RVG VV Nr. 4141
Leitsatz
Eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV fällt nicht an, wenn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren durch anwaltliche Mitwirkung eingestellt und die Sache zur Verfolgung der Tat als Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgegeben wird.
BGH, Urt. v. 5.11.2009 – IX ZR 237/08
Sachverhalt
Der Kläger hatte einen Rechtsanwalt beauftragt, ihn in einem verkehrsrechtlichen Ermittlungsverfahren vor der Staatsanwaltschaft zu verteidigen. Der Anwalt gab daraufhin für den Kläger eine Einlassung ab, worauf die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren einstellte und die Sache an die zuständige Verwaltungsbehörde zur Verfolgung der dem Kläger vorgeworfenen Tat als Ordnungswidrigkeit abgab.
Gegenüber der Beklagten, dem Rechtsschutzversicherer des Klägers, rechnete der Rechtsanwalt neben der Grundgebühr und der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren auch eine zusätzliche Gebühr für die Erledigung des Strafverfahrens ohne Hauptverhandlung ab. Die Beklagte vertrat die Ansicht, diese Gebühr sei nicht angefallen, da das Verfahren als solches nicht endgültig eingestellt, sondern an die Verwaltungsbehörde abgegeben worden sei.
Der Kläger hat daraufhin gegen die Beklagte auf Freistellung von der zusätzlichen Gebühr geklagt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die dagegen erhobene zugelassene Revision hatte Erfolg.
Aus den Gründen
Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in BRAK-Mitt. 2009, 40 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV entstehe auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgebe. Der in Nr. 4141 VV verwandte Begriff "Verfahren" bezeichne ausschließlich das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, wie sich aus einer Gesamtschau des § 17 Nr. 10 RVG sowie der Vorschriften der Teile 4 und 5 VV ergebe. Straf- und Bußgeldverfahren stellten verschiedene Angelegenheiten dar, für die unterschiedliche Gebührentatbestände gälten. Hinzu komme die Kompensationsfunktion der zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV. Ein Anwalt, der sowohl in der Hauptverhandlung im Strafverfahren als auch in einem sich anschließenden Bußgeldverfahren tätig werde, erhalte sowohl die im Straf- als auch die im Bußgeldverfahren anfallenden Gebühren; finde eine Hauptverhandlung im Strafverfahren nicht statt, müsse aus Gründen der Gleichbehandlung die Gebühr nach Nr. 4141 VV greifen. Eine Anrechnung der strafrechtlichen Erledigungsgebühr habe der Gesetzgeber – anders als hinsichtlich der Verfahrensgebühr in Anm. Abs. 2 zu Nr. 5100 VV – gerade nicht vorgesehen.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Gebühr nach Nr. 4141 VV entsteht, wenn "das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird" (Anm. Abs. 1 Nr. 1). Wie der Begriff des "Verfahrens" im hier vorliegenden Fall des Zusammentreffens eines Straf- und eines Bußgeldverfahrens zu verstehen ist, ob die Gebühr also auch dann verdient ist, wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt wird und die Sache gem. § 43 OWiG an die Verwaltungsbehörde abgegeben wird, ist im Gesetz nicht näher geregelt und in der instanzgerichtlichen Rspr. und der Lit. umstritten (dafür z.B. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 18. Aufl., VV 4141 Rn 16; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Angelegenheiten Rn 15; Uher, in: Bischof u.a., RVG, 3. Aufl., VV 4141 Rn 110; Schneider, in: AnwK-RVG, 4. Aufl., VV 4141 Rn 19 ff.; LG Osnabrück zfs 2008, 711 f.; AG Nettetal AGS 2007, 404; AG Lemgo JurBüro 2009, 254; dagegen Hartmann, KostG, 39. Aufl., VV 4141 Rn 4; AG München JurBüro 2007, 84; AG Osnabrück, Urt. v. 4.1.2008–31 C 421/07, zit. nach juris.; AG Dortmund, Urt. v. 13.10.2008–411 C 3253/08, n.v.).
Der Wortlaut der Vorschrift der Nr. 4141 VV gibt für die Beantwortung der Frage nichts her. Der Begriff "Verfahren" kann als Oberbegriff verstanden werden, der sowohl das strafrechtliche Ermittlungsverfahren als auch das Bußgeldverfahren umfasst; er kann aber auch nur das strafrechtliche Ermittlungsverfahren meinen. Die systematische Stellung der Vorschrift im Teil 4 VV, der mit "Strafsachen" überschrieben ist, könnte dafür sprechen, dass der Begriff "Verfahren" hier i.S.v. Strafverfahren unter Ausschluss der "Bußgeldverfahren" verwandt wird. Zwingend ist dies aber nicht. Die Vorschrift des § 17 Nr. 10 RVG, nach welcher das strafrechtliche Ermittlungsverfahren einerseits, ein nach dessen Einstellung sich anschließendes Bußgeldverfahren andererseits gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten darstellen, hilft ebenfalls nicht weiter, weil Nr. 4141 VV nicht auf den Abschluss der gebührenrechtlichen "Angelegenheit" abstellt, sondern eben auf die Einstellung "des Verfahrens". Die Gesetzesmaterialien zu Nr. 4141 VV (BR-Drucks 830/03, S. 286 f. = BT-Drucks 15/1971) und zu § 84 Abs. 2 BRAGO als der Vorgängervorschrift (BT-Drucks 12/6962, S. 106) enthalten keinerlei Anha...