ZPO §§ 511 Abs. 2 Nr. 1, 297
Leitsatz
Bei der Bestimmung des Beschwerdegegenstands bleibt eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Klageerweiterung grundsätzlich außer Ansatz.
BGH, Beschl. v. 19.3.2009 – IX ZB 152/08
1 Sachverhalt
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Rechtsanwaltshonorar in Anspruch. Sie haben in der mündlichen Verhandlung vor dem AG nach teilweiser Klagerücknahme beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 414,59 EUR nebst Zinsen sowie weiterer 18,76 EUR zu verurteilen, und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Erledigungserklärung ist einseitig geblieben. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung haben die Kläger einen Schriftsatz eingereicht, durch den sie im Wege der Klageerhöhung eine Verurteilung der Beklagten auf Zahlung von weiteren 85,72 EUR beantragt haben. Diesen Schriftsatz hat das AG der Beklagten formlos mit dem Hinweis übermittelt, dass ein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht gegeben sei.
Das AG hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an die Kläger 321,29 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das LG als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Das LG hat ausgeführt, die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei nicht erreicht. Die Beschwer der Kläger belaufe sich bei günstigster Berechnung unter Einbeziehung der Kosten für den erledigten Teil auf höchstens 569,63 EUR. Bei der Bemessung der Beschwer bleibe die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgenommene Klageerhöhung um 85,72 EUR außer Betracht, weil sie in dem angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden sei und daher keine Beschwer zu Lasten der Kläger begründe.
Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Zutreffend hat das LG angenommen, dass der Beschwerdegegenstand von über 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht erreicht ist.
1. Fehlt es – wie im Streitfall – an einer Zulassung durch das Erstgericht (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), ist eine Berufung gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes unterscheidet sich begrifflich sowohl von dem erstinstanzlichen Streitwert als auch der Beschwer: Der Streitwert bestimmt die Grenzen der Beschwer, die im Falle einer Teilstattgabe den Streitwert unterschreiten, ihn aber selbst bei einer uneingeschränkten Verurteilung oder Klageabweisung nicht überschreiten kann. In Übereinstimmung mit dem Verhältnis von Streitwert zu Beschwer begrenzt der Wert der Beschwer seinerseits den Wert des mit einem Rechtsmittel zu verfolgenden Beschwerdegegenstandes, der – wenn der Rechtsmittelführer die ihm nachteilige Entscheidung teils hinnimmt – geringer, aber selbst bei einem unbeschränkten Rechtsmittel keinesfalls höher als die Beschwer sein kann (Jauernig, NJW 2001, 3027 f). Mit dem Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) ist darum der Wert der Beschwer gemeint, den der Rechtsmittelführer mit dem Ziel ihrer Beseitigung zur Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht stellt (RGZ 160, 204, 213; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl., § 511 Rn 46; Musielak/Ball, ZPO, 6. Aufl., § 511 Rn 18). Aus diesen Erwägungen muss der Rechtsmittelführer mit der Berufung die Beseitigung einer Beschwer von mehr als 600,00 EUR verfolgen.
2. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Klägers ist grundsätzlich von der "formellen Beschwer" auszugehen. Danach ist der Kläger insoweit beschwert, als das angefochtene Urteil von seinen Anträgen abweicht (BGHZ 50, 261, 263; BGH, Urt. v. 9.10.1990 – VI ZR 89/90, NJW 1991, 703, 704). Im Blick auf den Teilerfolg der Klage beträgt die Beschwer der Kläger bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nach den rechtlich zutreffenden und von den Klägern unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts höchstens 569,63 EUR. Angesichts dieser Beschwer kann der Beschwerdegegenstand von 600,00 EUR nicht erreicht sein.
3. Die Rechtsbeschwerde meint, wegen der uneingeschränkten Weiterverfolgung des erstinstanzlich abgewiesenen Klagebegehrens erhöhe sich die Beschwer der Kläger um den nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemachten weiteren Zahlungsanspruch über 85,72 EUR auf 655,35 EUR. Dem kann nicht beigetreten werden.
a) Gem. § 296a ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Da die Vorschrift lediglich Angriffsmittel, aber nicht den Angriff und damit die Klage selbst betrifft, werden zwar neue Sachanträge von ihrem Regelungsbereich nicht erfasst (vgl. nur Musielak/Huber a.a.O., § 296a Rn 3). Wie sich jedoch aus §§ 256 Abs. 2, 261 Abs. 2, 297 ZPO ergibt, ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werd...