(a) Art. 3 GG
Rz. 1597
Art. 3 GG
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) 1Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
2Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) 1Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
2Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Rz. 1598
Art. 3 I GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Auch Regelungen innerhalb der Sozialreformen können gegen Art. 3 I GG verstoßen. Gegen das Willkürverbot ist verstoßen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Dabei muss sich die Ungleichbehandlung sachbereichsbezogen auf einen vernünftigen oder sonst wie einleuchtenden Grund zurückführen lassen.
Rz. 1599
Obwohl die DRV Versicherungsleistungen für die verletzte Person identische RV-Beitragsleistungen erhält wie bei einem vergleichbar (rv-pflichtige Arbeitsleistung erbringenden) Versicherten, zahlt sie ungleiche Leistungen aus. Bei den vom Ersatzpflichtigen nach § 119 SGB X erbrachten Zahlungen handelt es sich weder um gekürzte noch um rechtlich schlechtere RV-Beiträge, sondern vielmehr um vollwertige Beitragsleistungen (§ 119 III 1 SGB X). Der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) verlangt Gleiches gleich zu behandeln; die öffentliche Gewalt darf miteinander vergleichbare Fälle nicht nach unterschiedlichen Grundsätzen behandeln. Das muss dazu führen, dass die rechtlich bereits in § 119 SGB X gleichgestellten vom Schädiger ersatzweise gezahlten Beiträge wirtschaftlich denselben Erfolg herbeiführen wie jene von einem Arbeitnehmer/Arbeitgeber erwirtschafteten und abgeführten RV-Beiträge.
Rz. 1600
Deutlich wird die Ungleichbehandlung bei Kürzung der Regelaltersrente allein wegen des zeitlich vorangegangenen VEM-Rentenbezugs (Beispiel 4.17 siehe Rn 1577). Hier fehlt es an einer Gleichbehandlung der Beitragsleistung.
Rz. 1601
Übersicht 4.29: Gleichbehandlung bei Altersrentenbezug in zeitlicher Folge nach Erwerbsminderungsrente
|
unfallfremd krank |
unfallkausal krank |
gesund |
VEM-Rentenbezug |
+ |
+ |
– |
Beitragsleistung |
– |
+ |
+ |
(b) Art. 14 GG
Rz. 1602
Art. 14 GG
(1) 1Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) 1Eigentum verpflichtet.
2Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) 1Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
2Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.
3Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.
4Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Rz. 1603
Art. 14 GG ist mehrfach betroffen, zum einen durch die Forderungszuweisung in § 119 SGB X ohne adäquate Gegenleistung, zum anderen durch vereinnahmte tatsächliche Pflichtbeitragsleistung ohne beitragsentsprechende ungekürzte Auszahlung späterer Rente.
(aa) Forderungsübergang
Rz. 1604
Forderungsübergänge sind Enteignungen i.S.v. Art. 14 GG (siehe auch § 2 Rn 180; Rn 1604).
Rz. 1605
§ 119 SGB X nimmt dem Geschädigten seine Forderungsbefugnis für einen Schaden (Rentenminderung) und gibt ihm – anders als das bis zum 1.7.1983 geltende Recht, demgegenüber § 119 SGB X die rechtliche Stellung des Geschädigten ja verbessern wollte – teilweise (z.B. bei einer auf Erwerbsminderungsrentenbezug folgende Altersrente, Beispiel 4.17 siehe Rn 1577) im Gegenzug keine adäquate Gegenleistung. Es verstößt gegen Art. 14 GG, wenn aus den nach § 119 SGB X vom RVT regressierten Zahlungen keine bzw. nicht dieselben Leistungen gewährt werden wie bei "echter" RV-Beitragszahlung in derselben Höhe.
Rz. 1606
Die Rechtsprechung des BVerfG (siehe Rn 1610) verhält sich zum Eigentumsschutz von Anwartschaften und ähnlichen (letztlich) sozialen Wohltaten, auf deren Fortbestrand ein Sozialversicherter allerdings nicht unbedingt vertrauen kann. Für Beiträge gilt demgegenüber aber das Äquivalenzprinzip.