Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 62
Das BAföG kennt im Rahmen seiner Regressvorschriften – anders als das SGB II oder das SGB XII – keinen sozialhilferechtlichen Kostenersatzanspruch, wenn sich der Auszubildende absichtlich oder vorsätzlich bedürftig gemacht hat, sondern nur eine Vermögenszurechnung wegen Rechtsmissbrauchs.
a) "Verprassen"
Rz. 63
So ist ein Auszubildender nicht gehalten, schon etwa sechs Monate vor Aufnahme der Ausbildung und erstmaliger Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Förderungsleistungen sein Vermögen für die Finanzierung seiner Ausbildung bereitzuhalten und es nur aus zwingendem Grund anderweitig zu verwenden. Es steht ihm frei, mit seinem Vermögen vor Aufnahme der Ausbildung und vor Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Förderungsleistungen nach dem BAföG zu machen, was er will, ohne dass er dadurch seinen möglichen Förderungsanspruch gefährdet. Behauptet ein Auszubildender jedoch, in einem Zeitraum von weniger als fünf Monaten insgesamt fast 17.000 EUR für seine allgemeine Lebenshaltung ausgegeben zu haben, soll nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise auch das im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vorhandene Vermögen insoweit anzurechnen sein, als der Auszubildende nicht plausibel dargelegt und beweist, dass und wofür er sein Vermögen konkret verwendet hat.
b) "Verschieben" und Belasten
Rz. 64
Für vor der Antragstellung rechtsmissbräuchlich auf eine dritte Person übertragenes Vermögen hat die Rechtsprechung die Rechtsfigur der rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung entwickelt.
Neben dem ohnehin zu berücksichtigenden Schenkungsrückforderungsanspruch nach §§ 528 ff. BGB handelt es sich um eine Fallkategorie, wonach Vermögen, das rechtsmissbräuchlich verschenkt oder mit Verbindlichkeiten belastet wurde, dem Auszubildenden fiktiv weiter als Vermögen zuzurechnen ist. Dadurch sollen auch diejenigen Gegenstände erfasst werden, die vor Antragstellung in der Absicht, eine Vermögensanrechnung zu verhindern, auf Dritte (insbesondere Angehörige) übertragen wurden. Dabei muss die Schwelle der Nichtigkeit gem. §§ 134, 138 BGB nicht überschritten sein. Die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Vermögensübertragung wird an den Indikatoren
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Rechtsgrundlosigkeit, |
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Unentgeltlichkeit und |
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zeitliche Nähe der Übertragung zur Beantragung der Ausbildungsförderung |
festgemacht.
Rz. 65
Fallbeispiel 74: Das verschwiegene Wertpapierdepot
Der Student S war neben einigen im BAföG-Antrag angegebenen Vermögenswerten auch Inhaber eines auf seinen Namen bei der D.-Bank eingerichteten Wertpapierdepots, das er am 8.10.2019 auf seine Schwester übertragen hatte. Dieses Konto wies im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Gewährung von Ausbildungsförderung am 20.12.2019 ein Guthaben in Höhe von 20.598 EUR aus. Als das BAföG-Amt die Leistungsbewilligung 2020 wegen falscher Angaben aufhob, erklärte S, bei dem Guthaben des Wertpapierdepots handele es sich nicht um sein Vermögen. Das Geld habe seiner zwischenzeitlich verstorbenen Großmutter gehört. Er habe das Wertpapierdepot für diese treuhänderisch verwaltet. Zudem habe er das Guthaben des Wertpapierdepots auf Anweisung seiner Großmutter auf seine Schwester übertragen und nicht um seine Bedürftigkeit herbeizuführen.
Rz. 66
Das BVerwG folgte dieser Argumentation nicht. Es verneinte den Abschluss einer Treuhandvereinbarung nach den vorstehenden Anforderungen zwischen S und seiner Großmutter und rechnete das Wertpapierguthaben dem sonstigen Vermögen des S zu.
Rz. 67
Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und Abs. 4 SGB X kann der Leistungsträger einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn der Begünstigte deswegen nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts vertrauen durfte, weil dieser auf Angaben beruht, die er grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Soweit ein Verwaltungsakt zurückgenommen worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen gem. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten.
Rz. 68
Es gilt die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide. Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Sie wird nicht schon durch Informationen des Bundesamtes für Finanzen auf Freistellungsaufträge für Kapitaleinkünfte der auszubildenden Person in Lauf gesetzt, sondern erst durch die nach einem entsprechenden Aufforderungsschreiben vorgelegten Unterlagen der auszubildenden Person.
Rz. 69
Das BVerwG hat S den Vertrauensschutz versagt und ihm grobe Fahrlässigkeit bestätigt. Die unentgeltliche Übertragung des Depots auf seine Schwester sei fö...