Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsausgleich. Ehezeitlich erworbene Versorgungsanrechte bei der Zahnärztekammer Niedersachsen. Umrechnung der erworbenen Anrechte auf der Grundlage des individuellen Deckungskapitals. Barwert unter Deckungskapital
Leitsatz (amtlich)
Versorgungsanrechte der Zahnärzteversorgung Niedersachsen sind nicht mittels Barwertbildung, sondern mit Hilfe des Deckungskapitals gem. § 1587a Abs. 3 Nr. 1 BGB in volldynamische Anrechte umzurechnen (im Anschluss an BGH v. 27.10.1982 - IVb ZB 537/80, BGHZ 85, 194 ff. = MDR 1983, 210).
Normenkette
BGB § 1587a Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Braunschweig (Beschluss vom 16.05.2001; Aktenzeichen 2 UF 245/98) |
AG Hannover |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des OLG Braunschweig v. 16.5.2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde - an das OLG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 511 EUR (= 1.000 DM)
Gründe
I.
Die am 11.6.1971 geschlossene Ehe der Parteien wurde auf den dem Ehemann (Antragsgegner) am 4.6.1997 zugestellten Antrag der Ehefrau (Antragstellerin) durch Verbundurteil des AG - FamG - v. 17.9.1998 geschieden (insoweit rechtskräftig seit dem 19.2.1999) und der Versorgungsausgleich geregelt.
Während der Ehezeit (1.6.1971 bis 31.5.1997; § 1587 Abs. 2 BGB) erwarben die am 14.2.1950 geborene Ehefrau Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Verfahrensbeteiligte zu 1.), BfA) i.H.v. 238,86 DM und der am 12.5.1937 geborene Ehemann Versorgungsanrechte bei der Zahnärztekammer Niedersachen (Verfahrensbeteiligte zu 2.), ZÄK Nds.) i.H.v. 2.470 DM, jeweils monatlich und bezogen auf den 31.5.1997. Das ehezeitliche Deckungskapital für die Versorgung des Ehemannes beträgt 329.051 DM.
Das AG hat den Versorgungsausgleich - ausgehend von einer falschen Ehezeit (1.6.1971 bis 30.4.1997) - dahin geregelt, dass es zu Lasten der bei der ZÄK Nds. bestehenden Anrechte des Ehemannes für die Ehefrau Rentenanwartschaften bei der Landesversicherungsanstalt Hannover i.H.v. 303,78 DM, monatlich und bezogen auf den 30.4.1997, begründet hat.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das OLG - unter Berichtigung der ehezeitlichen Versorgungsanrechte - mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Rentenanwartschaften für die Ehefrau bei der BfA begründet werden.
Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde wendet sich die Ehefrau weiterhin gegen die nach ihrer Auffassung zu niedrige Bewertung der für den Ehemann bei der ZÄK Nds. bestehenden Anrechte.
II.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
1. Nach Auffassung des OLG sind die vom Ehemann bei der ZÄK Nds. erworbenen Versorgungsanrechte gem. § 1587a Abs. 2 Nr. 4 BGB zu bewerten und gem. § 1587a Abs. 3 BGB in dynamische Anrechte umzurechnen, da ihr Wert weder im Anwartschafts- noch im Leistungsstadium in gleicher Weise oder nahezu gleicher Weise steige wie der Wert von Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung. Die Umrechnung habe nach § 1587a Abs. 3 Nr. 2 BGB durch Ermittlung des vom OLG mit 195.624 DM errechneten Barwertes zu erfolgen. Das vom Versorgungsträger mit 329.051 DM mitgeteilte ehezeitlich erworbene Deckungskapital bleibe bei der Umrechnung unberücksichtigt: Eine Umrechnung auf der Grundlage des Deckungskapitals (§ 1587a Abs. 3 Nr. 1-BGB) setze voraus, dass die Rentenleistungen in vollem Umfang oder doch zu einem ganz überwiegenden Teil aus dem Deckungskapital finanziert würden. Die Leistungen der ZÄK Nds. würden indes zu einem wesentlichen Teil nicht aus dem Deckungskapital erbracht, sondern durch Überschussverteilungen finanziert.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Dabei kann dahinstehen, ob die vom OLG vorgenommene Bewertung der bei der ZÄK Nds. bestehenden Anrechte des Ehemannes als weder im Anwartschaftsstadium noch im Leistungsstadium dynamisch zutreffend ist (vgl. die in BGH, Beschl. v. 21.9.1988 - IVb ZB 104/86, MDR 1989, 49 = FamRZ 1989, 155 gebilligte Bewertung der bei der ZÄK Nds. bestehenden Versorgungsanrechte als im Leistungsstadium dynamisch). Auch wenn diese Bewertung zutrifft, ist jedenfalls die vom OLG vorgenommene und auf § 1587a Abs. 3 Nr. 2 BGB gestützte Umrechnung der Anrechte anhand ihres Barwertes fehlerhaft.
Das OLG geht davon aus, dass auf Grund der erheblichen Überschussverteilungen des Versorgungsträgers dessen Versorgungsleistungen in ganz entscheidendem Maß von diesen Überschüssen mitgeprägt und damit zu einem wesentlichen Teil nicht aus dem Deckungskapital erbracht würden. Das OLG beruft sich für diese Annahme auf die Auskunft des Versorgungsträgers, nach der zeitweise die erworbenen Anwartschaften zu Beginn des Rentenbezugs um bis zu 69 % aus erwirtschafteten Überschüssen erhöht worden seien. Daran ist richtig, dass der Versorgungsträger - ausweislich dieser Auskunft - bei erstmaligem Rentenbezug im Jahre 1981 oder 1982 eine zusätzliche Überschussbeteiligung von 69 % auf die Anwartschaft gewährt hat; ein solcher Rentenbezug des Ehemannes im Jahre 1981 oder 1982 liegt hier allerdings nicht vor. Der Auskunft lässt sich jedoch entnehmen, dass für Versicherte mit einem Altersrentenbeginn ab dem Jahr 1983 für jedes zurückgelegte Mitgliedschaftsjahr bis 1986 eine Überschussbeteiligung i.H.v. 3,5 % gewährt worden ist; in den Jahren 1987 bis 1997 betrug diese Überschussbeteiligung zwischen 1 % und 4 %, so dass die Anwartschaft des Ehemannes in den Jahren 1971 (Beginn der Mitgliedschaft) bis 1997 (Ehezeitende) eine sich aus den Überschüssen ergebene Steigerung von 84 % erfahren hat. Das vom OLG in Bezug genommene Gutachten des Sachverständigen hat dabei angenommen, dass diese Überschüsse nicht in dem vom Versorgungsträger mitgeteilten Deckungskapital berücksichtigt, sondern als eine "kollektiv finanzierte Gewinnbeteiligung" gleichmäßig auf alle Mitglieder verteilt worden seien.
Diese - vom OLG offenbar geteilte - Annahme rechtfertigt indes nicht die Folgerung, die bei der ZÄK Nds. begründete Versorgung des Ehemannes sei nach Maßgabe des § 1587a Abs. 3 Nr. 2 BGB - also mit Hilfe ihres Barwerts - in eine dynamische Versorgung umzurechnen. Wie der Senat entschieden hat, ist die Umrechnung mit Hilfe des Barwertes ggü. der in § 1587a Abs. 3 Nr. 1 BGB vorgesehenen Umrechnung auf der Grundlage eines Deckungskapitals nachrangig; sie kommt also grundsätzlich nicht in Betracht, wenn für die Leistungen der Versorgung ein individuelles Deckungskapital gebildet worden ist (BGH v. 27.10.1982 - IVb ZB 537/80, BGHZ 85, 194 [200] = MDR 1983, 210 = FamRZ 1983, 40 [43]). Das ist hier der Fall. Richtig ist zwar, dass nach dem Sinn und Zweck des § 1587a Abs. 3 BGB die vorrangige, weil allgemein exaktere Umrechnung auf der Grundlage des Deckungskapitals dann auszuscheiden hat, wenn wesentliche Teile der Rentenleistungen nicht aus dem Deckungskapital gewährt werden und demgemäß eine Umrechnung auf Grund des Barwertes den wirklichen Wert des Anrechts besser widerspiegelt. Das kann indes nur angenommen werden, wenn der anhand der Barwertverordnung ermittelte Barwert höher ist als das Deckungskapital; denn nur in diesem Fall wird der Wert des nicht ausschließlich aus einem Deckungskapital finanzierten Anrechts in seiner Gesamtheit über die Barwertbildung genauer erfasst als dies mit Hilfe des Deckungskapitals erreicht würde. So liegen die Dinge hier aber gerade nicht.
Das OLG errechnet - auf der Grundlage seiner Feststellungen über die im Anwartschafts- wie auch im Leistungsstadium fehlende Dynamik der bei der ZÄK Nds. begründeten Anrechte - den Barwert der Versorgung des Ehemannes mit (29.640 DM x 6,6 =) 195.624 DM; bei Heranziehung der durch die 2. Verordnung zur Änderung der Barwert-Verordnung (v. 26.5.2003, BGBl. I, 728; BGH, Beschl. v. 23.7.2003 - XII ZB 162/00, BGHReport 2003, 1334 = MDR 2003, 1295 = FamRZ 2003, 1639; zur Maßgeblichkeit des zur Zeit der Entscheidung geltenden Rechts auch für die Höhe des Versorgungsausgleichs vgl. etwa BGH, Beschl. v. 9.2.2000 - XII ZB 24/96, MDR 2000, 644 = FamRZ 2000, 748 [749]) erhöhten Vervielfältiger ergäbe sich ein Barwert von (29.640 DM x 8 =) 237.120 DM. Da dieser Barwert unter dem vom Versorgungsträger mit 329.051 DM bezifferten Deckungskapital liegt, ist er ersichtlich nicht geeignet, den Wert der dem Ehemann zu erbringenden Rentenleistungen besser abzubilden als das Deckungskapital, das deshalb gem. § 1587a Abs. 3 Nr. 1 BGB auch hier als Grundlage der Umrechnung der vom Ehemann erworbenen Anrechte in volldynamische Anrechte heranzuziehen ist.
3. Die angefochtene Entscheidung kann danach nicht bestehen bleiben. Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden.
Das OLG hat sich für seine Beurteilung, die bei der ZÄK Nds. bestehenden Anrechte des Ehemannes seien weder im Anwartschafts- noch im Leistungsstadium dynamisch, auf eine Darstellung des Sachverständigen über die Steigerung der Anwartschaften wie der laufenden Renten in der Zeit von 1984 bis 1997 sowie auf die Auskunft des Versorgungswerks über die Steigerung der laufenden Renten in den Jahren 1988 bis 2000 gestützt. Diese Übersichten erscheinen für eine aktuelle, zum Vergleich mit der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung geeignete Beurteilung der Versorgungsentwicklung nicht mehr hinreichend aussagekräftig. Der Senat hält es deshalb für geboten, die Entwicklung der bei der ZÄK Nds. begründeten Versorgungen anhand zeitnaher Daten zu überprüfen. Hinsichtlich der Frage, welche Steigerungsraten einer Versorgung die Annahme rechtfertigen, dass der Wert dieser Versorgung in gleicher oder nahezu gleicher Weise steigt wie der Wert einer Versorgung der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung, verweist der Senat auf seinen Beschluss v. 7.7.2004 (BGH, Beschl. v. 7.7.2004 - XII ZB 277/03, BGHReport 2004, 1422 = MDR 2004, 1240 = FamRZ 2004, 1174, zur Dynamik von Anrechten der VBL).
Die Auskunft der ZÄK Nds. (v. 10.7.1997) über die Höhe der dort für den Ehemann bestehenden Versorgung bedarf auch deshalb der Aktualisierung, weil der Ehemann am 12.5.2002 - mithin nach Erlass der angefochtenen Entscheidung - das 65. Lebensjahr vollendet und damit die für den Bezug der Altersrente maßgebende Altersgrenze erreicht hat. Es erscheint deshalb angezeigt, anhand einer neuen Auskunft zu prüfen, ob zwischenzeitlich Änderungen bei der Bemessung der Versorgung des Ehemannes eingetreten sind, die auf deren ehezeitbezogene Bewertung zurückwirken, zu einer von der vom OLG vorgenommenen Anwartschaftsbewertung abweichenden Bewertung des ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechts führen und deshalb - in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 10a VAHRG - bereits in der Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich zu berücksichtigen sind (BGH, Beschl. v. 15.11.1995, a.a.O. 216, st.Rspr.).
Die Sache war daher an das OLG zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen trifft. Die Zurückverweisung gibt zugleich Gelegenheit, die Höhe auch der von der Ehefrau, erworbenen Anrechte bei der BfA anhand einer aktuellen Auskunft zu überprüfen. Bei der Tenorierung wird auf das richtige Ehezeitende ("bezogen auf den 31.5.1997") Bedacht zu nehmen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 1329126 |
BGHR 2005, 799 |
FamRZ 2005, 600 |
NJW-RR 2005, 658 |
MDR 2005, 691 |
MedR 2005, 411 |