I. Allgemeines
Rz. 87
Soll einer ausländischen Entscheidung im Inland Wirkung verschafft werden, so ist streng danach zu trennen, ob diese Entscheidung aus einem Mitgliedstaat der EuErbVO oder aus einem Drittstaat stammt. Nur für Entscheidungen aus den Mitgliedstaaten enthält die Verordnung in Kapitel IV (Art. 39–58 EuErbVO) Regelungen; über Entscheidungen aus Drittstaaten schweigt sie hingegen. Hier kann auch nicht auf die übrigen europäischen Regelungen zum internationalen Prozessrecht zurückgegriffen werden, da das Erbrecht dort regelmäßig vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen ist. Insoweit bleibt es also beim autonomen nationalen Prozessrecht, in Deutschland also bei den §§ 328, 722, 723 ZPO sowie §§ 108–110 FamFG.
II. Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen
1. Anerkennungsfähigkeit und Anerkennungswirkungen
Rz. 88
Anerkennungsfähig sind Entscheidungen, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind. Der Begriff der Entscheidung wird in Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO näher umschrieben. Es gilt ein weites Verständnis, nach der jede Entscheidung eines staatlichen Gerichts i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuErbVO in einer Erbsache gemeint ist, einschließlich etwa eines Kostenfestsetzungsbeschlusses. Unerheblich ist, ob die Entscheidung im streitigen Verfahren oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangen ist (ErwG 59).
Rz. 89
Keine Entscheidung in diesem Sinne ist das Europäische Nachlasszeugnis. Dieses wirkt nach Art. 69 Abs. 1 EuErbVO unmittelbar in den Mitgliedstaaten, ohne dass es hierfür einer eigenen Grundlage für eine Anerkennung bedarf. Ob dagegen nationale Erbscheine aus anderen Mitgliedstaaten der Verordnung "Entscheidungen" darstellen, die nach Art. 39 EuErbVO anzuerkennen wären, ist sehr umstritten. Der EuGH hat hierzu nun Stellung bezogen. Danach liegt jedenfalls dann keine "Entscheidung" vor, wenn der Erbschein von einem Notar nur auf einstimmigen Antrag aller Erben ausgestellt wird. Der Notar nähme in diesem Falle nämlich keine gerichtliche, also streitentscheidende Funktion wahr.
Rz. 90
Die Anerkennung einer Entscheidung bedeutet nichts anderes als die Erstreckung ihrer Wirkungen ins Inland. Die Entscheidung entfaltet also im Anerkennungsstaat dieselben Wirkungen wie im Ursprungsstaat. Das Recht des Gerichts, welches die Entscheidung erlassen hat, bestimmt also etwa über die Rechtskraft der Entscheidung, ihre Gestaltungswirkung und die Wirkung gegenüber Dritten.
Rz. 91
Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten werden ipso iure anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Anerkennungsverfahrens bedarf (Art. 39 Abs. 1 EuErbVO). Dies gilt etwa für die inzidente Anerkennung im Rahmen eines anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens. Hier muss die mit der Sache befasste Stelle selber prüfen, ob sie eine zuvor ergangene Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat beachten muss. Diese Prüfung braucht sie aber nicht von Amts wegen durchzuführen, sondern, wie sich aus Art. 48 EuErbVO ergibt, nur auf Einwendung einer beteiligten Partei.
2. Selbstständiges Anerkennungsverfahren auf Antrag
Rz. 92
Auch wenn die Anerkennung nicht in einem selbstständigen Verfahren geprüft zu werden braucht, können die Parteien durchaus ein Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Anerkennungsfähigkeit haben, wenn diese zwischen ihnen streitig ist. In diesem Falle gewährt Art. 39 Abs. 2 EuErbVO die Möglichkeit, auf Antrag eines Beteiligten eine Entscheidung hierüber herbeizuführen. Dieses selbstständige Anerkennungsverfahren ist dann nach Art. 45 ff. EuErbVO durchzuführen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann nur die Anerkennung der ausländischen Entscheidung verlangt werden, nicht umgekehrt die Feststellung, dass die Entscheidung nicht anerkennungsfähig ist. Ist bereits ein Rechtsstreit zwischen den Beteiligten anhängig, für welchen die ausländische Entscheidung vorgreiflich ist, so kann solch eine selbstständige Anerkennung i.S.d. Art. 39 Abs. 2 EuErbVO (also über die bloße inzidente Prüfung hinaus) auch in diesem Verfahren verlangt werden; eine entsprechende Zuständigkeit begründet für diesen Fall Art. 39 Abs. 3 EuErbVO.