Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschwindigkeitsüberschreitung. Bußgeldbescheid. Verwerfungsurteil. Sachurteil. Urteilsgründe. Rechtsbeschwerde. Rechtsbeschwerdebegründung. Sachrüge. Verfahrensrüge. Verfahrenshindernis. Verfolgungsverjährung. Verjährungshemmung. Beschleunigungsgebot. Verfahrensdauer. überlang. Verfahrensverzögerung. rechtsstaatswidrig. Verfahrenstatsachen. Kompensation. Anrechnung. Verfahrenseinstellung. Abwägung. Gesamtbetrachtung. Gesamtabwägung. Fehlverhalten. Verfolgungsbehörde. Justiz. Belastung. individuell. Wiedereinsetzung
Leitsatz (amtlich)
Macht der Betroffene geltend, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung habe zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses geführt, bedarf es - jedenfalls bei Vorliegen eines reinen Prozessurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG - der Erhebung einer Verfahrensrüge, die der Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entsprechen muss, sofern die Verfahrensverzögerung noch vor Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist eingetreten ist.
Normenkette
EGMR Art. 6; OWiG § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 74 Abs. 2, 4, § 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 1; StPO § 273 Abs. 4, § 342 Abs. 2 S. 2, § 344 Abs. 2 S. 2, § 345 Abs. 2 S. 2, § 349 Abs. 2 S. 2; StVG § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 2a, § 26 Abs. 3
Verfahrensgang
AG München (Entscheidung vom 24.03.2021) |
Tenor
I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.03.2021 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht München hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 04.01.2021, mit dem wegen einer am 30.11.2020 außerhalb geschlossener Ortschaften begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung von 42 km/h eine Geldbuße von 160 Euro sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt wurden, mit Urteil vom 24.03.2021 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das Urteil wurde dem Verteidiger am 26.03.2021 zugestellt. Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde am 29.03.2021 fertiggestellt. Gegen das vorgenannte Urteil legte der Betroffene am 29.03.2021 Rechtsbeschwerde ein, mit der er die Verletzung "formellen und materiellen Rechts" rügte und die Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides sowie den Eintritt der Verfolgungsverjährung mangels aktenkundiger Verfügung des Erlasses des Bußgeldbescheids geltend machte. Nachdem der Betroffene mit Verteidigerschriftsatz vom 26.09.2023 darauf hingewiesen hatte, dass noch keine Entscheidung über seine Rechtsbeschwerde ergangen war, beantragte er mit Verteidigerschriftsatz vom 13.10.2023, eingegangen bei Gericht am 21.11.2023, das Verfahren wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einzustellen. Am 27.11.2023 wurde dem Verteidiger das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.03.2021 nochmals zugestellt. Eine ergänzende Rechtsbeschwerdebegründung erfolgte nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 20.03.2024 einer Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG widersprochen und die Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO beantragt. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, äußerte sich jedoch nicht. Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 18.04.2024 die Sache zur Fortbildung des Rechts dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
II.
1. Der Senat kann gemäß § 342 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG über die Rechtsbeschwerde entscheiden, nachdem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 74 Abs. 4 OWiG rechtskräftig abgelehnt ist.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
a) Ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis liegt nicht vor, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 20.03.2024 zu Recht ausführt.
aa) Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist der Bußgeldbescheid vom 04.01.2021 wirksam. Für den wirksamen Erlass mit der Folge der Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist es nicht erforderlich, dass dieser in einer für Außenstehende erkennbaren Weise aktenmäßig dokumentiert ist (BGH, Beschl. v. 05.02.1997 - 5 StR 249/96 = NJW 1997, 1380). Der Umstand, dass die Urschrift des Bußgeldbescheides vom Sachbearbeiter des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes eigenhändig unterzeichnet ist, belegt im Übrigen, dass der Erlass des Bußgeldbescheides auf einem für den Betroffenen erkennbaren und nachprüfbaren Willensakt der Behörde beruht (vgl. dazu Göhler/Bauer OWiG 19. Aufl. vor § 65 Rn. 4 m.w.N.; KK/Kurz OWiG 5. Aufl. § 65 Rn. 14; BeckOK/Sackreuther OWiG [41. Ed., Stand: 01.01.2024] § 65 Rn. 11, 12).
bb) Es ist auch keine Verfolgungsverjährung eingetreten...