Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 67
Auch in einem Rechtsstreit kann es freilich zu Fehlern kommen. Entscheidet das angerufene Gericht inhaltlich falsch, steht es der betroffenen Partei frei, mit dem zulässigen Rechtsbehelf oder Rechtsmittel dagegen vorzugehen.
Rz. 68
Daneben kann es vorkommen, dass das Gericht die Vorschriften, welche das Verfahren regeln, also Paragrafen der ZPO, unrichtig anwendet. Zu unterscheiden ist insofern, ob es sich um Verstöße gegen zwingende Grundlagen des Prozessrechts handelt oder nicht.
Rz. 69
Verstöße gegen zwingendes Recht brauchen nicht gerügt zu werden. Dazu gehören z.B.:
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ein Verstoß gegen die Regeln zur Beweiswürdigung, |
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das Nichtbeachten von Notfristen oder |
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Formmängel beim Prozessvergleich. |
Rz. 70
Ein darauf gestützter Titel ist mit einem Rechtsmittel angreifbar und kann dann, etwa in der Berufungsinstanz, geltend gemacht werden.
Rz. 71
In anderen Fällen, wenn nicht gegen zwingendes Recht verstoßen wurde, sollte gerügt werden; also bei:
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einem Beweisbeschluss, welcher die Grundrechte des Mandanten verletzt (ganz ausnahmsweise angreifbar mit der sofortigen Beschwerde; die Grundrechtsverletzung ist schlüssig zu behaupten), |
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einem Fehler der Beweisaufnahme, |
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einem Verstoß gegen die Geschäftsverteilung, |
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einem Mangel bei der Zeugenladung, |
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der Vernehmung einer Partei als Zeuge und umgekehrt oder |
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einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör. |
Rz. 72
Die Rüge muss umgehend erhoben werden, z.B. muss der Beklagte nach Zustellung einer Klage noch vor der Erwiderung darauf den Fehler beanstanden, andernfalls kann die Rüge verspätet sein. Für den Beklagten kommt insoweit die Zuständigkeitsrüge oder die Rüge der ordnungsgemäßen Klageerhebung in Betracht. Ferner kann der Beklagte eine nicht ordnungsgemäße Zustellung des Mahnbescheids oder der Klage rügen. Im Übrigen muss die jeweilige Partei in der mündlichen Verhandlung, bevor sie zu verhandeln beginnt, beanstanden. Die Rüge in einem vorangegangenen Schriftsatz reicht dann nicht mehr aus. Fehler der Beweisaufnahme sind vor dem Prozessgericht in der anschließenden Verhandlung zu rügen und nicht erst im nächsten Termin.
Will der Rechtsanwalt den heilbaren Verfahrensfehler hinnehmen, etwa weil der Mandant an einer schnellen Entscheidung interessiert ist, kann unwiderruflich verzichtet oder schlicht rügelos verhandelt werden.