§ 198 GVG
Leitsatz
- Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG wegen unangemessener Verfahrensdauer beginnt im Fall der Erledigung eines Strafverfahrens durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mit dem Zeitpunkt der Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO und es kommt nicht auf das Datum der späteren Bekanntgabe an den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 S. 2 StPO an. Wird eine Einstellungsverfügung dem zuständigen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft zur Billigung vorgelegt, erlangt sie Wirkung erst mit dem Datum der Billigung.
- Im Regelfall kann bei Einstellung eines Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO nach erfolgter Anklageerhebung ein Zeitraum von 1 Jahr und 9 Monaten vom Eingang der Anklage bei Gericht bis zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anregung des Gerichts noch nicht als unangemessen angesehen werden.
OLG Bremen, Beschl. v. 20.10.2021 – 1 EK 2/19
I. Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die das beklagte Land auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 GVG in Anspruch. Gegen die Klägerin und ihren Lebensgefährten wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 23.2.2015, der Klägerin zugestellt am 25.3.2015, Anklage wegen Anbaus von Betäubungsmitteln und wegen Waffenbesitzes erhoben. Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob sodann mehrfach, zuerst am 8.4.2016 und zuletzt am 9.4.2019 Verzögerungsrügen. Am 4.2.2019 übersandte das LG die Akten an die Staatsanwaltschaft zurück mit dem Hinweis, dass sich eine Mitwirkung der Klägerin an der vorgeworfenen Tat aus der Akte nicht ergebe. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.5.2019, gebilligt vom Abteilungsleiter am 22.5.2019, wurde das Verfahren gegen die Klägerin nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, die Nachricht von der Einstellung wurde ihrem Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.5.2019 übersandt.
Mit Klagschrift vom 21.11.2019, bei Gericht eingegangen am 22.11.2019, hat die Klägerin Klage auf Entschädigung nach § 198 GVG erhoben. Die Klägerin meint, mit der Dauer von vier Jahren habe das Verfahren unangemessen lange gedauert. Sie macht geltend, sich aufgrund der Verzögerungen psychisch erheblich beeinträchtigt gefühlt zu haben. Die Klägerin hat eine Entschädigung von 4.800,00 EUR verlangt. Das beklagte Land meint, bei einer Gesamtdauer des Verfahrens von vier Jahren und drei Monate sei schon deswegen keine vierjährige Dauer einer unangemessenen Verzögerung anzunehmen, da zum einen die verbleibende Dauer von drei Monaten unrealistisch kurz sei und zum anderen nicht jede Überschreitung dieser Dauer bereits zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führen könne. Zudem seien auch richterliche Gestaltungsspielräume in der weiteren Bearbeitung zu berücksichtigen ebenso wie Zeiten, in denen die Akte aus anderen Gründen nicht zur Verfügung gestanden habe. Der Zeitraum zwischen der ersten Verzögerungsrüge und der Bearbeitung der Akte ab Januar 2019 sei mit gut 30 Monaten noch nicht so lang, als dass von einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenzen des Angemessenen ausgegangen werden könne. Zudem hat sich die Beklagte darauf berufen, dass die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG nicht eingehalten worden sei, da die Einstellung durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.5.2019 erfolgt sei und die Mitteilung an den Verteidiger der Klägerin lediglich deklaratorischen Charakter gehabt habe. Das OLG hat das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000,00 EUR verurteilt.
II. Klagefrist
Nach Auffassung des OLG sind die Fristen nach § 198 Abs. 5 GVG gewahrt. Die Klage sei entsprechend § 198 Abs. 5 S. 1 GVG erst nach Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben worden (dazu s. III.) sowie den Anforderungen des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG entsprechend vor Ablauf von sechs Monaten nach Erledigung des Verfahrens. Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG habe hier mit der Erledigung des Strafverfahrens durch die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO begonnen. Zwar komme es hinsichtlich des Wirksamwerdens der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO lediglich auf die Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO an und nicht auf das Datum der späteren Bekanntgabe an den Beschuldigten. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die spätere Bekanntgabe nach § 170 Abs. 2 S. 2 StPO nicht generell erforderlich sei; zudem wäre mangels eines Zustellungserfordernisses wie bei § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG der Zeitpunkt des Zugangs der Bekanntgabe nicht sicher zu bestimmen. Vorliegend sei aber die Einstellungsverfügung vom 20.5.2019 zunächst dem zuständigen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft zur Billigung vorgelegt worden, die am 22.5.2019 erteilt worden sei, sodass die Einstellungsverfügung auch erst am 22.5.2019 Wirkung erlangen konnte. Damit sei die am 22.11.2019 per Telefax beim OLG eingereichte Klage noch rechtzeitig innerhalb der Sechsmonatsfrist seit der Erledigung des Strafverfahrens eingereicht worden.