passive Sterbehilfe (das Unterlassen oder die Reduktion von eventuelle lebensverlängernden Behandlungsmaßnahmen) |
aus muslimischer Sicht Stellung zu einzelnen Positionen bezogen.
Danach hat Allah dem Menschen das Leben als Leihgabe und die Gesundheit als Geschenk und anvertrautes Gut gegeben. Der Mensch muss sein Leben und seine Gesundheit pflegen und bewahren. Er darf es nicht gefährden und sich und andere Menschen nicht töten. In der Stellungnahme heißt es u.a.:
Zitat
"Bei schwerst-unheilbarer Krankheit und schweren unerträglichen Symptomen (Schmerzen, Verwirrtheit etc.) darf die Ärzteschaft die entsprechenden Mittel wie Opioide und Sedierungsmittel, auch in hoher Sedierung zur Linderung der Beschwerden einsetzen. Dabei darf auch eine mögliche Beschleunigung des Todeseintritts als Nebenwirkung in Kauf genommen werden. … Aus islamischer Sicht sehen wir keine Einwände für den Einsatz von Sedierungs- und Schmerzmitteln (Opioide, Derivate), auch in hoher Dosierung, wenn es bei diesem schwerstkranken Menschen erforderlich wird."
Rz. 152
Eine Patientenverfügung ist aus muslimischer Sicht machbar. Die Religion setzt aber deutlich engere Grenzen als das Bürgerliche Gesetzbuch. Das beginnt bereits mit der Frage, wer die Frage der medizinischen Behandlung bestimmt und geht weiter bis zu den einzelnen Maßnahmen. Eine Bestimmung ohne Reichweitenbegrenzung ist somit z.B. kaum vorstellbar. Die Umsetzung eines Behandlungswillens oder Nichtbehandlungswillens des Patienten durch einen nicht-muslimischen Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten scheint schwerlich vorstellbar.
Eine muslimische Patientenverfügung wird aber auf jeden Fall Wünsche nach religiöser Begleitung am Lebensende aussprechen (z.B. Vorsprechen des Glaubensbekenntnisses).