Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkungen der Vereinigung von zwei Sozialversicherungsträgern auf den Ersatzanspruch eines Mitgliedes nach einem Unfall
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, inwieweit bei der Vereinigung von zwei Sozialversicherungsträgern - SVT - (Krankenkassen) das von der aufnehmenden Kasse mit einem Haftpflichtversicherer abgeschlossene TA auch auf Krankheitskosten anzuwenden ist, die durch einen Unfall veranlaßt wurden, den ein Mitglied der aufgenommenen Kasse vor der Vereinigung erlitten hat.
Normenkette
RVO §§ 288-289
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 9. Februar 1981 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten aufgrund eines Teilungsabkommens die Beteiligung an den Aufwendungen, die sie gegenüber ihrem Mitglied Heinrich L. (L.) erbracht hat.
L. hatte am 16. Dezember 1972 einen Verkehrsunfall erlitten, an dem der bei dem Beklagten haftpflichtversicherte Theo J. beteiligt war. L. war damals Mitglied der AOK W. Zwischen dieser Kasse und dem Beklagten bestand kein Teilungsabkommen. Nach der Auffassung der AOK W. hatte der Fahrer des Krades, in dessen Beiwagen L. saß, den Unfall zumindest ganz überwiegend verschuldet; sie meldete aus diesem Grunde bei dem Beklagten keine Ansprüche an.
Durch rechtskräftigen Bescheid des Oberversicherungsamtes vom 31. Dezember 1976 wurden die Klägerin und die AOK W. mit Wirkung vom 1. Januar 1977 vereinigt; aufnehmende Kasse war die Klägerin.
Nach der Vereinigung beider Kassen erkrankte L. am 4. Januar und 6. Mai 1977 erneut an den Folgen des Unfalles; er nahm Leistungen der Klägerin in Anspruch. Diese meint, daß der Beklagte aufgrund eines am 21./30. Dezember 1971 abgeschlossenen und am 1. Januar 1972 in Kraft getretenen Teilungsabkommens verpflichtet sei, ihr einen Teil ihrer Aufwendungen zu ersetzen.
Das Teilungsabkommen, in dem die Klägerin mit "K" und der Beklagte mit "H" bezeichnet werden, enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
"§ 1
1)
Kann die "K" gegen eine bei der "H" haftpflichtversicherte natürliche oder juristische Person gemäß § 1542 Abs. 1 RVO Regreßansprüche aus Schadensfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen (Geschädigte) geltend machen, so verzichtet die "H" auf die Prüfung der Haftungsfrage und ersetzt der "K" namens und in Vollmacht der haftpflichtversicherten Personen aus ihrem Versicherungsvertrag nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen 55% ihrer nach der Reichsversicherungsordnung zu gewährenden Leistungen,
2)
Voraussetzung dafür ist, daß den Geschädigten in der gleichen Zeit ein gleichartiger Schadensersatzanspruch entstanden und auf die "K" übergegangen ist.
...
§ 2
1)
Die verspätete Anmeldung eines Schadens bei der "H" soll die Anwendung dieses Teilungsabkommens nicht ausschließen.
2)
Ansprüche der "K" gegen die "H" und deren Versicherte können nur geltend gemacht werden, wenn die Ansprüche innerhalb einer Ausschlußfrist von 2 Jahren seit dem Schadentag der "H" gemeldet sind.
...
§ 8
Das Abkommen gilt nur, soweit der Gesamtbetrag, den die "K" nach § 4 in Rechnung stellen kann, die Summe von DM 10.000,- (i.W.: DM Zehntausend) nicht überschreitet. Wird dieser Gesamtbetrag überschritten, so ist bis zu diesem abkommensgemäß zu verfahren; für den überschießenden Teil soll eine Regelung im Vergleichswege unter Würdigung der Sach- und Rechtslage durchgeführt werden.
Jede durch den Schadensfall bedingte Wiedererkrankung gilt im Sinne dieses Abkommens als neuer Schadenfall.
§ 9
Das Abkommen tritt mit dem 1.1.1972 in Kraft. Es gilt zunächst für die Dauer eines Jahres und verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn es nicht 3 Monate vor Ablauf von einer der vertragsschließenden Parteien schriftlich gekündigt wird. Alle während der Gültigkeit des Abkommens eingetretenen Schadenfälle werden jedoch noch abkommensgemäß behandelt."
Die Klägerin hat in der ersten Instanz sowohl eine Beteiligung des Beklagten an der von der AOK W. als auch an den von der Klägerin selbst erbrachten Leistungen verlangt und aus diesem Grunde eine Verurteilung zur Zahlung von 8.098,66 DM beantragt. Nachdem das Landgericht diesen Anspruch abgewiesen hatte, hat die Klägerin mit ihrer Berufung nur noch eine teilweise Erstattung der von ihr nach dem Zusammenschluß der beiden Kassen erbrachten Aufwendungen verlangt und den Zahlungsanspruch demgemäß auf 2.598,86 DM beschränkt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den in der Berufungsinstanz gestellten Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Die Auslegung, die das Berufungsgericht dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Teilungsabkommen gegeben hat, unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Nach dem im Berufungsurteil festgehaltenen übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien beruht das vorliegende Teilungsabkommen auf einem Mustervertrag, den ihre Dachverbände entworfen haben; es muß deshalb angenommen werden, daß seine Bestimmungen typischen Charakter haben (BGH Urteil vom 6. Juli 1977 - IV ZR 147/76 - LM Teilungsabkommen Nr. 7 = VersR 1977, 854).
Aus diesem Grunde kommen bei der Auslegung des Teilungsabkommens nicht die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze, also auch nicht die über die ergänzende Vertragsauslegung, zur Anwendung; das Abkommen ist vielmehr wie eine Rechtsnorm, d.h. also nach objektiven Kriterien, auszulegen.
II.
1.
Werden zwei gesetzliche Krankenkassen miteinander vereinigt, so ist nach §§ 288 ff. RVO zwischen der aufnehmenden und der aufgenommenen Kasse zu unterscheiden. Die versicherungspflichtigen Mitglieder der aufgenommenen Kasse werden nach § 289 RVO Mitglieder der aufnehmenden Kasse; die versicherungsberechtigten Mitglieder haben das Recht auf Mitgliedschaft bei der aufnehmenden Kasse. Daraus kann allerdings noch nicht gefolgert werden, daß im Falle einer Vereinigung die von der aufnehmenden Kasse abgeschlossenen Teilungsabkommen sich automatisch auf den Bereich der aufgenommenen Kasse erstrecken und die von dieser Kasse selbst abgeschlossenen Teilungsabkommen ihre Wirksamkeit verlieren. Denn auch die vertraglichen Rechte und Pflichten der aufgenommenen Kasse gehen nach § 288 RVO auf die aufnehmende über. Hat ein bestimmter Haftpflichtversicherer sowohl mit der aufgenommenen als auch mit der aufnehmenden Kasse Teilungsabkommen unterschiedlichen Inhalts abgeschlossen, so wird anzunehmen sein, daß beide Abkommen anwendbar bleiben. Für die Abgrenzung des Geltungsbereichs der beiden Abkommen ist dann entscheidend, ob der durch den Schadensfall betroffene Versicherungsnehmer nach seinem Erwerbszweig und Beschäftigungsort (§ 234 RVO) zum Bereich der aufgenommenen oder zum ursprünglichen Bereich der aufnehmenden Kasse gehört. Anders ist es, wenn nur mit der aufnehmenden, nicht aber mit der aufgenommenen Kasse ein Teilungsabkommen abgeschlossen worden ist. In einem solchen Fall entspricht es dem mutmaßlichen Parteiwillen, daß sich das Teilungsabkommen von der Vereinigung an auch auf den Bereich der aufgenommenen Kasse erstreckt; für die Mitglieder dieser Kasse erlangt also das Teilungsabkommen erst von diesem Zeitpunkt an Wirksamkeit. Anhaltspunkte dafür, daß die Parteien im vorliegenden Fall etwas anderen gewollt hätten, ergeben sich weder aus dem Wortlaut des Teilungsabkommens noch aus dem Parteivortrag. Beide Parteien vertreten vielmehr übereinstimmend die Ansicht, daß das Teilungsabkommen heute auch für den ehemaligen Bereich der AOK W. gilt; dem haben sich beide Vorinstanzen stillschweigend angeschlossen.
2.
Nach den gesetzlichen Vorschriften abzurechnen sind demnach alle Schadensfälle, in denen die AOK W. vor ihrer Vereinigung mit der Klägerin Versicherungsleistungen erbracht hat. Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daß der Verletzte zwar im Zeitpunkt des Unglücksfalles noch Mitglied der AOK W. war, daß aber auch die Klägerin nach der Aufnahme der AOK W. Aufwendungen zur Behandlung des Geschädigten gehabt hat. In einem solchen Fall müssen, wenn das Teilungsabkommen hierzu keine abweichende Regelung enthält, diejenigen Grundsätze angewandt werden, die allgemein für die zeitliche Abgrenzung des Geltungsbereichs eines Teilungsabkommens gelten. In Schrifttum (Wussow, Teilungsabkommen 4. Aufl. VII 3 S. 111) und Rechtsprechung (OLG Düsseldorf VersR 1967, 1050; OLG Hamburg VersR 1968, 559; LG Mannheim VersR 1968, 748) wird mit Recht angenommen, daß es auf den Tag des Unfallereignisses ankommt. War somit in diesem Zeitpunkt das Teilungsabkommen noch nicht in Kraft getreten, oder hatte es, wie hier, für das betreffende Mitglied noch keine Wirksamkeit erlangt, so sind die gesamten Folgen, auch die Aufwendungen anläßlich von Wiedererkrankungen, nach der "Rechtslage" abzuwickeln.
3.
Mit Recht hat das Berufungsgericht dem Absatz 2 des § 8 des Teilungsabkommens keine streitentscheidende Bedeutung beigemessen. Aus der räumlichen Stellung dieser Bestimmung ergibt sich, daß sie trotz des scheinbar weitergehenden Wortlauts lediglich die in § 8 Abs. 1 enthaltene Regelung ergänzen soll; ihre Bedeutung liegt demnach nur darin, daß im Falle einer Wiedererkrankung von der Klägerin ihre neuen Aufwendungen auch dann bis zur Höchstgrenze von 10.000,- DM in Rechnung gestellt werden können, wenn bei den Aufwendungen für frühere Krankheitsfälle aus derselben Unfallursache die Aufwendungen die Höchstgrenze von 10.000,- DM erreicht oder überschritten haben.
Nach alledem erweist sich die Auslegung, die das Berufungsgericht dem Teilungsabkommen gegeben hat, als zutreffend.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Rottmüller
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Fundstellen