Martin Schafhausen, Christel von der Decken
I. Typische Sachverhalte
Rz. 18
Herr K hat bei der Pflegekasse einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung für kombinierte Pflegesachleistung durch den Pflegedienst und Pflegegeld für die Pflege durch seine Ehefrau nach dem Pflegegrad 4 beantragt.
Nach einem schweren Schlaganfall ist Herr K rechts halbseitig gelähmt. Im linken Kniegelenk hat er bewegungsunabhängig schwerste schmerzhafte Beschwerden, die bei geringster Belastung zunehmen. Er benötigt Hilfe beim Aufstehen, Aufrichten im Bett und beim Aufstehen. Innerhalb der Wohnung kann er sich nicht alleine fortbewegen, auch nicht durch Festhalten an Möbeln. Gelegentlich hat er Wortfindungsstörungen. Alleine kann er nur bedingt selbstständig essen und trinken. Er kann sich nicht alleine waschen und benötigt Hilfe beim Zähneputzen, beim An- und Entkleiden. Er ist seit dem Schlaganfall depressiv und antriebslos, reagiert aggressiv gegenüber der Pflegeperson und wehrt die Hilfeleistungen ab. Wegen der Harn- und Stuhlinkontinenz wird er mit Windeln versorgt. Immer wieder reißt er die Windeln auf, so dass die Windeln mehrmals am Tag gewechselt werden, er im Intimbereich gewaschen und auch die Unterwäsche und Hosen gewechselt werden müssen.
Die Pflegekasse hat nach dem Ergebnis des Gutachtens des MD eine Gesamtpunktzahl von 65 nach Anlage 2 zu § 15 SGB XI festgestellt. Damit lägen erhebliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeit gemäß Pflegegrad 3 nach § 15 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI vor.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 19
Für die Erbringung von Pflegeleistungen sind nicht nur verschiedene Leistungsträger zuständig, sondern rechtlich zu unterscheiden sind auch verschiedene Formen der Pflege: Die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V wird im eigenen Haushalt durch ambulante Pflegekräfte (dazu § 132 SGB V) erbracht, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist oder wenn diese durch die häusliche Krankenpflege vermieden wird. Darüber hinaus kann häusliche Krankenpflege auch in der Form der so genannten Behandlungspflege gewährt werden, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (§ 37 Abs. 2 SGB V). Trifft die häusliche Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V, z.B. Anziehen von Stützstrümpfen ab Klasse II oder Dauerbeatmung rund um die Uhr mit Leistungen der Pflegekasse nach § 36 SGB XI zusammen, stehen diese Ansprüche nach der Rechtsprechung des BSG gleichberechtigt nebeneinander. Die häusliche Krankenpflege setzt eine ärztliche Behandlung und Verordnung voraus. Diese Verordnung bedarf der Genehmigung durch die Krankenkasse gem. §§ 3 bis 6 der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Anspruch auf Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit oder Pflegegrad 1 besteht nach den näheren Bestimmungen des § 39c SGB V gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung.
Zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit gewährt die soziale Pflegeversicherung Leistungen nach näherer Maßgabe des SGX XI. Sie sollen dem Pflegebedürftigen helfen, ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen und die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen auch in Form der aktivierenden Pflege wiederzugewinnen oder zu erhalten (§ 2 SGB XI). Für Privatversicherte besteht die Verpflichtung zur Absicherung über die private Krankheitskostenversicherung mit entsprechenden Leistungsansprüchen nach § 192 Abs. 6 VVG i.V.m. den Versicherungsbedingungen.
Die Leistungen der Pflegeversicherung werden auf Antrag (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI) gewährt. Im Falle einer Demenz oder des Wachkomas und Fehlen eines Bevollmächtigten haben auch Dritte, wie z.B. Ärzte, Krankenhaus oder das Heim die Pflegeversicherung über den Eintritt der Pflegebedürftigkeit zu informieren, so dass die Information nach herrschender Auffassung als Antrag gilt. Nach Eingang des Antrages besteht ein allgemeiner Aufklärungs- und Beratungsanspruch nach § 7 SGB XI und ein Anspruch auf individuelle Pflegeberatung nach § 7a SGB XI – Fallmanagement. Mit Hilfe des Fallmanagements soll ein umfassender Versorgungsplan erstellt und auf die Durchführung, auch erforderlicher Rehabilitationsmaßnahmen, hingewirkt werden.
Der Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung setzt voraus, dass die Vorversicherungszeit von mindestens zwei Jahren als Mitglied oder in der Familienversicherung im Zeitpunkt der Antragstellung bestanden hat Bei Kindern gilt die Vorversicherungszeit als erfüllt, wenn ein Elternteil sie erfüllt hat (§ 33 Abs. 2 SGB XI). Die Kündigung der privaten Pflegepflichtversicherung zum Zweck der Aufnahme in die Familienversicherung erfüllt die Vorversicherungszeit nicht.
Zum 1.1.2017 wurde ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Nach § 14 SGB XI liegt Pflegebedürftigkeit bei Personen vor, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe anderer bedürfen. Die Personen müssen die körperlichen, kognitiven oder psychischen Beein...