I. Fragen
1. Ausgangsfall
Rechtsanwalt A wird von Herrn O, der türkischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache nicht mächtig ist, beauftragt, eine Darlehensforderung i.H.v. 10.000,00 EUR einzuklagen. Hierzu legt O dem Rechtsanwalt ein Konvolut von Unterlagen vor, die teils in türkischer, teils in deutscher Sprache verfasst sind. Rechtsanwalt A, der ebenfalls aus der Türkei stammt und sowohl die türkische als auch die deutsche Sprache gut beherrscht, übersetzt erst einmal für sich die in türkischer Sprache abgefassten Dokumente, zu denen auch der verfahrensgegenständliche Darlehensvertrag gehört.
In einem einstündigen auf Türkisch geführten Gespräch erörtert Rechtsanwalt A dem O die Sach- und Rechtslage, bespricht mit ihm das Prozesskostenrisiko und den Verlauf des Klageverfahrens. Dabei erläutert Rechtsanwalt A seinem Mandanten auch den Inhalt der in deutscher Sprache abgefassten Dokumente.
Welche Vergütung ist Rechtsanwalt A bis zu diesem Zeitpunkt angefallen?
2.1. Abwandlung
Nunmehr reicht Rechtsanwalt A beim Prozessgericht die von ihm gefertigte Klageschrift ein und fügt ihr als Anlage die von dem vereidigten Dolmetscher D gefertigte schriftliche Übersetzung der in türkischer Sprache verfassten Dokumente, insbesondere des Darlehensvertrages, bei. Mit einem auf Türkisch verfassten kurzen Schreiben übersendet Rechtsanwalt A seinem Mandanten eine Abschrift der Klageschrift. Den Dolmetscher D hat Rechtsanwalt im eigenen Namen beauftragt und ihm dessen in Anwendung der §§ 8 ff. JVEG berechnete Vergütung i.H.v. 800,00 EUR gezahlt.
Welche Vergütung ist Rechtsanwalt A nunmehr entstanden?
3.2. Abwandlung
Der Beklagte beantragt mit seiner Klageerwiderung, die Klage abzuweisen, und tritt Beweis unter Vorlage von in deutscher Sprache verfassten Urkunden an. Aus diesen ergibt sich, dass der Beklagte schon vor Klageerhebung gegen die Darlehensforderung mit einer fälligen Gegenforderung aufgerechnet hat.
In einem weiteren Besprechungstermin übersetzt Rechtsanwalt A dem Kläger mündlich die Klageerwiderungsschrift und überreicht ihm eine von ihm selbst gefertigte schriftliche Übersetzung der von dem Beklagten eingereichten Urkunden betreffend die Aufrechnung in die türkische Sprache. Sodann bespricht Rechtsanwalt A mit seinem Mandanten die Sach- und Rechtslage und die danach bestehende äußerst geringe Aussicht, den Rechtsstreit zu gewinnen. Hieraufhin beauftragt O den Rechtsanwalt A, die Klage wegen der fehlenden Erfolgsaussicht zurückzunehmen, was dieser auch tut.
Welche Vergütung kann Rechtsanwalt A nunmehr abrechnen?
II. Lösungen
1. Lösung zum Ausgangsfall
Für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information im Rahmen des ihm erteilten Prozessauftrags ist Rechtsanwalt A nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV die Verfahrensgebühr angefallen. Deren Höhe hängt von den von dem Rechtsanwalt bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Tätigkeiten ab. Da Rechtsanwalt A noch keine der in Nr. 3101 VV aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt hat, insbesondere noch nicht eine Klageschrift beim Prozessgericht eingereicht hat, ist ihm nach Nrn. 3100, 3101 VV lediglich die 0,8-Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 EUR angefallen.
Durch diese Verfahrensgebühr sind auch die mündliche Übersetzung der in deutscher Sprache abgefassten Dokumente in die türkische Sprache und der in türkischer Sprache verfassten Dokumente in die deutsche Sprache sowie das auf Türkisch geführte Mandantengespräch abgegolten.
Mangels Fälligkeit (s. § 8 Abs. 1 RVG) kann Rechtsanwalt A die bisher entstandene Vergütung dem Mandanten noch nicht in Rechnung stellen. Er kann von dem Mandanten allerdings gem. § 9 RVG einen Vorschuss verlangen.
2. Lösung zur 1. Abwandlung
Da Rechtsanwalt A nunmehr die Klageschrift beim Prozessgericht eingereicht hat, ist ihm jetzt die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 EUR angefallen (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV). Hierdurch wird auch das in türkischer Sprache abgefasste Anschreiben an den Mandanten mit abgegolten.
Jedenfalls die Übersendung des Briefes an den Mandanten hat eine Postentgeltpauschale i.S.v. Nr. 7001 VV ausgelöst, was den Rechtsanwalt zur Berechnung der Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV berechtigt.
Ferner steht Rechtsanwalt A die von ihm persönlich dem Dolmetscher D geschuldete und an ihn gezahlte Vergütung i.H.v. 800,00 EUR nach Vorbem. 7 Abs. 1 S. 2 VV als erforderliche Auslagen zu.
Auch hier kann Rechtsanwalt A mangels Fälligkeit (s. § 8 Abs. 1 RVG) die bisher entstandene Vergütung dem Mandanten noch nicht in Rechnung stellen, von ihm jedoch nach § 9 RVG einen entsprechenden Vorschuss verlangen.
3. Lösung zur 2. Abwandlung
Neben der bereits in der ersten Abwandlung für das Einreichen der Klageschrift angefallenen 1,3-Verfahrensgebühr und den verauslagten Dolmetscherkosten kann Rechtsanwalt A nunmehr eine Vergütung für die schriftliche Übersetzung der in deutscher Sprache verfassten Dokumente abrechnen. Diese Vergütung berechnet sich nach ...