Leitsatz
- Wird in einem einstweiligen Anordnungsverfahren ein Vergleich über die Hauptsache geschlossen, so ist ein Vergleichsmehrwert in Höhe der Hauptsache festzusetzen.
- Wird mit der Beschwerde die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts beantragt, ist nicht nur auf die Gebührendifferenz der Einigungsgebühr abzustellen, sondern es sind auch die Gebührendifferenzen der Verfahrens- und Terminsgebühr mitzuberechnen.
OLG Köln, Beschl. v. 19.6.2015 – 12 WF 60/15
1 Sachverhalt
In einem einstweiligen Anordnungsverfahren hatten die Beteiligten sich über die Hauptsache verglichen. Das FamG hat daraufhin den Verfahrenswert auf den Wert der Hauptsache festgesetzt. Hiergegen hat der Anwalt der Antragstellerin Beschwerde eingelegt und beantragt, den Verfahrenswert mit der Hälfte der Hauptsache festzusetzen sowie einen Mehrwert des Vergleichs in Höhe der Hauptsache.
Das OLG hat ohne vorherigen Hinweis die Beschwerde als unzulässig verworfen, da sich bei Annahme der vom Beschwerdeführer angenommenen Werte keine um mehr als 200,00 EUR höhere Einigungsgebühr ergebe.
Dagegen hat der Beschwerdeführer Gegenvorstellung und hilfsweise Gehörsrüge erhoben und darauf hingewiesen, dass sich bei Annahme seiner Werte auch eine Verfahrensdifferenzgebühr ergebe sowie eine höhere Terminsgebühr und damit die Beschwer von 200,00 EUR überschritten sei. Zudem sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das OLG hätte auf seine Ansicht, die Beschwerde sei unzulässig, hinweisen müssen, um dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, das Gericht auf seinen Fehler hinzuweisen.
2 Aus den Gründen
Auf die gem. § 44 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Gehörsrüge der Beschwerdeführer war das Beschwerdeverfahren fortzusetzen. Dies führte zur Aufhebung des Senatsbeschlusses, weil die im eigenen Namen erhobene Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gegen die Wertfestsetzung des FamG gem. §§ 32 Abs. 2 RVG, 59 Abs. 1 FamGKG statthaft und auch im Übrigen zulässig ist. Von der Erreichung des gem. § 59 Abs. 1 S. 1 FamGKG erforderlichen Mindestbeschwerdewertes von 200,00 EUR ist auszugehen, weil hierfür nicht nur die Einigungsgebühr, sondern auch die Auswirkungen der Festsetzung des Mehrwertes auf die abrechenbaren Verfahrensgebühren zu berücksichtigen sind.
In der Sache hat die Beschwerde Erfolg, weil bei einer vergleichsweisen Miterledigung der Hauptsache innerhalb des Verfahrens über eine einstweilige Anordnung die Werte von Eil- und Hauptverfahren zu addieren sind (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.3.2011 – 5 WF 264/10, zitiert nach juris, Rn 16; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.3.2005 – 10 WF 39/04, zitiert nach juris, Rn 5–11 [= AGS 2006, 37], Hartmann, KostG, 43. Aufl. 2013, Anh. I zu § 48 GKG (§ 3 ZPO) Rn 128).
3 Anmerkung
Die Entscheidung des OLG ist zutreffend. Wird die nicht anhängige Hauptsache neben der einstweiligen Anordnung mit verglichen, so entsteht aus dem Mehrwert der Hauptsache die 0,8-Verfahrensdifferenzgebühr. Zudem entsteht die Terminsgebühr aus dem Gesamtwert von einstweiliger Anordnung und Hauptsache. Die Einigungsgebühr wird ausgelöst aus dem Wert der einstweiligen Anordnung zu einem Gebührensatz in Höhe von 1,0 (Nr. 1003 VV) und aus dem Wert der Hauptsache zu einem Gebührensatz in Höhe von 1,5 (Nr. 1000 VV), wobei § 15 Abs. 3 RVG zu berücksichtigen ist.
Dargestellt am Beispiel einer Kindschaftssache (elterliche Sorge), darf der Anwalt insoweit folgendermaßen abrechnen: Der Wert des Verfahrens (einstweilige Anordnung elterliche Sorge) beträgt 1.500,00 EUR (§§ 41, 45 FamGKG). Durch die Einbeziehung der Hauptsache entsteht für den Vergleich ein Mehrwert von 3.000,00 EUR (§ 45 FamGKG). Zu der 1,3-Verfahrensgebühr aus dem einstweiligen Anordnungsverfahren kommt eine 0,8-Verfahrensgebühr aus dem Mehrwert der Hauptsache hinzu. Die Terminsgebühr entsteht aus dem Gesamtwert (§ 22 RVG). Die Einigungsgebühr entsteht zu 1,0 aus 1.500,00 EUR (Nr. 1003 VV) und zu 1,5 aus 3000,00 EUR (Nr. 1000 VV). Zu beachten ist § 15 Abs. 3 RVG.
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 1.500,00 EUR) |
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149,50 EUR |
2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 3.000,00 EUR) |
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160,80 EUR |
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die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3 aus 4.500,00 EUR (393,90 EUR) ist nicht überschritten |
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3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 4.500,00 EUR) |
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363,60 EUR |
4. |
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 1.500,00 EUR) |
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115,00 EUR |
5. |
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert: 3.000,00 EUR) |
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301,50 EUR |
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die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, 1,5 aus 4500 EUR (454,50 EUR) ist nicht überschritten |
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6. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.110,40 EUR |
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7. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
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210,98 EUR |
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Gesamt |
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1.321,38 EUR |
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Überzeugend hat das OLG schließlich auch die Ermittlung der Beschwer dargestellt und insoweit zutreffend die gesamte Gebührendifferenz als maßgeblich angesehen.
Lotte Thiel
AGS 10/2015, S. 460 - 461