Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 221
Stellt sich – vor Antragstellung – in der mündlichen Verhandlung oder kurz zuvor heraus, dass der eigene Sachvortrag Lücken aufweist, droht der Rechtsstreit verloren zu gehen. Es ist grundsätzlich nicht möglich, Berufung oder Beschwerde einzulegen und den Sachverhalt dann in der zweiten Instanz zu ergänzen. Hier hilft nur der Ausweg, sich "in die Säumnis zu flüchten", sofern noch kein Sachantrag zu Protokoll gestellt worden ist und es sich nicht um einen Einspruchstermin handelt. Dies bedeutet, dass in der mündlichen Verhandlung nicht "verhandelt" wird, also der angekündigte Sachantrag nicht gestellt wird. Die derart agierende Partei wird verfahrensrechtlich so gestellt, als sei sie gar nicht anwesend, also säumig. Das Gericht erlässt dann wahrscheinlich auf Antrag der Gegenpartei ein Versäumnisurteil gegen die nicht-verhandelnde Partei (gegen die beklagte Partei bei Schlüssigkeit der Klage entsprechend § 331 Abs. 1, 2 ZPO). Diese hat aber nach § 338 ZPO die Möglichkeit, dagegen innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des § 339 Abs. 1 ZPO durch Einreichung einer Einspruchsschrift (§ 340 ZPO) Einspruch einzulegen und ist damit prozessual in der Situation, wieder innerhalb der verlängerbaren Einspruchsbegründungsfrist umfangreich vortragen zu können. Durch einen wirksamen Einspruch wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand § 342 ZPO. So kann der Prozess gerettet werden.
Rz. 222
Allerdings treten auch etwaige zuvor bestehende Präklusionswirkungen wieder ein. Damit in einem Präklusionsfall neues Vorbringen nicht zur Verzögerung des Rechtsstreits führt, müsste eine ggf. erforderliche Beweisaufnahme ohne Verzögerung im anzuberaumenden Einspruchstermin erfolgen können, was bei einer erforderlichen Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht möglich wäre. Es bliebe dann bei der Nichtberücksichtigung.
Rz. 223
Beispiel für die Einlegung eines Einspruchs gegen ein nach § 330 ZPO erlassenes klageabweisendes Versäumnisurteil
„In pp. lege ich gegen das am […] verkündete Versäumnisurteil, zugestellt am […]
Einspruch
ein und beantrage,
das Versäumnisurteil vom […] aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger […] EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem […] zu zahlen.
Begründung:
Ich beziehe mich auf meinen bisherigen Sachvortrag nebst Beweisantritten. Ergänzend trage ich wie folgt vor: […]“
Rz. 224
Dieses Vorgehen birgt aber auch Nachteile: Die Kosten, die durch den Erlass des Versäumnisurteils entstanden sind, welches eine Partei gegen sich ergehen lässt, sind von ihm auch im Falle des späteren Erfolgs zu tragen, § 345 ZPO. Durch ein Versäumnisurteil entstehen drei Gerichtsgebühren, die selbst im Falle einer späteren anderen Form der Beendigung des Rechtsstreits angefallen bleiben. Zudem existiert ein gegen den Mandanten vollstreckbarer Titel.