1. Typischer Sachverhalt
Rz. 213
In Ergänzung des Sachverhalts (siehe Rdn 211): Die Beschwerdekammer beim Landgericht hat den Haftbefehl aufrecht und in Vollzug gelassen. Die Staatsanwaltschaft hatte mitgeteilt, dass an der Glaubwürdigkeit des Tatopfers auch aufgrund des Verletzungsbildes keinerlei Zweifel gehegt werden könnten. An der Verzögerung des Verfahrens treffe die Staatsanwaltschaft auch keine Schuld, weil versucht worden sei, den Entlastungszeugen zu vernehmen. Dabei habe sich herausgestellt, dass sich dieser bis auf weiteres im Ausland aufhalte. Die Ermittlungen würden demnächst abgeschlossen und Anklage erhoben.
Der Verteidiger hat daraufhin eigene Nachforschungen angestellt und festgestellt, dass der Entlastungszeuge inzwischen wieder zurückgekehrt ist. Deswegen informierte er die Staatsanwaltschaft und bat, den Zeugen sofort zu vernehmen und ihm ein Doppel des Vernehmungsprotokolls zugehen zu lassen. Dabei bestätigte sich die Einlassung des Beschuldigten.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 214
Grundsätzlich können Entscheidungen des Beschwerdegerichts gem. § 310 Abs. 2 StPO nicht weiter angefochten werden. Eine wesentliche Ausnahme aber gilt für Haftsachen gem. § 310 Abs. 1 StPO. Sofern Beschlüsse des Landgerichts Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung oder einen Vermögensarrest über einen Betrag von mehr als 20.000 EUR betreffen, können sie durch die weitere Beschwerde angefochten werden. Diese Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass für den in U-Haft oder Unterbringung befindlichen Beschuldigten die Unschuldsvermutung gilt und er durch die Freiheitsentziehung unmittelbar in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG beeinträchtigt ist, ohne dass gegen ihn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Daraus ergibt sich ein höheres Maß an Prüfungserfordernissen zur Zulässigkeit von Haft- und Unterbringungsanordnungen, so dass vor diesem Hintergrund eine weitere Beschwerde in § 310 Abs. 1 StPO zu den Oberlandesgerichten eröffnet ist.
Rz. 215
Unter den Begriff des "die Verhaftung betreffenden Beschlusses" i.S.d. § 310 Abs. 1 StPO fällt nur die Entscheidung, mit der zuletzt über den (Fort-)Bestand eines Haftbefehls entschieden wurde. Betraf die letzte Entscheidung in der Haftsache nicht den Bestand des Haftbefehls, so ist diese für die Haftbeschwerde nicht maßgeblich.
Rz. 216
Unter den Oberlandesgerichten ist umstritten, ob die weitere Beschwerde gegen den Bestand eines Haftbefehls auch dann zulässig ist, wenn nur dessen Vollzug ausgesetzt, aber nicht aufgehoben wurde. Für die Zulässigkeit spricht, dass auch ein nicht vollzogener Haftbefehl erhebliche Beeinträchtigungen der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte mit sich bringt, etwa durch Auflagen nach § 116 StPO und die andauernde Möglichkeit, erneut inhaftiert werden zu können. Dies gilt auch für die bloße Existenz eines Haftbefehls, ohne dass besonders beschwerende Haftverschonungsauflagen gemacht sind. Schließlich steht der Beschuldigte auch nach Außervollzugsetzung unter dem Druck, dass gegen ihn die Untersuchungshaft angeordnet ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt somit auch für lediglich außer Vollzug gesetzte Haftbefehle.
3. Muster: Weitere Beschwerde gem. § 310 StPO
Rz. 217
Muster 41.29: Weitere Beschwerde gem. § 310 StPO
Muster 41.29: Weitere Beschwerde gem. § 310 StPO
An das Landgericht _____
Az. _____
In dem Ermittlungsverfahren gegen _____ wegen _____
lege ich gegen den Beschluss des Landgerichts _____ vom _____
weitere Beschwerde ein und beantrage unter Aufhebung der angegriffenen Entscheidung,
1. |
den Haftbefehl des Amtsgerichts _____ vom _____ aufzuheben, |
2. |
fürsorglich: ihn unter geeigneten Auflagen außer Vollzug zu setzen. |
Sollte der Senat den Anträgen ohne mündliche Verhandlung nicht stattgeben wollen, wird fürsorglich beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Begründung:
Ein dringender Tatverdacht i.S.d. § 112 StPO kann nicht weiter angenommen werden. Durch die Vernehmung der Staatsanwaltschaft steht fest, dass der Beschuldigte in Notwehr und damit gerechtfertigt gehandelt hat.
Das Vernehmungsprotokoll des Entlastungszeugen liegt an.
Überdies würde die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Der Senat hat nicht erst in dem besonderen Haftprüfungsverfahren gem. § 121 StPO, also nach sechs Monate dauernder Untersuchungshaft, darüber zu befinden, ob noch wichtige Gründe vorliegen, die eine Haftfortdauer rechtfertigen. Auch vor Ablauf dieser Frist muss dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen als Teil des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit jederzeit Rechnung getragen werden. Dies kann im vorliegenden Fall nicht mehr festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren über mehr als drei Monate nicht gefördert. Sie durfte nicht z...