ARB; BGB § 305c
Leitsatz
- Ein Rechtsschutzversicherer ist bereits vor dem Ausspruch der formalen Kündigung des Arbeitgebers eintrittspflichtig, sofern die angedrohte Entlassung des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts beschlossen erscheint.
- In diesem Fall schuldet die Versicherung für das anwaltliche Aushandeln eines vorgerichtlichen Abfindungsvergleichs die Geschäfts- und Vergleichsgebühr lediglich auf Basis eines Streitwerts in Höhe des dreifachen Monatslohns des Versicherungsnehmers.
AG Bremen, Urt. v. 4.4.2013 – 9 C 0026/13
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung für Nichtselbstständige unter Einbeziehung der ARB 2000 abgeschlossen. Seit dem 1.7.1997 war er bei der Firma G beschäftigt. Zuletzt bezog er ein monatliches Bruttoeinkommen von 9.000,00 EUR.
Am 19.1.2012 wurde der Beklagte von seinem Arbeitgeber informiert, dass die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses beabsichtigt sei; darüber wurde ein Gesprächsprotokolls gefertigt.
Der Kläger beauftragte sodann einen Rechtsanwalt mit der vorgerichtlichen Wahrnehmung seiner Interessen. Dieser handelte mit der Arbeitgeberin des Klägers am 20.2.2012 einen Aufhebungsvertrag aus.
Die Beklagte hatte auf Anfrage des Klägers bereits mit Schreiben vom 9.2.2012 die begehrte Deckungszusage verweigert und mit Schreiben vom 16.2.2012 lediglich Versicherungsschutz für eine anwaltliche Erstberatung bewilligt.
Die vorgerichtliche Tätigkeit rechnete der Rechtsanwalt gegenüber dem Kläger mit insgesamt 4.582,69 EUR ab (1,5-Geschäftsgebühr sowie 1,5-Einigungsgebühr nebst Auslagen und Umsatzsteuer). Die Beklagte zahlte nur für eine Erstberatung einen Betrag i.H.v. 226,10 EUR.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Versicherungsschutz nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 1 Buchst. c) ARB) eine rechtswidrig ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers vorausgesetzt hätte. Zudem seien die im Abfindungsvergleich ausgehandelten Positionen Zeugnis, Bonus und Freistellung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorab nicht streitig gewesen.
2 Aus den Gründen
Die Klage ist teilweise begründet. Es besteht aufgrund vertraglicher Vereinbarung ein weiterer Zahlungsanspruch in Höhe von 2.322,96 EUR.
1. Gem. § 2 Buchst. b) der ARB bestand Versicherungsschutz "[…] für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen […]". Nach § 4 Abs. 1 S. 2 Buchst. c) ("Zeitliche Voraussetzungen für den Rechtsschutzanspruch, Wartezeit") ist ein Rechtsschutzfall eingetreten, "[…] in dem Zeitpunkt, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll".
Der BGH hat entschieden, dass der Arbeitnehmer die formale Erklärung der (gegebenenfalls rechtswidrigen) Kündigung nicht zwangsläufig abzuwarten braucht, sondern bereits Versicherungsschutz genießt, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der vorgerichtlichen Mandatierung fest steht: Der Vorwurf des Rechtsverstoßes könne in der ernsthaften Kündigungsandrohung für den Fall des Scheiterns eines Aufhebungsvertrags liegen, insbesondere wenn die Kündigung ohne Auskunft über die Sozialauswahl in Aussicht gestellt werde. Anderes mag gelten, wenn der Arbeitgeber lediglich "vorbereitende Gespräche über Möglichkeiten von betrieblich bedingten Stellenreduzierungen und deren etwaigen Umsetzungen führen" wollte (BGH NJW 2009, 365).
Dieser Rechtsansicht ist zu folgen. Denn die ernsthafte Androhung einer (rechtswidrigen) Kündigung stellt für sich genommen einen Verstoß des Arbeitgebers gegen das aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Rücksichtnahme- und Fürsorgegebot dar. Es würde auf eine bloße, nicht einmal im Kosteninteresse des Rechtsschutzversicherers liegende, Förmelei hinauslaufen, wenn der Arbeitnehmer die Kündigungserklärung des Arbeitgebers abzuwarten hätte, bevor er sich – auf Kosten des Versicherers – anwaltlicher Hilfe bedienen darf. Schließlich werden, gerade im Bereich des Managements, die Arbeitsverhältnisse typischerweise einvernehmlich beendet. Dies geschieht über das Aushandeln einer sogenannten Abfindung. Hierbei bedarf der Arbeitnehmer anwaltlicher Unterstützung, um seine schutzwürdigen Interessen nach Prüfung der Sach- und Rechtslage mit dem erforderlichen Nachdruck gegenüber dem strukturell überlegenen Arbeitgeber vertreten zu können. Im vorliegenden Fall führte die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts zum Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit einem Kostenvolumen von ca. 350.000,00 EUR. Würde der Arbeitnehmer aus Versicherungsgründen die Erklärung einer förmlichen Kündigung abzuwarten haben, könnte er in eine gerichtliche Auseinandersetzung gedrängt werden. Schließlich ziehen sich die Verhandlungen über die Konditionen eines Aufhebungsvertrags oftmals hin, eine Kündigungsschutzklage ist aber binnen drei Wochen nach Kündigungszugang zu erheben (§ 4 KSchG). Im Übrigen wird die Kündigung nach ihrem Ausspruch regelmäßig nicht mehr vertraulich behandelt werden (vgl. den Passus ...