FamFG §§ 65 Abs. 3, 69 Abs. 3, 81 Abs. 1
Leitsatz
- Die Billigkeitsentscheidung nach § 81 Abs. 1 FamFG ist in vollem Umfang vom Beschwerdegericht zu überprüfen.
- Die Prüfungskompetenz ist nicht darauf beschränkt, ob das erstinstanzliche Gericht sein Ermessen überhaupt erkannt hat oder der Entscheidung Ermessensfehler zu entnehmen sind.
OLG Bamberg, Beschl. v. 14.5.2020 – 2 WF 90/20
1 Sachverhalt
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern einer in 2019 geborenen Tochter. Sie sind nicht miteinander verheiratet. Der Antragsteller hat die Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge verlangt, wobei die Zustimmung von der Antragsgegnerin verweigert wurde.
Das FamG hat nach Anhörung der Beteiligten im Termin die gemeinsame elterliche Sorge angeordnet (Nr. 1) und in Nr. 2 der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens erster Instanz auferlegt. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Antragsgegnerin in dem Verfahren unterlegen sei, sodass die Regelung der Billigkeit entspräche.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie sich gegen die Kostenentscheidung (Nr. 2) wendet und verlangt, dass die Kosten des Verfahrens erster Instanz aufgehoben werden. Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass dies in familienrechtlichen Angelegenheiten üblich sei, zumal die Antragsgegnerin ihre Einwendungen im Hinblick auf das Kindeswohl vorgebracht habe.
Der Antragsteller verteidigt die angegriffene Entscheidung.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere kommt es auf die Einhaltung der Beschwerdesumme nach § 61 FamFG nicht an (BGH FamRZ 2013, 1876).
Sie ist im Ergebnis auch begründet, weil die Kostenaufhebung (hälftige Teilung der Gerichtskosten und Tragung der außergerichtlichen Kosten durch die Beteiligten selbst) der Billigkeit nach § 81 Abs. 1 FamFG entspricht. Nach Auffassung des Senats ist die Billigkeitsentscheidung nach § 81 Abs. 1 FamFG in vollem Umfang vom Beschwerdegericht zu überprüfen. Die Prüfungskompetenz ist nicht darauf beschränkt, ob das erstinstanzliche Gericht sein Ermessen überhaupt erkannt hat oder der Entscheidung Ermessensfehler zu entnehmen sind. Die letztgenannte Auffassung entspricht zwar der h.M. unter den Oberlandesgerichten (z.B. OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 280; OLG Bremen v. 8.1.2016 – 5 UF 117/15; OLG Saarbrücken FamRZ 2017, 545; Thüringer OLG v. 28.3.2018 – 1 WF 79/18).
Die Auffassung kann jedoch nicht überzeugen und entspricht nach Meinung des Senats auch nicht der Rspr. des BGH. Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 12.1.2016 (FamRZ 2017, 97–98 Rn 9 u. 10) ausgeführt, dass im Bereich der ZPO eine Beschränkung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts bei Ermessens- und Billigkeitsentscheidungen vom BGH abgelehnt wird. Im Bereich der ZPO sei das Berufungsgericht nicht darauf beschränkt zu überprüfen, ob eine Ermessensentscheidung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen auseinandergesetzt hat (BGH NJW 2006, 1589 Rn 30). Diese für das Berufungsverfahren aufgestellten Erwägungen müssten für das Verfahren nach dem FamFG erst recht gelten. Nach § 69 Abs. 3 FamFG seien auf das Beschwerdeverfahren die Vorschriften über den Beschluss der ersten Instanz anzuwenden. Im Beschwerdeverfahren könnten auch – im Gegensatz zur ZPO – neue Tatsachen und Beweismittel uneingeschränkt vorgebracht werden (§ 65 Abs. 3 FamFG). Schon daraus werde deutlich, dass das Beschwerdegericht eine vollständige Prüfung des Sachverhalts vorzunehmen habe, mit der Folge, dass von ihm eigene Ermessenserwägungen anzustellen seien.
Die zitierte Entscheidung ist zwar im Zusammenhang mit einer Billigkeitsentscheidung nach § 18 VersAusglG ergangen. Die dargestellten Erwägungen gelten nach Auffassung des Senats jedoch auch für die Kostenentscheidung. Die Kostenentscheidung unterliegt dem gleichen Rechtsmittel wie die Hauptsacheentscheidung, nämlich der Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG. Eine Beschränkung des Tatsachenvorbringens ergibt sich auch für die Kostenentscheidung nicht aus dem Gesetz. Das Beschwerdegericht ist auch insoweit in vollem Umfang eine neue Tatsacheninstanz mit der Folge, dass es eine neue eigene Tatsachenentscheidung zu treffen hat und folglich von ihm auch eigene Ermessenserwägungen ohne Beschränkungen der Prüfungskompetenz verlangt werden (im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt FamRZ 2013, 1415 sowie Beschl. v. 22.11.2018 – 6 WF 169/18).
Die vom Senat auf der Grundlage des § 81 Abs. 1 FamFG vorzunehmende Billigkeitsabwägung führt zur Teilung der Gerichtskosten sowie dazu, dass die Beteiligten jeweils ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
Ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG liegt nicht vor, insbesondere sind die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 FamFG nicht gegeben, weil ein grobes Verschulden der Antragsgegnerin nicht ersichtlich ist.
Dies schließt allerdings nach der Rspr. des BGH (FamRZ 2016, 218; FamRZ 2014, 7446) nicht aus, dass das Obsiegen bzw. Unterliegen als einer von mehreren B...