Leitsatz (amtlich)
1. Die Wohnung des Betreuten, der ausschließlich von seinen Familienangehörigen betreut wird, ist keine „sonstige Einrichtung”.
2. Auf eine nicht vom Willen des Betreuers getragene Anregung der Betreuungsstelle darf die Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme nicht erteilt werden.
Normenkette
BGB § 1906 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 13 T 1897/02) |
AG Fürth (Bayern) (Aktenzeichen XVII 892/01) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 16.4.2002 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Für die Betroffene ist deren Sohn zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis alle Angelegenheiten einschl. Post- und Fernmeldeangelegenheiten bestellt. Die Betroffene lebt allein in ihrer Wohnung, wo sie ausschließlich von Familienangehörigen versorgt wird. Um ein unkontrolliertes Entweichen zu verhindern, schließen die Angehörigen die Betroffene regelmäßig in deren Wohnung ein. Während der Anhörung der Betroffenen am 8.1.2002 beantragte die beteiligte Betreuungsstelle die Genehmigung des Absperrens der Wohnung als unterbringungsähnliche Maßnahme. Am 9.1.2002 beschloss das AG: „Eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der von Angehörigen der Betroffenen durchgeführten Maßnahmen erfolgt nicht.” Die sofortigen Beschwerden der Verfahrenspflegerin und der Betreuungsstelle gegen diese Entscheidung hat das LG am 16.4.2002 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die sofortige weitere Beschwerde der Betreuungsstelle.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Beschwerdebefugnis der Betreuungsstelle folgt aus § 70m Abs. 2 i.V.m. § 70d Abs. 1 S. 1 Nr. 6 FGG. Sie konnte als Behörde die sofortige weitere Beschwerde durch einen von dem zuständigen Bediensteten, nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schriftsatz einlegen (§ 29 Abs. 1 S. 3 FGG; vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1358 [1359]).
Die sofortige weitere Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
1. Das LG hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Die materiell-rechtliche Grundlage für die Entscheidung über die Freiheitsbeschränkung durch zeitweises Absperren der Wohnungstür werde von der Rechtsprechung in § 1906 Abs. 4 BGB gesehen.
Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift käme nach dem Wortlaut nur dann in Betracht, wenn die eigene Wohnung als sonstige Einrichtung aufgefasst werden könnte. Dies könne nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch nicht ohne weiteres bejaht werden. Dieser Begriff sei auf Anregung des Bundesrates in das Gesetz aufgenommen worden. Dieser habe dadurch „freiheitsbeschränkende” Maßnahmen vom Erfordernis gerichtlicher Genehmigung ausnehmen wollen, „sofern sie außerhalb von Einrichtungen wie Altenheime pp. im Rahmen einer Familienpflege” erfolgen. Dem habe die Bundesregierung zugestimmt, der Rechtsausschuss sei dem in seiner Empfehlung gefolgt.
Gleichwohl könne die eigene Wohnung des Betreuten unter den Begriff der sonstigen Einrichtung fallen, wenn der institutionelle Rahmen vergleichbar einer Einrichtung gestaltet sei. Dies sei der Fall, wenn zwar der Betroffene allein in der Wohnung lebe, jedoch ausschließlich durch fremde, professionelle ambulante Pflegedienste versorgt werde, oder wenn die Wohnung aufgrund besonderer Herrichtung und Einbeziehung bestimmter dritter Personen in die tatsächliche Pflege und Beaufsichtigung des Betroffenen als sonstige Einrichtung zu qualifizieren sei.
Dies sei hier nicht der Fall, da die Betroffene ausschließlich von ihrer Familie im Rahmen von Besuchen, die mehrmals täglich stattfänden, versorgt werde.
Eine solche Handhabung entspreche nicht dem Schutz, der anlässlich eines Einsperrens des Betroffenen in einer ordnungsgemäß geführten geschlossenen oder beschützenden Einrichtung gewährleistet sein müsse. § 1906 Abs. 4 BGB greife daher nicht ein. Eingriffe seien deshalb nur bei wirksamer Einwilligung des Betroffenen oder bei Vorliegen allgemeiner Rechtfertigungsgründe zulässig. Zu beachten bleibe damit der strafrechtliche Schutz der Freiheit der Person.
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.
a) Das LG hat mit ausführlicher und überzeugender Begründung dargelegt, warum das Einsperren eines Betroffenen in seiner eigenen Wohnung, in der er ohne besondere weitere Vorkehrungen ausschließlich von Familienangehörigen betreut wird, nicht zu den Maßnahmen gehört, für die eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB erteilt werden kann. Der Senat schließt sich dem an.
Zwar kann auch die Wohnung eines Betroffenen als „sonstige Einrichtung” zu qualifizieren sein. Voraussetzung ist jedoch jedenfalls, dass dort die institutionellen Verhältnisse und insbesondere die Vorkehrungen zum Schutz des Betroffenen bei unvorhergesehenen Ereignissen denen einer geschlossenen Einrichtung vergleichbar sind (vgl. LG München I R & P 2000, 43 [44]). Wird der Betroffene lediglich in seiner eigenen Wohnung von Familienangehörigen im Rahmen regelmäßiger Besuche gepflegt, ohne dass weitere Vorkehrungen getroffen sind, liegen diese Voraussetzungen nicht vor....