Rz. 96
Bei der Regelung der Obliegenheiten, also der Regelung zum Verhalten des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Rechtsschutzfalles, ist zu unterscheiden zwischen dem gebotenen Verhalten gegenüber dem Versicherer (§ 17 Abs. 1 ARB 2010) und dem gebotenen Verhalten, das der Versicherungsnehmer zu erfüllen hat, gegenüber dem beauftragten Rechtsanwalt, also die Verpflichtung, den beauftragten Anwalt vollständig und wahrheitsgemäß zu unterrichten, Beweismittel anzugeben, Auskünfte zu erteilten und die notwendigen Unterlagen zu beschaffen (§ 17 Abs. 5 lit. a ARB 2010).
Die vorgenannte Regelung in § 17 Abs. 5 lit. a ARB 2010 betrifft nur das Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer, also Mandant, und Anwalt. Erfüllt der Versicherungsnehmer diese Verpflichtung nach Einschätzung des Anwaltes nicht, so ist dieser wegen der ihm obliegenden Verpflichtung zur Verschwiegenheit gehindert, über das Verhalten des Versicherungsnehmers die Rechtsschutzversicherung zu informieren. Dem Anwalt bleibt in diesem Fall nur die Möglichkeit, das Mandat niederzulegen.
Der Versicherungsnehmer hat aber vor Erhebung einer Klage und Einlegung von Rechtsmitteln die Zustimmung des Versicherers einzuholen, soweit seine Interessen nicht unbillig beeinträchtigt werden. "Abstimmen" i.S.v. § 17 Abs. 1 lit. c aa ARB 2010 bedeutet nicht, vom Versicherer eine Zustimmung einzuholen, sondern nur den Versicherer von den geplanten Maßnahmen zu unterrichten und seine Stellungnahme abzuwarten.
Nach unberechtigtem Widerruf einer Kostenschutzzusage besteht für den VN keine Obliegenheit mehr, sich bei einer Klageerweiterung mit dem Versicherer abzustimmen, da dies eine Förmelei darstellen würde.
Rz. 97
Besonderheiten können sich ergeben bei eilbedürftig fristwahrender Einlegung von Rechtsmitteln oder Klageerhebung zur Hemmung der Verjährung.
Rz. 98
Die Abstimmungsobliegenheit gilt nicht für Prozesshandlungen, die keine kostenauslösende Wirkung haben oder die bereits mit der Deckungszusage für eine Instanz vom Versicherungsschutz erfasst werden. Hierzu gehören z.B. Beweisanträge, Erledigungserklärungen, eine geringfügige Klageerweiterung.
Rz. 99
Es besteht keine Pflicht des Versicherungsnehmers, auf Verlangen des Versicherers vor Erhebung einer Klage zunächst weitere Verhandlungen mit der Gegenseite zu führen. Auch besteht keine grundsätzliche Abstimmungsobliegenheit bei Klagerücknahme. Jedoch besteht wiederum eine Abstimmungsobliegenheit bei risikobehafteter Klageerweiterung nach vorangegangener Leistungsablehnung. Offenbar etwas weit gehend ist die Ansicht des AG Düsseldorf, wonach auch bei der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Befangenheitsantrages das Vorgehen mit dem Versicherer abzustimmen ist. Dies ist deshalb weit gehend, weil das Beschwerdeverfahren den gedeckten Streitgegenstand betrifft.
Rz. 100
Demgegenüber ist eine Klageerhöhung, insbesondere wenn sie den Streitwert um ein Mehrfaches erhöht, dem Versicherer unverzüglich zu melden. Eine unterbliebene Anzeige der Klageerhöhung ist auch eine relevante Obliegenheitsverletzung, die geeignet ist, die Interessen des Versicherers zu gefährden.
Rz. 101
Die Abstimmungs- und Informationsobliegenheiten können jedoch begrenzt sein. So kann die Rechtsschutzversicherung sich nicht auf Leistungsfreiheit berufen, wenn sie nach Vorlage des Klageentwurfes Deckung für die erste Instanz und nach Vorlage des erstinstanzlichen Urteils Deckung für die zweite Instanz erteilt hat. Sie kann sich später nicht auf eine Verletzung der Abstimmungs- und Informationsobliegenheit berufen, wenn die im Entwurf vorgelegte Klage ausgebracht und das erstinstanzliche Urteil später in vollem Umfang angegriffen wird.
Rz. 102
Eine Abstimmungsobliegenheit liegt nicht vor, wenn zunächst Rechtsschutzdeckung für eine anwaltliche Erstberatung erteilt wurde, wonach eine Tätigkeit nach außen entfaltet wird. Dies gilt insbesondere, wenn sich gegenüber dem Gegenstand der Erstberatung eine Ausweitung des Gesamtanspruches ergibt.