Christoph Teichmann, Ralf Knaier
A. Einführung
Rz. 1
Die Frage, was unter dem "Sitz" einer Gesellschaft zu verstehen ist, muss in verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen (Registerrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht etc.) teilweise unterschiedlich beantwortet werden. Wichtig sind folgende begriffliche Unterscheidungen: Da eine Kapitalgesellschaft durch Eintragung im Handelsregister entsteht, hat sie jedenfalls einen bestimmten Registersitz. In der Regel ist das derjenige Ort, den der Gesellschaftsvertrag als Sitz festgelegt hat (Satzungssitz). Beides ist aber begrifflich zu trennen. In bestimmten Zusammenhängen ist weiterhin der effektive Verwaltungssitz von Bedeutung, also der Ort, an dem sich die Geschäftsleitung befindet und die Gesellschaft ihr Tätigkeitszentrum innehat. Diese Unterscheidung zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz ist den meisten Mitgliedstaaten der EU geläufig. Sodann hat die GmbH-Reform 2008 mit dem MoMiG den Terminus der inländischen Geschäftsanschrift eingeführt, die bei Anmeldung der Gesellschaft mitzuteilen ist (§§ 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG, 10 Abs. 1 GmbHG; siehe auch die entsprechenden Regeln für die AG in §§ 37 Abs. 2 Nr. 2, 39 Abs. 1 S. 1 AktG). Hinzu kommt, dass der Sitz eine materiell-rechtliche Bedeutung im nationalen Recht und zugleich eine kollisionsrechtliche Bedeutung bei grenzüberschreitenden Vorgängen hat.
Rz. 2
In der Praxis laufen all diese Bezeichnungen häufig auf ein und denselben geographischen Ort hinaus. Die Gesellschaft wird typischerweise in dem Gerichtsbezirk eingetragen, in dem sie ihren Satzungssitz wählt; dort wird sie in der Regel auch ihre Geschäftsleitung ansiedeln und zweckmäßigerweise deren Adresse als inländische Geschäftsanschrift angeben. Zu rechtlichen Schwierigkeiten führen Sachverhalte, bei denen die genannten Bezeichnungen auf unterschiedliche Orte hinweisen (Sitzaufspaltung). Besondere rechtliche Komplexität erlangen Sachverhalte, bei denen sich die betreffenden Orte auf das Territorium verschiedener Staaten verteilen. Von einer Sitzverlegung i.w.S. kann man sprechen, wenn sich Register-, Satzungs-, Verwaltungssitz oder inländische Geschäftsanschrift nach Gründung der Gesellschaft verändern.
Rz. 3
Die verschiedenen Begrifflichkeiten des Sitzes einer Gesellschaft sollen einleitend unter B. (siehe Rdn 4 ff.) in ihrer allgemeinen rechtlichen Bedeutung betrachtet werden. Im Anschluss daran wird unter C. die rechtlich weniger problematische Verlegung des Sitzes im Inland behandelt (siehe Rdn 13 ff.). Bei der Sitzverlegung über die Grenze wird unter D. und unter E. danach unterschieden, ob es sich um den Verwaltungssitz (siehe Rdn 16 ff.) oder um den Satzungssitz (siehe Rdn 49 ff.) handelt.
B. Sitz einer Gesellschaft und seine rechtliche Bedeutung
Rz. 4
Rechtsregeln zum Sitz der Gesellschaft finden sich einerseits im materiellen nationalen Gesellschaftsrecht, das bestimmte Sachnormen für die Wahl und die Verlegung des Sitzes aufstellt, und andererseits im Kollisionsrecht oder "Internationalen Gesellschaftsrecht", das die Bestimmung des anwendbaren Rechts regelt und dabei an den Register-, Satzungs- oder Verwaltungssitz anknüpft.
I. Nationales Gesellschaftsrecht
Rz. 5
Das materielle Gesellschaftsrecht regelt insbesondere die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages. Nach deutschem Recht muss der ...