Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 28.10.2022; Aktenzeichen 15 U 8355/21) |
LG Ingolstadt (Entscheidung vom 08.11.2021; Aktenzeichen 43 O 3855/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. Oktober 2022 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.
Rz. 2
Der Kläger erwarb im Mai 2019 ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug mit Dieselmotor. Das Landgericht hat seine auf die Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gestützte und auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen.
Rz. 3
Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht als unzulässig verworfen, weil sich die Berufungsbegründung nicht mit den tragenden Gründen des erstinstanzlichen Urteils auseinandersetze. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
Rz. 5
1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet und deshalb zu verwerfen, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 6
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Darlegung, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger als unzutreffend bekämpft und welche rechtlichen oder tatsächlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 68/19, NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10 f.; Beschluss vom 16. Januar 2023 - VIa ZB 19/22, juris Rn. 8; Beschluss vom 22. Mai 2023 - VIa ZR 56/23, juris Rn. 5; jeweils mwN).
Rz. 7
b) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Berufungsbegründung des Klägers diesen Anforderungen nicht gerecht wird.
Rz. 8
aa) Das Landgericht hat die Klageabweisung darauf gestützt, es sei nicht davon überzeugt, dass der Kläger das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtungen zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gewusst hätte. Der Kläger trage widersprüchlich vor, weil er sich auf den Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen" von April 2016 stütze, das Fahrzeug aber erst im Mai 2019 und damit mehr als drei Jahre nach Veröffentlichung dieses Berichts zu einem Zeitpunkt erworben habe, als die Problematik erhöhter Stickoxid-Werte bei Dieselfahrzeugen öffentlich bekannt gewesen sei. Damit fehle es an der erforderlichen Kausalität im Rahmen etwaiger deliktischer Ansprüche.
Rz. 9
bb) Mit dieser Argumentation des Landgerichts setzt sich die Berufungsbegründung des Klägers nicht hinreichend auseinander. Der Kläger nimmt darin zwar allgemein zur Frage der Kausalität Stellung (S. 48 f. und 152 bis 154 der Berufungsbegründung), ohne jedoch auf den von dem Landgericht als entscheidend erachteten Aspekt des sogenannten Spätkaufs einzugehen. Wie die Rechtsbeschwerde einräumt, entsprechen die genannten Ausführungen der Berufungsbegründung dem Vortrag in der Klageschrift (dort S. 6 f. und 91 bis 93), den das Landgericht erörtert und für unzureichend erachtet hat. Die Berufungsbegründung lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen der Kläger die Auffassung des Landgerichts für fehlerhaft hält, der (späte) Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs stehe der deliktischen Haftung der Beklagten entgegen. Die gebotene konkrete Auseinandersetzung mit der Begründung des Landgerichts konnte der Kläger durch die Wiederholung hierauf nicht näher eingehenden erstinstanzlichen Vortrags nicht ersetzen.
Rz. 10
2. Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes steht unabhängig hiervon der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
Rz. 11
a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178 Rn. 10; Urteil vom 14. Juni 2018 - III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Urteil vom 18. November 2020 - VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76 Rn. 67; Beschluss vom 28. März 2019 - IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15; jeweils mwN). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020, aaO; Beschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, VRS 141, 13, 20). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f.; Beschluss vom 10. Mai 2022 - VI ZB 4/20, NJW-RR 2022, 998 Rn. 13). Nichts Anderes gilt für das Rechtsbeschwerdeverfahren (BGH, Beschluss vom 14. September 2021 - VI ZB 30/19, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12; Beschluss vom 12. Januar 2022 - VII ZB 37/21, juris Rn. 7; Beschluss vom 10. Mai 2022, aaO).
Rz. 12
b) Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, ihm offenstehende prozessuale Möglichkeiten zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten (vermeintlichen) Verfahrensgrundrechtsverletzung zu nutzen. Das Berufungsgericht hat den Kläger mit Verfügung vom 23. September 2022 ausführlich auf seine Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Berufungsbegründung und seine Absicht, die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, hingewiesen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2022 zu dem ihm erteilten Hinweis Stellung genommen, sich dabei aber allein zu einer Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO verhalten, ohne auf die Bedenken des Berufungsgerichts gegen die Zulässigkeit der Berufung einzugehen. Von der Möglichkeit, die mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachte (vermeintliche) Grundrechtsverletzung zu verhindern, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Dies in dritter Instanz nachzuholen, ist ihm verwehrt.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15927335 |