Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Bemessungsentgelt. Anpassungsfaktor. Stichtag. Entstehen des Anspruchs. Stammrecht. Qualifikationsverlust
Leitsatz (redaktionell)
Die Frist des § 201 Abs. 1 Satz 1 SGB III zur Anpassung der Arbeitslosenhilfe läuft kalendermäßig ab, unabhängig davon, ob der Bezug der Arbeitslosenhilfe zwischenzeitlich unterbrochen war. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
Normenkette
SGB III § 201 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 2, §§ 196, 427 Abs. 5 S. 3; AFG §§ 135, 136 Abs. 2b
Beteiligte
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2001 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt höhere Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 6. Dezember 1998; sie trägt vor, dass zu diesem Zeitpunkt das Bemessungsentgelt nicht hätte angepasst (herabbemessen) werden dürfen.
Die im Jahre 1959 geborene Klägerin stand bei der Beklagten im Leistungsbezug; Arbeitslosengeld wurde ihr letztmalig bis zum 17. Januar 1997 auf der Grundlage eines Arbeitsentgelts von DM 870,–/Woche bewilligt. Auf Grund ihres Antrags vom 6. Januar 1997 gewährte ihr die Beklagte ab 18. Januar 1997 Alhi, und zwar auf der Grundlage desselben Arbeitsentgelts; die Zahlung der Alhi wurde mit dem 6. Dezember 1997 eingestellt: Vom 8. Dezember 1997 bis zum 4. September 1998 nahm die Klägerin an einer Vollzeit-Weiterbildungsmaßnahme teil und erhielt Unterhaltsgeld (Uhg) sowie nach Beendigung der Maßnahme bis zum 5. Dezember 1998 Anschluss-Uhg.
Mit Bescheiden vom 29. Dezember 1998 und 8. Januar 1999 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alhi ab 6. Dezember 1998 bzw 1. Januar 1999 nach einem Arbeitsentgelt von DM 860,–/Woche; mit Bescheid vom 27. Januar 1999 wurde Alhi ab 18. Januar 1999 nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von DM 840,–/Woche bewilligt.
Den Widerspruch gegen diese Bescheide wies die Beklagte insoweit zurück, als sich die Klägerin gegen die Herabbemessung des Arbeitsentgelts gewandt hatte. Der Anpassungsrhythmus nach § 201 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sei bei Entstehen des Anspruchs auf Alhi neu zu bestimmen. Ausgangspunkt sei der Tag vor Entstehen des Anspruchs auf Alhi (Anpassungsstichtag). Jeweils nach Ablauf eines Jahres seit der Entstehung des Anspruchs (Anpassungsstichtag + 1 Jahr + 1 Tag = Anpassungstag) bzw seit dem letzten Anpassungstag (letzter Anpassungstag + 1 Jahr = nächster Anpassungstag) sei darüber zu entscheiden, ob eine Anpassung vorzunehmen sei. Nach den entsprechend durchzuführenden Berechnungen sei – unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift des § 427 Abs 5 SGB III – das wöchentliche Arbeitsentgelt zunächst von DM 870,– auf DM 860,– und sodann auf DM 840,–/Woche anzupassen gewesen.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg mit Urteil vom 30. November 1999 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 22. März 2001 zurückgewiesen. Der Senat folge der einhellig in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinung, die bereits das SG zu Grunde gelegt habe. Er verkenne jedoch nicht, dass die Entscheidung im vorliegenden Fall von Sinn und Zweck des § 201 SGB III nicht gedeckt sei. Der Gesetzgeber sei nach den Materialien pauschalierend davon ausgegangen, dass in jedem Jahr ein Verlust beruflicher Qualifikation eintrete, der zu einer genau festgesetzten Minderung des für die Alhi maßgeblichen Bemessungsentgelts führen müsse. Bei der Klägerin sei jedoch gerade kein Verlust an beruflicher Qualifikation eingetreten, vielmehr habe sie theoretische Kenntnisse hinzugewonnen. Die Anwendung des § 201 SGB III führe dabei in allen Fällen zu unbilligen Ergebnissen, in denen der Arbeitslose innerhalb eines Jahres Alhi nur sehr kurze Zeit bezogen habe, er in der überwiegenden Zeit aber einer Beschäftigung nachgegangen sei, ohne die Anwartschaft zu erfüllen, oder sich in einer Weiterbildungsmaßnahme befunden habe. Bei einer entgegengesetzten Entscheidung könnten allerdings Arbeitslose die Herabbemessung dadurch verhindern, dass sie nach dem Bezug von Alhi über fast ein Jahr sich einer Beschäftigung über nur kurze Zeit unterzögen, um sich danach wieder arbeitslos zu melden.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 201 Satz 1 SGB III. Im Gegensatz zur Meinung des LSG seien diejenigen Fälle, in denen das Stammrecht auf Alhi im Ablauf eines Jahres teilweise nicht bestanden habe, anders zu behandeln als jene, in denen das Stammrecht durchgehend vorgelegen habe. Das Stammrecht für die Alhi bestehe nur, solange seine Voraussetzungen vorlägen; solange jedoch ein Merkmal fehle, könne das Stammrecht keine Wirkungen entfalten. Der Jahreszeitraum des § 201 Satz 1 SGB III sei deshalb nicht erfüllt, wenn das Stammrecht auf Alhi in jener Zeit nicht ununterbrochen bestanden und daher nicht ununterbrochen „gewirkt” habe. Dies folge auch aus § 40 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) iVm § 201 Satz 1 SGB III. Wenn § 201 Satz 1 SGB III regele, dass die Anpassung nach Ablauf eines Jahres „seit” dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi erfolge, so setze er damit voraus, dass der Anspruch auf Alhi entstanden sein und weiter bestanden haben müsse. Die jener Vorschrift zu Grunde liegende Annahme, dass jährlich ein Verlust von beruflicher Qualifikation eintrete, der zu einer Minderung des Bemessungsentgelts in Höhe von 3 vH führe, setze voraus, dass sich ein Jahr lang nichts an der beruflichen Entwicklung des Arbeitslosen verändert habe. Eine solche Sachlage sei aber nur dann gegeben, wenn der Arbeitslose wirklich ein Jahr lang ununterbrochen ein Stammrecht auf Alhi gehabt habe. Da die Klägerin aber während des Bezugs von Uhg mangels Verfügbarkeit nicht arbeitslos gewesen sei, habe ihr Stammrecht auf Alhi in der entsprechenden Zeit nicht bestanden; diese sei damit nicht in die Jahresfrist einzurechnen. Das Auslegungsergebnis von SG und LSG sei auch weder aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung noch aus jenen der Vermeidung von Manipulationsmöglichkeiten unvermeidlich.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass sie das dem Alg zu Grunde gelegte Bemessungsentgelt von DM 870,– für zutreffend ansehen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2001 und des Sozialgerichts Duisburg vom 30. November 1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29. Dezember 1998, 8. Januar 1999 und 21. Januar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1999 zu verurteilen, der Klägerin ab 6. Dezember 1998 Arbeitslosenhilfe nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 870,00 DM zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Berufungsurteil und weist im Übrigen auf das Gesetzesvorhaben eines Job-AQTIV-Gesetzes (Stand: 9. Juli 2001) hin; in dessen Rahmen solle in § 201 SGB III ein Abs 2 angefügt werden, wonach die Minderung des Anpassungsfaktors dann unterbleibe, wenn der Arbeitslose innerhalb des letzten Jahres an einer vom Arbeitsamt geförderten mindestens sechs Monate dauernden Maßnahme zur Förderung der Berufsausbildung oder der beruflichen Weiterbildung erfolgreich teilgenommen habe oder eine mindestens sechs Monate dauernde versicherungspflichtige Beschäftigung ununterbrochen ausgeübt habe. Gleichzeitig solle hierin geregelt werden, dass auch zu Anpassungstagen, die vor dem Zeitpunkt der erneuten Bewilligung lägen, die Minderung des Anpassungsfaktors unterbleibe. Damit würde verdeutlicht, dass auch der Gesetzgeber von einem kalendermäßigen Ablauf der Frist bereits der bisherigen Regelung in § 201 SGB III ausgehe.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist unbegründet.
Der Klägerin stand keine höhere Alhi zu, als in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten vom 29. Dezember 1998 sowie 8. und 18. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1999 bewilligt (ab 6. Dezember 1998 und 1. Januar 1999 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von DM 860,–, ab dem 18. Januar 1999 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von DM 840,–).
Dies folgt aus § 201 Satz 1 SGB III (in der hier anwendbaren Fassung des Arbeitsförderungsreformgesetzes ≪AFRG≫ vom 24. März 1997, BGBl I 594). Hiernach wird das Bemessungsentgelt für die Alhi, das sich vor der Rundung (§ 132 Abs 3 SGB III) ergibt, jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi mit einem um 0,03 verminderten Anpassungsfaktor angepasst. Die hierin liegende pauschale Absenkung führt zu den von der Beklagten zu Grunde gelegten Bemessungsentgelten; der verminderte Anpassungsfaktor lag nicht zwischen 0,99 und 1,01 (§ 201 Satz 4 SGB III). Die Beklagte hat die abgesenkten Bemessungsentgelte hiernach richtig berechnet und zu Recht ab 6. Dezember 1998 bzw 18. Januar 1999 berücksichtigt.
Da die Klägerin bis zum 17. Januar 1997 Alg und ab dem Folgetag, dem 18. Januar 1997, Alhi bezog, war die pauschale Absenkung nach § 201 Satz 1 SGB III „nach Ablauf eines Jahres seit dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi” vorzunehmen, also ab 18. Januar 1998. Eine Umsetzung der Herabbemessung bereits zu jenem Zeitpunkt war jedoch nicht möglich, da die Klägerin vom 8. Dezember 1997 bis zum 5. Dezember 1998 Uhg und Anschluss-Uhg bezog, also keine Alhi. Mit der Wiederbewilligung von Alhi ab 6. Dezember 1998 allerdings war die Herabbemessung vorzunehmen, die, gerechnet vom Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs, am 18. Januar 1998 hätte erfolgen müssen; folgerichtig erhielt die Klägerin ab diesem Zeitpunkt Alhi nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von DM 860,–. In erneuter Anwendung des § 201 Satz 1 SGB III hat die Beklagte dann zu Recht (mit Bescheid vom 27. Januar 1999) die Alhi ab 18. Januar 1999 unter weiterer Herabbemessung nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von DM 840,– bewilligt.
Übergangsrechtlich war im Fall der Klägerin lediglich zu berücksichtigen, dass bei der ersten Anpassung des Bemessungsentgelts im Jahre 1998 – abweichend von § 201 Abs 1 SGB III – vom nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) maßgebenden gerundeten Bemessungsentgelt (DM 870,–) auszugehen war (§ 427 Abs 5 Satz 3 SGB III idF des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2970).
Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin hat sich an den Herabbemessungsstichtagen (18. Januar 1998/18. Januar 1999) nichts dadurch geändert, dass die Klägerin vom 8. Dezember 1997 bis zum 5. Dezember 1998 keine Alhi bezog. Mit der Wendung „seit dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi” in § 201 Satz 1 SGB III ist vielmehr, wie von den Vorinstanzen bereits richtig erkannt, nicht ein Stichtag gemeint, der sich bei Unterbrechungen des Leistungsbezuges (zB infolge Weiterbildung oder Beschäftigung) verschiebt, sondern ein Stichtag, der kalendermäßig Jahr für Jahr seit dem Entstehen des Alhi-Anspruchs auf demselben Datum verbleibt, unabhängig von Unterbrechungen der beschriebenen Art.
§ 201 Satz 1 SGB III hat den Wortlaut des § 136 Abs 2b Satz 1 AFG idF durch Art 1 Nr 5 Alhi-Reformgesetz (AlhiRG) vom 24. Juni 1996 (BGBl I 878) übernommen, worin bereits geregelt war, dass das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt „jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi mit einem um 0,03 verminderten Anpassungsfaktor” angepasst wird (hierzu bereits im Einzelnen Senatsurteil vom 25. Juni 1998, BSGE 82, 198, 201 ff = SozR 3-4100 § 242 Nr 1). Mit der damals neuen Konzeption der turnusgemäßen Neubemessung löste sich der Gesetzgeber vom zuvor geltenden Konzept individueller Bestimmung des auf dem Arbeitsmarkt erzielbaren Arbeitsentgelts; stattdessen sollte nunmehr zeitgleich mit der Dynamisierung nach § 112a AFG grundsätzlich eine automatische pauschale Absenkung des Bemessungsentgelts stattfinden und jeweils mit der Veränderung auf Grund der Dynamisierung verrechnet werden. Die Neuregelung sollte – typisierend – berücksichtigen, dass bei fortdauernder Arbeitslosigkeit ein Verlust beruflicher Qualifikation eintrete; zugleich diente die – pauschalierende – „negative Dynamisierung” dazu, an die Stelle des verwaltungsaufwändigen früheren Systems turnusmäßiger individueller Neubemessung ein dem Charakter der Alhi als Massenleistung entsprechendes erheblich vereinfachtes Verfahren zu setzen (BT-Drucks 13/2898 S 7 zu Nr 5; vgl Ebsen in: Gagel, AFG, § 136 RdNr 231b, Stand: 1998; Ebsen in: Gagel, SGB III, § 201 RdNr 8, Stand: 2000).
Damals bereits wurde der Wille des Gesetzgebers deutlich, das für die Alhi maßgebliche Arbeitsentgelt pauschalierend jährlich anzupassen (BT-Drucks 13/2898 S 5 unter Nr 2, S 7 zu Nr 5 ≪§ 136≫). Dem entsprach im Übrigen auch die Rechtsprechung des Senats zu der vor dem AlhiRG geltenden Fassung des § 136 Abs 2b AFG (s Senatsurteil vom 27. April 1995, SozR 3-4100 § 136 Nr 3, S 8, wonach der einmal feststehende Drei-Jahres-Zyklus immer zu beachten war). Damit ist die Meinung der Klägerin nicht vereinbar, nach der bei jeglicher Zwischenbeschäftigung oder Unterbrechung der Alhi-Zahlung wegen Bezugs anderweitiger Sozialleistungen der Stichtag zu verschieben wäre. Bereits zur damaligen Neufassung hatte die Literatur (Kärcher in: Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, § 136 Nr 18) betont, dass die Frist rein kalendermäßig abläuft, also auch dann, wenn der Alhi-Bezug zwischenzeitlich unterbrochen war.
Ein Anspruch auf Alhi konnte vor seinem Erlöschen (§ 135 AFG) nicht erneut (mehrmals) iS des § 136 Abs 2b Satz 1 AFG „entstehen”, vielmehr konnte der einmal entstandene Anspruch nur in dem Sinne wiederaufleben, dass die auf ihm beruhenden Einzelansprüche wieder zu erfüllen waren (grds zum Verhältnis von Stammrecht und Leistungsanspruch BSG vom 8. Dezember 1994, BSGE 75, 235, 237 = SozR 3-4100 § 100 Nr 5). Das verdeutlicht auch § 135 Abs 1 Nr 2 AFG, wonach die Unterbrechung des Alhi-Bezugs für bestimmte Zeiträume den Anspruch auf Alhi (im Sinne eines Stammrechts) fortbestehen ließ. Ganz entsprechend erlosch auch ein Anspruch auf Anschluss-Alhi selbst dann nicht, wenn sein Inhaber alle Voraussetzungen für den Anspruch auf originäre Alhi erwarb (§ 135 Abs 2 AFG). Die Wendung „Entstehen des Anspruchs auf Alhi” in § 136 Abs 2b Satz 1 AFG meinte damit in Anlehnung an die Regelung in § 40 Abs 1 SGB I das Erfüllen aller gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen, dh den Zeitpunkt, in dem – erstmals oder erneut – durch das Auslaufen eines Anspruchs auf Alg ein (neuer) Anspruch (Stammrecht) auf (Anschluss-)Alhi entstanden ist (§ 134 Abs 1, insbesondere Satz 1 Nr 4 AFG). Die Herabbemessung war dann im jährlichen Turnus bis zum Erlöschen des Anspruchs auf Alhi nach § 135 AFG durchzuführen.
Nichts anderes gilt aber auch für die auf die Klägerin anwendbare Nachfolgeregelung des § 201 Satz 1 SGB III (vgl Kärcher in: Niesel, SGB III, 1998, § 201 RdNr 9; s auch Henke in: Hennig, SGB III, § 201 RdNr 6, Stand: 2000). Denn auch das sonstige Regelungsumfeld hat sich nach dem SGB III im Ergebnis nicht geändert: Statt § 135 AFG regelt nunmehr § 196 SGB III das Erlöschen des Anspruchs auf Alhi; ebenso wie oben für das AFG erläutert, klärt damit auch jene Vorschrift die Auslegung der Wendung „Entstehen des Anspruchs auf Alhi” iS von § 201 Abs 1 SGB III.
Der Senat sieht sich in seiner Auslegung des § 136 Abs 2b AFG und § 201 Satz 1 SGB III durch die Neuregelung der letztgenannten Vorschrift im Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) bestätigt: Der Gesetzgeber hat mit Wirkung ab 1. Januar 2002 in § 201 einen Abs 2 angefügt, der die Folgen der Herabbemessungsregelung des Abs 1 (bisheriger Inhalt des § 201 SGB III) für Fälle wie den der Klägerin abmildert, in denen – wiederum typisierend – davon ausgegangen werden kann, dass im letzten Jahr kein Qualifikationsverlust eingetreten ist. Dann wird auf die Minderung der Anpassung der Alhi entsprechend einem um 3 Prozentpunkte geminderten Anpassungsfaktor verzichtet. Die als Abs 2 angefügte Neuregelung lautet:
„Hat der Arbeitslose innerhalb des letzten Jahres vor dem Tag, für den die Arbeitslosenhilfe erneut bewilligt wird,
- an einer vom Arbeitsamt geförderten, mindestens sechs Monate dauernden Maßnahme zur Förderung der Berufsausbildung oder der beruflichen Weiterbildung oder an einer von einem Rehabilitationsträger geförderten, mindestens sechs Monate dauernden Leistung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben erfolgreich teilgenommen oder
- eine mindestens sechs Monate dauernde versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung ununterbrochen ausgeübt,
unterbleibt die Minderung des Anpassungsfaktors nach Absatz 1 Satz 1 an dem nächsten auf die erneute Bewilligung folgenden Anpassungstag oder, falls das Bemessungsentgelt an dem Tag anzupassen ist, zu dem die Arbeitslosenhilfe erneut bewilligt wird, zu diesem Anpassungstag. Ist das Bemessungsentgelt bei der Entscheidung über die erneute Bewilligung auch zu einem Zeitpunkt anzupassen, der vor dem Tag liegt, zu dem die Arbeitslosenhilfe erneut bewilligt wird, unterbleibt die Minderung des Anpassungsfaktors auch zu diesem Anpassungstag. Zeiten, auf Grund derer die Minderung des Anpassungsfaktors unterblieben ist, können nicht erneut berücksichtigt werden.”
Diese Neuregelung aber lässt erkennen, dass auch der Gesetzgeber vom kalendermäßigen Ablauf bis zum nächsten Anpassungszeitpunkt ausgegangen ist. Insbesondere die Regelung des Satzes 2, wonach auch zu Anpassungstagen, die vor dem Zeitpunkt der erneuten Bewilligung liegen, die Minderung des Anpassungsfaktors unterbleibt, verdeutlicht, dass die jährliche Anpassungsfrist nach § 201 Abs 1 Satz 1 (dem bisherigen § 201 Satz 1) SGB III nicht durch Unterbrechungen des Alhi-Bezugs mit erneuter Bewilligung beeinflusst wird. Nach § 201 Abs 2 Satz 1 SGB III unterbleibt am turnusmäßigen Anpassungstag lediglich die Minderung des Anpassungsfaktors. Würde man die von der Klägerin vertretene Auslegung auch auf die Neufassung anwenden, würden den Beziehern von Alhi die „normalen” Anpassungen mit einem ungekürzten Anpassungsfaktor vorenthalten. Wäre im Falle der Klägerin die Neuregelung bereits anwendbar gewesen, so wäre ihr nach der vom Senat vertretenen Auslegung die Herabbemessung des Bemessungsentgelts nach § 201 Abs 1 Satz 1, letzte Alternative SGB III zum 6. Dezember 1998 erspart geblieben (nicht jedoch die Herabbemessung zum 18. Januar 1999: § 201 Abs 2 Satz 3 SGB III nF).
Mit der Neuregelung hat der Gesetzgeber zwar den Bedenken Rechnung getragen, die in Fällen wie dem der Klägerin gegen die der automatischen Herabbemessung zu Grunde liegende Annahme sprechen, im vergangenen Jahr sei ein (weiterer) Qualifikationsverlust eingetreten. Die Neuregelung findet jedoch im vorliegenden Fall keine Anwendung und kann auch nicht dazu führen, ihren Inhalt in die bisherige Regelung hineinzulesen.
Die bisherigen Regelungen des § 136 Abs 2b AFG (idF des AlhiRG) bzw des § 201 SGB III (idF des AFRG) haben verfassungsrechtliche Bedenken gegen die automatische Herabbemessung nicht aufgeworfen (s auch bereits Senatsurteil vom 25. Juni 1998, BSGE 82, 198, 207 ff = SozR 3-4100 § 242 Nr 1). Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass sich die Neuregelung durch das AlhiRG gegenüber dem vorherigen Rechtszustand durchaus auch (nach Kärcher in: Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, § 136 RdNr 16: für die meisten Alhi-Bezieher) günstig ausgewirkt hat. Die fiktive Neubemessung nach § 136 Abs 2b AFG in der bis zum Inkrafttreten des AlhiRG geltenden Fassung konnte für Langzeitarbeitslose zu abrupten Herabbemessungen ihres Bemessungsentgelts in Höhe zweistelliger Prozentsätze führen, während nach der Neuregelung durch das AlhiRG nur geringe – wenn auch jährliche – Veränderungen zu erwarten waren (mit entgegengesetzter Tendenz Ebsen in: Gagel, AFG, § 136 RdNr 231b, Stand: 1998 – freilich ohne Geltendmachung verfassungsrechtlicher Bedenken). Dass die – erlaubtermaßen – pauschalierende Regelung, die bis zum 31. Dezember 2001 galt, durch die etwas individuellere Vorschrift nach dem Job-AQTIV-Gesetz abgelöst wurde, legt in keinerlei Hinsicht die Verfassungswidrigkeit der ursprünglichen Gesetzesfassung nahe.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 713671 |
SozSi 2002, 323 |
info-also 2002, 171 |