SGB X § 63; BGB §§ 198 ff.
Leitsatz
- Dem Anspruch auf Freistellung vom Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten nach § 63 SGB X kann nicht entgegengehalten werden, dass sich der Mandant auf die Einrede der Verjährung der Gebührenforderung berufen könne (entgegen SG Berlin – S 204 AS 14829/13; SG Nordhausen – S 31 AS 818/14 und S 31 AS 2363/14).
- Die Beschränkung des Anspruchs nach § 63 SGB X auf "notwendige" Kosten bezieht sich nur auf die Beurteilung der Maßnahmen der Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung aus der ex-ante-Perspektive.
- Für den Anspruch nach § 63 SGB X dürfte die Verjährungsfrist § 45 Abs. 1 SGB I analog gelten (obiter dictum).
SG Nordhausen, Urt. v. 24.4.2017 – S 27 AS 1757/15
1 Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für das Widerspruchsverfahren freizustellen hat.
Die Klägerin, die sich zu diesem Zeitpunkt im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II befand, beantragte am 13.10.2009 beim Beklagten ein Darlehen für die Anschaffung einer Brille. Hierzu legte sie mehrere Kostenvoranschläge zwischen 265,00 EUR und 342,10 EUR vor. Die Bewilligung lehnte der Beklagte mit Bescheid v. 5.11.2009 ab, da die Anschaffung einer Brille vom Regelbedarf umfasst sei.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin v. 7.12.2009, der nicht inhaltlich begründet wurde. Mit Bescheid v. 6.1.2010 half der Beklagte dem Widerspruch in der Sache ab und mit Bescheid v. 12.1.2010 erklärte er sich zur Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach bereit.
Mit Kostenfestsetzungsantrag v. 4.12.2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Festsetzung der für das Widerspruchsverfahren entstandenen Rechtsanwaltsgebühren wie folgt:
Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV |
180,00 EUR |
Pauschale Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV |
38,00 EUR |
|
238,00 EUR |
Mit Kostenfestsetzungsbescheid v. 5.6.2015 lehnte der Beklagte die Kostenfestsetzung für das Widerspruchsverfahren ab, da der Anspruch des Prozessbevollmächtigten gegenüber der Klägerin aus dem Mandatsverhältnis verjährt sei und insoweit keine notwendigen Kosten i.S.d. § 63 SGB X vorlägen.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 5.7.2015 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid v. 20.7.2015 als unbegründet zurückwies.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese am 20.8.2015 Klage erhoben.
Der Beklagte könne sich schon deswegen nicht auf eine Verjährung der Gebührenforderung im Verhältnis des Prozessbevollmächtigten zur Klägerin berufen, weil dies eine Frage des Kostenerstattungsanspruchs dem Grunde nach sei, während im Kostenfestsetzungsverfahren nur über die Höhe zu entscheiden sei. Für die Frage, ob die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, könne es nur auf den Zeitpunkt der Veranlassung und Durchführung der Maßnahme ankommen. Überdies könne sich der Beklagte allenfalls dann auf eine Verjährung der Gebührenforderung berufen, wenn dies der Kostenerstattungsberechtigte, also die Klägerin, tun wolle und auch getan habe. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, gegenüber habe sich die Klägerin nicht auf Verjährung berufen.
Die Klägerin hat zuletzt noch beantragt, den Bescheid des Beklagten v. 5.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 20.7.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von außergerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 166,60 EUR freizustellen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, notwendige Kosten i.S.d. § 63 SGB X lägen nicht vor, wenn sich die Klägerseite gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten dem Grunde nach auf die Einrede der Verjährung berufen könne. Hilfsweise beruft er sich darauf, dass die Kostenfestsetzung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Höhe nach unbillig sei.
2 Aus den Gründen
Die Klage hat Erfolg, denn sie ist zulässig und begründet.
Zutreffend verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), gerichtet auf die Freistellung von dem Vergütungsanspruch ihres Bevollmächtigten (vgl. BSG v. 21.12.2009 – B 14 AS 83/08 R; für das Zivilrecht auch BGH v. 22.3.2011 – VI ZR 63/10).
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten gem. § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X einen Anspruch darauf, von Rechtsanwaltskosten für das Widerspruchsverfahren freigestellt zu werden. Die Rechtsanwaltskosten sind als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung gem. § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X vom Beklagten zu erstatten, ohne dass es darauf ankommt, ob sich die Klägerin im Innenverhältnis zu ihrem Prozessbevollmächtigten auf Verjährung berufen könnte (dazu unter I.).
Die im Klageweg zuletzt geltend gemachte Freistellung von Rechtsanwaltskosten i.H.v. 166,60 EUR entspricht auch der Höhe nach der Billigkeit und sind daher in der geltend gemachten Höhe festzusetzen (dazu unter II.).
Der Anspruch auf Freistellung nach § 63 SGB X ist auch durchsetzbar, weil sich der Beklagte vorliegend jedenfalls nicht auf dessen Verjährung berufen hat...