A. Das einseitige Testament
I. Bestimmung des Errichtungsstatuts
Rz. 1
Aufgrund der Anknüpfung des Erbstatuts an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt des Todes bzw. an eine von ihm noch zu Lebzeiten getroffene Rechtswahl steht das Erbstatut zum Zeitpunkt der Errichtung eines Testaments oder des Abschlusses eines Erbvertrags nicht fest. Kommt es nach Errichtung zu einem Umzug des Erblassers in einen anderen Staat, zu einer Rechtswahl oder zu einem Widerruf einer Rechtswahl, so würde ein auf der Basis des nach den Umständen zum Zeitpunkt der Verfügung anwendbaren Erbrechts (hypothetisches Erbstatut) wirksam errichtetes Testament möglicherweise unerwartet seine Wirksamkeit verlieren bzw. eine nichtig geglaubte Verfügung plötzlich Bedeutung erlangen.
Rz. 2
Art. 24 Abs. 1 EuErbVO dagegen unterstellt – wie schon zuvor Art. 26 Abs. 5 EGBGB a.F. – zur Vermeidung der Auswirkungen eines unvorhergesehenen "Statutenwechsels" die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen – mit Ausnahme eines Erbvertrages – dem Recht, das nach den einschlägigen Kollisionsnormen der EuErbVO auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre, wenn die Person, die die Verfügung errichtet hat, zu diesem Zeitpunkt verstorben wäre. Es gilt das unwandelbare sog. Errichtungsstatut, also das Recht, welches anhand der Umstände bei Errichtung der Verfügung hypothetisch Erbstatut wäre – so als wäre der Erbfall unmittelbar nach Testamentserrichtung eingetreten.
Rz. 3
Gemäß Art. 24 Abs. 2 EuErbVO kann der Erblasser für die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit seiner Verfügung von Todes wegen auch das Recht eines Heimatstaates wählen, das er nach Art. 22 EuErbVO hätte wählen können. Der Erblasser kann also eine auf die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit der Verfügung inhaltlich beschränkte Rechtswahl vornehmen (sog. funktionell beschränkte Rechtswahl bzw. Teilrechtswahl). Diese Rechtswahl erfasst dann sämtliche unter Art. 26 EuErbVO genannten Aspekte. Für die übrigen Fragen der Erbfolge gilt dagegen das am gewöhnlichen Aufenthalt zum Zweitpunkt des Todes geltende Recht bzw. ein gem. Art. 22 EuErbVO gewähltes anderes Heimatrecht; bspw. weil der Erblasser Mehrstaater ist und mit der Rechtswahl aus Art. 24 Abs. 2 und Art. 22 EuErbVO jeweils verschiedene Heimatrechte bestimmt hat, oder weil er die Staatsangehörigkeit nach der Errichtung des Testaments gewechselt hat und ein weiteres Rechtswahltestament unter Aufrechterhaltung des ursprünglichen Testaments errichtet hat.
Rz. 4
Damit ergibt sich für die Ermittlung des auf die Wirksamkeit eines Testaments anwendbaren Rechts folgende Anknüpfungsleiter:
1. |
Vorrangig gilt das Recht eines Heimatstaates des Testators, das dieser gem. Art. 24 Abs. 2, Art. 22 EuErbVO als auf die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit seiner Verfügung anwendbares Recht gewählt hat. |
2. |
Hat er keine auf dieses Errichtungsstatut bezogene Rechtswahl getroffen, so gilt ersatzweise das Heimatrecht, das er in dem Testament oder irgendwann einmal vor der Errichtung dieses Testaments gem. Art. 22 EuErbVO als das allgemein auf seine Rechtsnachfolge von Todes wegen geltende Recht gewählt hat, Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 EuErbVO. |
3. |
Hat er gar keine Rechtswahl getroffen oder trifft er aber eine solche erst nach Errichtung des Testaments, so gilt hilfsweise das Recht des Staates, in dem er zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 EuErbVO (sollte die Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO eingreifen, käme es auf die erheblich engere Verbindung zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments an). |
Rz. 5
Tritt Nachlassspaltung ein – z.B. weil das Erbkollisionsrecht des Drittstaates, in dem der Erblasser bei Errichtung des Testaments seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, eine gespaltene Anknüpfung des Erbstatuts vorsieht, oder weil insoweit ein bilaterales Übereinkommen eingreift, welches eine Nachlassspaltung anordnet –, so ist die Wirksamkeit der Verfügung für jeden der einzelnen Spaltnachlässe gesondert zu prüfen. So kann es dazu kommen, dass das Testament bezüglich des einen Spaltnachlasses wirksam ist, bezüglich eines anderen nicht.