ZPO §§ 91 Abs. 1, Abs. 2, 104
Leitsatz
- Grundsätzlich kann ein Berufungsbeklagter die Kosten seines Rechtsanwalts auch dann nach Rücknahme der Berufung erstattet verlangen, wenn die Berufung nur "fristwahrend" eingelegt war. Etwas anderes gilt nur, wenn ein sogenanntes "Stillhalteabkommen" zustande gekommen ist.
- Gibt der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte eine solche Stillhalteerklärung für seine Partei ab, ist diese auch dann daran gebunden, wenn sie für das Berufungsverfahren einen anderen Anwalt beauftragt.
LAG Hessen, Beschl. v. 11.4.2011 – 13 Ta 104/11
1 Sachverhalt
Am 20.9.2010 legten die Beklagten nach erstinstanzlichem Prozessverlust beim LAG Berufung ein. Am 14.10.2010 baten die Beklagtenvertreter um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 18.11.2010, weil noch Überlegungen zu einer vergleichsweisen Lösung angestellt wurden.
Am 18.11.2010, per Fax um 12:15 Uhr, meldeten sich erstmals die derzeitigen Prozessbevollmächtigten für die Klägerin mit dem Antrag, die Berufung zurückzuweisen.
Am 18.11.2010, per Fax um 18:06 Uhr, nahmen die Beklagten die Berufung zurück. Entsprechend wurden ihnen die Kosten der Berufung auferlegt.
Daraufhin beantragte die Klägerin durch ihre derzeitigen Prozessbevollmächtigten Kostenfestsetzung gegen die Beklagten nebst Zinsen wie folgt:
Gegenstandswert: 35.700,00 EUR
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
1.443,20 EUR |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
1.463,20 EUR |
19,00 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV auf 1.463,20 EUR |
278,01 EUR |
Gesamtsumme |
1.741,21 EUR |
Der Rechtspfleger beim ArbG setzte antragsgemäß fest. Dagegen legten die Beklagten sofortige Beschwerde ein mit der Begründung, zwischen den Parteien sei ein sogenanntes "Stillhalteabkommen" zustande gekommen, das eine Kostenfestsetzung gegen sie verbiete.
Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem LAG zur Entscheidung vorgelegt.
Die Beklagten tragen vor, man habe mit dem vormaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20.9.2010 telefonisch vereinbart, dass er sich so lange nicht zu dem Berufungsverfahren melden werde, bis sie, die Beklagten, Klarheit darüber hätten, ob sie die Berufung tatsächlich durchführen. Der vormalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe dem ausdrücklich zugestimmt. Zur Glaubhaftmachung legen die Beklagten eine E-Mail des ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29.3.2011 vor.
Die derzeitigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin wenden ein, sie hätten von dieser Vereinbarung nichts gewusst.
Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die Klägerin kann von den Beklagten nicht die Erstattung der begehrten Kosten verlangen. Der Rechtspfleger hat dem Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin zu Unrecht entsprochen.
Nach dem Gesetz (§ 91 Abs. 1 u. Abs. 2 ZPO) hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese Pflicht reicht so weit, wie die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsansicht, dass der Berufungsgegner, selbst wenn ein Rechtsmittel ausdrücklich nur fristwahrend eingelegt wurde, grundsätzlich sofort einen Anwalt mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren beauftragen kann, ohne gegen die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen (BAG v. 14.11.2007, NJW 2008, 1340; BGH v. 17.12.2002 – X ZB 9/02, JurBüro 2003, 257 [= AGS 2003, 219]; BAG v. 16.7.2003 – 2 AZB 50/02, NZA 2003, 1293 [= AGS 2004, 82]). Dem folgt die erkennende Kammer seit langem (vgl. Kammerbeschl. v. 20.10.2003 – 13 Ta 387/03 und 13 Ta 388/03, v. 30.10.2003 – 13 Ta 397/03, v. 29.3.2004 – 13 Ta 61/04, v. 17.6.2004 – 13 Ta 197/04; v. 4.10.2005 – 13 Ta 339/05; v. 15.3.2006 – 13 Ta 80/0; v. 10.4.2007 – 13 Ta 70/07 – u. v. 10.1.2011 – 13 Ta 484/10; ebenso auch LAG Berlin v. 20.8.2003 – 17 Ta 6060/03, MDR 2004, 58; KG v. 9.5.2005 – 1 W 20/05, JurBüro 2005, 418; LAG Düsseldorf v. 8.11.2006 – 16 Ta 596/05, MDR 2006, 659; vgl. auch: Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 91 Rn 13, Stichwort Berufung m.w.N.). Gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen.
Eine derartige Einschränkung lässt sich auch § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht entnehmen. Es muss genügen, dass der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten darf (BAG und BGH, a.a.O.).
Diese Grundsätze gelten jedoch dann nicht, wenn die Parteien ein sogenanntes Stillhalteabkommen geschlossen haben, also eine Vereinbarung, nach der sich der Vertreter des Berufungsbeklagten so lange nicht zu den Akten der zweiten Instanz legitimieren...