ZPO § 91; RVG § 3a; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300; BRAGO § 118 Abs. 2
Leitsatz
Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV kommt nicht in Betracht, wenn zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessesbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr i.S.v. Nr. 2300 VV entstanden ist, sondern sie ihrem Prozessbevollmächtigten für dessen vorprozessuales Tätigwerden ein von einzelnen Aufträgen unabhängiges Pauschalhonorar schuldet.
BGH, Beschl. v. 18.8.2009 – VIII ZB 17/09
1 Sachverhalt
Nach Abschluss des Verfahrens hatte die Beklagte im Kostenfestsetzungsverfahren u.a. eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV ungekürzt zur Festsetzung gegen den Kläger angemeldet und geltend gemacht, dass mit ihrem bereits vorprozessual in dieser Angelegenheit tätig gewordenen Prozessbevollmächtigten eine Rahmenvereinbarung bestehe, nach der ein Pauschalhonorar gezahlt werde; sie schulde ihm deshalb keine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV und müsse damit auch keine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die Geschäftsgebühr hinnehmen. Das LG hat dies nicht für durchgreifend erachtet und die Verfahrensgebühr auf eine 0,65-Gebühr gekürzt. Auf die Beschwerde der Beklagten hat das OLG die angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr unter Abänderung der erstinstanzlichen Kostenfestsetzung ungekürzt festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
1. Das Beschwerdegericht hat – soweit hier von Interesse – zur Begründung ausgeführt:
Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV komme hier nicht in Betracht, weil zwischen der Beklagten und ihrem Prozessesbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr i.S.d. Anrechnungsvorschrift entstanden sei. Die Beklagte schulde ihrem Prozessbevollmächtigten für sein vorprozessuales Tätigwerden vielmehr unwiderlegt ein von einzelnen Aufträgen unabhängiges Pauschalhonorar. Ein derart aufgrund einer Vergütungsvereinbarung geschuldetes Honorar falle jedoch nicht unter die genannte Anrechnungsvorschrift. Das benachteilige den Kläger auch nicht unangemessen, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, ihn durch Erteilung eines zusätzlichen Auftrags, der eine auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Geschäftsgebühr ausgelöst hätte, (kostenmäßig) zu entlasten.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Das Beschwerdegericht geht in Übereinstimmung mit der mittlerweile einhelligen Auffassung der Oberlandesgerichte (OLG Frankfurt AnwBl 2009, 310, 311; AGS 2009, 157 f.; OLG Bremen AGS 2009, 215 f.; OLG München, Beschl. v. 24.4.2009–11 W 1237/09; OLG Stuttgart AGS 2009, 214, 215) und der gebührenrechtlichen Kommentarliteratur (Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 18. Aufl., VV 2300, 2301, Rn 39; AnwK-RVG/Rick, 4. Aufl., § 4 Rn 12) davon aus, dass es sich bei einer vereinbarten Vergütung (§ 3a RVG, gem. § 60 Abs. 1 S. 1 RVG bis 30.6.2008 § 4 RVG in der Fassung des KostRMoG, im Folgenden: § 4 RVG a.F.) nicht um eine (gesetzliche) Geschäftsgebühr nach Nrn. 2300–2303 VV handelt. Soweit das OLG Stuttgart (AGS 2008, 510) zunächst eine gegenteilige Sichtweise vertreten hat, ist diese ausdrücklich aufgegeben worden (AGS 2009, 214, 215).
b) Der hiervon abweichenden Auffassung der Rechtsbeschwerde, auf die Verfahrensgebühr sei diejenige Geschäftsgebühr anzurechnen, die ungeachtet abweichender Gebührenvereinbarungen nach der gesetzlichen Regelung (fiktiv) entstanden wäre, um auf diese Weise eine Gleichbehandlung mit denjenigen Fällen zu erreichen, in denen eine erstattungsberechtigte Partei ihren Prozessbevollmächtigten bereits mit der vorprozessualen Tätigkeit beauftragt hat, kann nicht gefolgt werden.
aa) Bereits nach ihrem Wortlaut ordnet die Vorbem. 3 Abs. 4 VV nur die Anrechnung entstandener Geschäftsgebühren nach Nrn. 2300–2303 VV auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens an. Zu den hier aufgezählten gesetzlichen Gebühren rechnet eine Pauschalvergütung nach § 4 RVG a.F., die für das vorprozessuale Tätigwerden des Rechtsanwalts allein angefallen ist, aber nicht. Vielmehr schuldet der Auftraggeber des Rechtsanwalts die gesetzliche Gebühr nur dann, wenn keine (wirksame) Vereinbarung über die von ihm zu entrichtende Vergütung getroffen ist (Gerold/Schmidt/Madert, a.a.O., § 1 RVG Rn 212).
bb) Auch sachlich unterscheidet sich die in Rede stehende Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV von der vereinbarten Pauschalvergütung. Während die Geschäftsgebühr nach Vorbem. 2.3 Abs. 3 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags entsteht, und zwar mit Erbringung der ersten Dienstleistung des Gebührentatbestandes (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.1986 – III ZR 67/85, NJW 1987, 315; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl., § 1 Rn 10; AnwK-RVG/Rick, a.a.O., § 1 Rn 28, jeweils m.w.N.), kann eine vereinbarte Pauschalvergütung, die nach § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 RVG a.F. höher oder niedriger als d...