Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. besonderes berufliches Betroffensein. Gelegenheit zum Ausruhen während der Berufsausübung. Beweiswürdigung
Orientierungssatz
Das Landesarbeitsgericht verstößt gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 128 SGG, wenn es das besondere berufliche Betroffensein nach § 30 Abs 1 S 2 BVG idF vom 6.6.1956 allein mit Hinweis verneint, aus der Art der beruflichen Tätigkeit (hier Versicherungskaufmann im Außendienst) ergebe sich, dass Gelegenheit zum Ausruhen vom Gehen und Stehen bestehe.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1956-06-06; SGG § 128 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 10.12.1959) |
SG München (Urteil vom 06.07.1956) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 10. Dezember 1959 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger ist Versicherungskaufmann und beantragte im Dezember 1948, ihm wegen der Folgen eines im Wehrdienst erlittenen Unfalls (Sturz vom Rad) sowie wegen weiterer, von ihm auf den Wehrdienst zurückgeführter Gesundheitsstörungen Versorgung zu gewähren. Mit Bescheiden vom 16. März 1953 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) M
"1.) fest verheilten Unterschenkelbruch links mit Verkürzung um 1 1/2 cm, verbildende Veränderungen und Bewegungseinschränkung im linken Fußgelenk, Bewegungseinschränkung der Großzehe, Muskelschwund am linken Unterschenkel;
2.) geringe Bewegungseinschränkung der Finger 2 bis 4 links",
hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) und des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), als Schädigungsfolgen an. Die Anerkennung weiterer geltend gemachter Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen wurde abgelehnt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der anerkannten Schädigungsfolgen - unter Gewährung der entsprechenden Rente - vom 1. Dezember 1948 an auf 30 v.H., vom 1. Oktober 1950 an auf 25 v.H. festgesetzt.
Mit der zum Oberversicherungsamt (OVA) M... eingelegten Berufung, die nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) München übergegangen ist, hat der Kläger beantragt, als weitere Schädigungsfolge eine Neuritis am rechten Arm im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen und ihm wegen sämtlicher Schädigungsfolgen unter Berücksichtigung einer besonderen Beeinträchtigung im Beruf vom 1. März 1953 an Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren. Zur Stützung seines Antrages hat er eine fachärztliche Bescheinigung des Orthopäden Dr. Sch... in M... vom 3. Juli 1956 und eine Bescheinigung der Firma L... D... u. Co, Versicherungen, in M... vom 18. August 1954 vorgelegt und ausgeführt, aufgrund seiner erlittenen Schädigung könne er als Versicherungskaufmann heute nur noch beschränkt im Innendienst verwendet werden; seine Tätigkeit im Außendienst, die er vor der Schädigung ausgeübt habe, sei erheblich gewinnbringender gewesen.
Das SG hat nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens des Chirurgen Dr. C... in M... (vom 6. Juli 1956) mit Urteil vom 6. Juli 1956 die Klage abgewiesen: Die am rechten Arm bestehende Neuritis könne ebensowenig wie andere noch bestehende Gesundheitsstörungen (rheumatische Beschwerden, Bluthochdruck, Kurzsichtigkeit und Ausgleichsstörungen im vegetativen Nervensystem) als Schädigungsfolge anerkannt werden; für eine besondere Berücksichtigung des Berufs sei bei der Art der anerkannten Schädigungsfolgen und im Hinblick darauf, daß der Kläger nach wie vor im Versicherungsfach tätig sei, kein Raum.
Mit der zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung hat der Kläger unter Vorlegung eines orthopädischen Gutachtens des Dr. E... in M... vom 12. November 1959 beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 16. März 1953 zu verurteilen, für die anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren. Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 10. Dezember 1959 zurückgewiesen: Die MdE eines Beschädigten sei in erster Linie nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Erst wenn der Beschädigte gerade in seinem Beruf besonders betroffen sei, sei die MdE höher zu bewerten. Diese Voraussetzung liege beim Kläger nicht vor. Seine Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei nach übereinstimmender Auffassung der gehörten ärztlichen Gutachter um 25 bis 30 v.H. gemindert. Er sei auch nach wie vor im Versicherungsfach tätig. Deshalb könne der Hinweis allein, daß eine Beschäftigung im Außendienst vorwiegend mit Gehen und Stehen verbunden sei und gerade die Folgen der Beinverletzung beim Gehen und Stehen für ihn eine besondere Behinderung seien, eine höhere MdE nicht rechtfertigen. Denn auf diese Folgen, deren Auswirkung im allgemeinen Erwerbsleben - zB im Beruf des Straßenarbeiters oder Bauhilfsarbeiters regelmäßig die gleiche sei, sei bei Festsetzung der MdE auf 25 vH schon Rücksicht genommen worden. Die MdE des Klägers könne daher nicht höher bewertet werden als bei einem gleichartig Beschädigten im allgemeinen Erwerbsleben. Aus der Art der Tätigkeit eines Versicherungskaufmanns im Außendienst ergebe sich überdies, daß sich auch beim auswärtigen Kundenbesuch oder bei Schadensfeststellungen, insbesondere bei Benutzung von Fahrzeugen, Gelegenheit biete, vom Gehen und Stehen auszuruhen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses am 8. Februar 1960 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 27. Februar 1960 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 22. Februar 1960 Revision eingelegt. Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 9. Mai 1960 - am 6. Mai 1960 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift vom 4. Mai 1960 rügt er die Verletzung des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG und Verfahrensverstöße gegen die §§ 103 und 128 Abs. 1 SGG. Die Auslegung des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG durch das Berufungsgericht werde dem Sinn dieser Vorschrift nicht gerecht. Denn der Beruf müsse immer dann besonders berücksichtigt werden, wenn die Berücksichtigung der Körperschäden nach allgemeinen Grundsätzen, also für das allgemeine. Erwerbsleben, nicht ausreiche, um die Nachteile auszugleichen, die dem Beschädigten gerade in seinem vor der Schädigung ausgeübten Beruf aus der Versehrtheit erwachsen seien. Dabei dürfe auch nicht übersehen werden, daß es selbst innerhalb eines einheitlichen Berufsstandes Tätigkeiten gebe, zwischen denen hinsichtlich des wirtschaftlichen Ertrages oder in der sozialen Wertung ein Unterschied bestehe. Das habe das LSG verkannt, wenn es festgestellt habe, daß er (der Kläger) nach wie vor im Versicherungsfach tätig sei. Es habe insbesondere sein Vorbringen nicht unberücksichtigt lassen dürfen, daß er seinen vor der Schädigung ausgeübten Beruf eines Versicherungskaufmanns im Außendienst nicht mehr ausüben könne und dadurch eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße erleide. Deshalb seien im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) und der nach den Regeln der Beweiswürdigung obliegenden Verpflichtungen noch Feststellungen darüber zu treffen gewesen, welchen speziellen Beruf innerhalb des vielschichtigen Versicherungsfaches er vor der Schädigung ausgeübt habe und nun nach der Schädigung noch auszuüben in der Lage sei. Dadurch, daß er heute nur noch als kaufmännischer Angestellter im Versicherungsfach und nicht mehr als Versicherungsfachmann im Außendienst tätig sein könne, habe er auf jeden Fall ein erhebliches Mindereinkommen. Wenn sich im übrigen nach der Feststellung des LSG aus der Art des Außendienstes ergebe, daß auch bei auswärtigen Kundenbesuchen oder bei Schadensfeststellungen Gelegenheit bestehe, vom Gehen und Stehen auszuruhen, so handele es sich dabei um nicht mehr als eine Vermutung, zu der tatsächliche, zur Überzeugungsbildung ausreichende Feststellungen nicht getroffen worden seien. Zu dieser Frage habe sich das Berufungsgericht deshalb auch mit den fachärztlichen Stellungnahmen der Dres. S... und E... auseinandersetzen müssen. Darüberhinaus sei es verpflichtet gewesen, zu der im Streit stehenden Frage noch eine Auskunft der jetzigen Arbeitgeberin, eine gutachtliche Äußerung eines Versicherungsfachmannes und - gegebenenfalls - ein weiteres Fachgutachten einzuholen. Endliche habe das LSG es pflichtwidrig unterlassen, bei seiner Überzeugungsbildung eine Bescheinigung der jetzigen Arbeitgeberin des Klägers zu berücksichtigen, nach der für ihn "eine Beschäftigung im Außendienst (Organisationsausbau- direkte Werbung) nicht infrage komme, nachdem er zufolge seiner Gehbehinderung den gestellten Anforderungen, welche der Außendienst abverlangt, nicht nachkommen könne."
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe die Anwendbarkeit des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG zu Recht verneint; es habe auch nicht gegen die Verfahrensvorschriften der §§ 103, 128 Abs. 1 SGG verstoßen.
Auf die Schriftsätze des Klägers vom 22. Februar und 4. Mai 1960 und auf den des Beklagten vom 25. Mai 1960 wird verwiesen.
Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Der Senat hatte zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob das LSG die vom Kläger gegen das Urteil des SG eingelegte Berufung zu Recht als zulässig angesehen und zu Recht eine Sachentscheidung getroffen hat (BSG 2, 225 ff.; 3, 124, 126; 4, 70, 72). Die Frage war zu bejahen. Denn die Statthaftigkeit der mit Schriftsatz vom 8. August 1956 eingelegten und damit als Prozeßhandlung abgeschlossenen Berufung ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG im SozR SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 2 und 3) nach den §§ 145 ff SGG i.d.F. vor dem Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG vom 25. Juni 1958 (BGBl I S. 409) - §§ 145 ff SGG aF - zu beurteilen. Nach den §§ 145 ff SGG aF lag ein Berufungsausschließungsgrund, insbesondere auch ein solcher i.S. des § 148 SGG aF, nicht vor. Denn das Urteil des SG vom 6. Juli 1956 betraf neben dem Grad der MdE (vgl. § 148 Nr. 3 SGG aF) auch eine vom Kläger noch zusätzlich geltend gemachte Neuritis am rechten Arm als Schädigungsfolge i.S. der Verschlimmerung. Dabei ist unerheblich, daß diese Gesundheitsstörung nach ihrer Ablehnung als Schädigungsfolge durch das SG im Verfahren vor dem Berufungsgericht nicht mehr im Streit stand, da der Ausschluß der Berufung in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nach § 148 SGG aF nicht nach dem Streitgegenstand im Berufungsverfahren, sondern allein nach dem Inhalt der Entscheidung des SG zu beurteilen ist (BSG 1, 225; 3, 24, 217, 271; BSG im SozR SGG § 148 Bl. Da 8 Nr. 18). Überdies lag - trotz des Streites über die Höhe des Grades der MdE - auch ein Berufungsausschließungsgrund i.S. des § 148 Nr. 3 SGG aF nicht vor, denn soweit das Urteil des SG den Grad der MdE betraf, hatte es im Hinblick darauf, daß der Kläger die Erhöhung seiner MdE von 25 v.H. auf 50 v.H. begehrt hatte, auch über die Schwerbeschädigteneigenschaft entschieden.
Wie dargelegt, hat der Kläger seinen noch in Verfahren vor dem SG geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Neuritis am rechten Arm als Schädigungsfolge i.S. der Verschlimmerung im Berufungsverfahren nicht weiter verfolgt. Da er außerdem die Beurteilung der durch seine Schädigungsfolgen verursachten MdE in Höhe von 25 v.H. nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben nicht angegriffen hat, hatte der Senat nur darüber zu entscheiden, ob das LSG die Anwendbarkeit des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG beim Kläger zutreffend verneint und die Berufung zu Recht zurückgewiesen hat.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger durch die Art der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen in seinem schon vor der Schädigung ausgeübten Beruf als Versicherungskaufmann besonders betroffen und deshalb die MdE bei ihm höher - nach Auffassung des Klägers statt mit 25 v.H. mit 50 v.H. - zu bewerten ist. Nach § 30 BVG ist die MdE eines Beschädigten grundsätzlich nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen (allgemeiner Bewertungsmaßstab). Das BVG hat seit seinem Inkrafttreten aber auch immer Vorschriften enthalten, nach denen u.U. der Beruf des Beschädigten bei Festsetzung des Grades der MdE noch besonders berücksichtigt werden muß. Nach der ursprünglichen Fassung des § 30 BVG war bei der Bewertung des Grades der MdE der vor der Schädigung ausgeübte Beruf oder eine bereits begonnene oder nachweisbar angestrebte Berufsausbildung zu berücksichtigen. § 30 BVG i.d.F. des Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 (BGBl I S. 463), den das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, enthält die - geänderte - Vorschrift, daß die MdE höher zu bewerten ist, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf besonders betroffen wird. In der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (Erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 (BGBl I S. 453) ist dies - der neu eingeführte Begriff des "derzeitigen" Berufes (§ 30 Abs. 2 Satz 1 BVG nF) ist im vorliegenden Rechtsstreit unbeachtlich - dahin ergänzt worden, daß der Beschädigte besonders betroffen ist, wenn er infolge der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder den nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann, oder wenn er zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einem wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist oder infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist. Zweck dieser verschiedenen Fassungen ist es sicherzustellen, daß im Einzelfall die Art der Schädigungsfolgen auch bei einem Beschädigten, der seinen vor der Schädigung ausgeübten Beruf weiter ausübt, dann besonders berücksichtigt wird, wenn die Bewertung der Körperschäden nach allgemeinen Grundsätzen, also im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben nicht ausreicht, um die Nachteile abzugleichen, die ihm aus der Schädigung gerade in dem ausgeübten Beruf erwachsen sind. Verfolgen hiernach die verschiedenen Fassungen derselben Vorschriften des Gesetzes ein einheitliches Ziel, so ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber mit den verschiedenen Fassungen nicht jeweils neu bestimmen wollte, in welcher Weise nunmehr der Beruf eines Beschädigten bei der Bewertung der MdE zu berücksichtigen ist, sondern daß er mit den neuen Fassungen nur zum Ausdruck bringen wollte, wie diese Vorschrift schon in der ursprünglichen Fassung auszulegen war (vgl. BSG 13, 20, 22; vgl. auch die Urteile des erkennenden Senats vom 26. November 1959 - 8 RV 1305/57 - und vom 3. November 1961 - 8 RV 593/59 -). In welchem Umfange der Beschädigte betroffen ist, ist nach den gesamten Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen (BSG 10, 69, 70).
Demnach ist die MdE eines Beschädigten unabhängig davon, in welcher Fassung der § 30 BVG jeweils zur Anwendung zu kommen hat, dann höher zu bewerten, wenn der Beschädigte zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt, aber in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist. Dabei sind, ohne daß für alle Einzelfälle eine allgemein gültige Regel aufgestellt werden kann, alle Umstände von Belang, die sich nachteilig auf den früher ausgeübten Beruf ausgewirkt haben. Als Beruf in diesem Sinne ist jede Beschäftigung anzusehen, die der Beschädigte erlernt hat oder für die er in irgendeiner Weise angelernt ist; auch innerhalb eines einheitlichen Berufsstandes gibt es dabei Tätigkeiten, die sich hinsichtlich des wirtschaftlichen Ertrages oder in der sozialen Wertung voneinander unterscheiden (BSG 10, 69, 71).
Im vorliegenden Falle hat das LSG - für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG) - unter Bezugnahme auf die Gutachten des Dr. F... vom 18. Dezember 1952 und des Dr. C... vom 6. Juli 1956 festgestellt, daß die MdE des Klägers nach seiner körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben um 25 v.H. gemindert ist. Zur Frage der Berücksichtigung des Berufes hat es festgestellt, daß der Kläger nach wie vor im Versicherungsfach tätig sei. Im übrigen, so hat es zusätzlich ausgeführt, ergebe sich aus der Tätigkeit eines Versicherungskaufmanns im Außendienst, daß sich auch beim auswärtigen Kundenbesuch oder bei Schadensfeststellungen - insbesondere bei Benutzung von Fahrzeugen - Gelegenheit biete, vom Gehen und Stehen auszuruhen.
Diese Feststellungen und Ausführungen jedoch reichen, wie der Kläger zutreffend rügt, nicht aus, um eine besondere berufliche Betroffenheit ohne weiteres zu verneinen. Nach der bereits im ersten Rechtszuge vorgelegten Bescheinigung des Orthopäden Dr. S... in M... vom 3. Juli 1956 kann der Kläger infolge deines Beinschadens "nur ganz kurze Strecken ohne vorzeitige Ermüdung und Schmerzen gehen, was ihm als Beamten im Außendienst die Ausübung seines früheren Berufes und damit seine Verdienstmöglichkeit um 50 % herabsetzt". Der Orthopäde Dr. E... in M... hat in seinem dem LSG vom Kläger vorgelegten Gutachten vom 12. November 1959 ausgeführt, die ehemalige Berufstätigkeit als Versicherungsfachmann im Außendienst könne dem Kläger auf Grund des vorliegenden Befundes am linken Bein sicher nicht mehr zugemutet werden, da diese Tätigkeit vorwiegend mit Gehen und Stehen verbunden sei. Schließlich hatte die Firma L... D... & Co, Versicherungen, in München dem Kläger mit Bescheinigung vom 18. August 1954 - zur Vorlage an das Gericht - bestätigt: "Wenn Herr J... P... aufgrund seiner früheren Gesundheitsverhältnisse noch seinem erlernten Beruf nachkommen könnte, so würde er aufgrund seiner Vorbildung heute einen Verdienst von ca 800,-- DM monatlich erzielen. Nachdem aber der Genannte in seiner Spezialausbildung durch WdB in den unteren und oberen Gliedmaßen beeinflußt ist, muß er selbst auch mit dem besten Willensaufkommen auf eine bessere Lebensstellung verzichten. Den Versuch seinerzeit hierzu (1. April bis 20. April 1949) gem. der angeführten Darlegung können wir jederzeit bestätigen, wonach es ihm nicht möglich war, den ihm gestellten Erfordernissen vollends zu genügen".
Diese Beweismittel hat das LSG zwar in seinem Urteil angeführt, die Entscheidungsgründe lassen aber ihre ausreichende Würdigung und eine Auseinandersetzung mit ihnen vermissen. Denn die Feststellung allein, aus der Art der Tätigkeit eines Versicherungskaufmanns im Außendienst ergebe sich, daß sich auch beim auswärtigen Kundenbesuch oder bei Schadensfeststellungen - insbesondere bei Benutzung von Fahrzeugen - Gelegenheit zum Ausruhen vom Gehen und Stehen biete, läßt eine solche notwendige Auseinandersetzung nicht erkennen. Schließlich hat das LSG auch die vom Kläger noch vorgelegte Bescheinigung seiner jetzigen Arbeitgeberin, der Bayerischen Beamten-Versicherungsanstalt in M... vom 1. Dezember 1959 völlig unbeachtet gelassen, nach der der Kläger für eine Beschäftigung im Außendienst (Organisationsausbau - direkte Werbung) nicht infrage komme, nachdem er "zufolge seiner Gehbehinderung den gestellten Anforderungen, welche der Außendienst abverlangt, nicht nachkommen könne". Diese mangelnde Auseinandersetzung mit den Bescheinigungen der Orthopäden Dr. Sch... und Dr. E... und den Bescheinigungen der Firma D... & Co und der B...-Versicherungsanstalt stellt, da ohne eine Auseinandersetzung mit ihnen die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beruht, einen Mangel in der Beweiswürdigung und somit eine Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG dar. Daran ändert nichts, daß das LSG anstelle dieser notwendig gewesenen Würdigung der ihm vorliegenden Beweisunterlagen auf die in gleicher Weise wie der Kläger beschädigten Straßenarbeiter oder Bauhilfsarbeiter hingewiesen hat, die vorwiegend mit Arbeiten im Gehen und Stehen beschäftigt seien. Denn dieser Hinweis geht schon deshalb fehl, weil bei ihm unbeachtet geblieben ist, daß in Fällen des besonderen beruflichen Betroffenseins im Einzelfalle auch der Straßenarbeiter oder Bauhilfsarbeiter einen Anspruch darauf haben kann, daß seine MdE über die körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben hinaus deshalb höher bewertet wird, weil er in seinem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist.
Wegen Verstoßes gegen § 128 Abs. 1 SGG war deshalb das angefochtene Urteil aufzuheben. Dabei war die Sache, weil die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts für eine eigene Entscheidung des Senats nicht ausreichen, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Vordergericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dieses wird nunmehr alle ihm vorliegenden Beweisunterlagen, darunter auch die eigenen Angaben des Klägers über seinen beruflichen Werdegang innerhalb des - wie er vorträgt - vielschichtigen Versicherungsfaches und seine derzeitigen und vergleichbaren früheren Einkünfte aus seiner Tätigkeit im Versicherungswesen in seine Würdigung einbeziehen müssen. Gegebenenfalls werden, wenn die vorliegenden Beweismittel zu den für die Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen nicht ausreichen, auch noch weitere Ermittlungen erforderlich sein, die die Tätigkeit des Klägers im Versicherungsfach vor und nach der Schädigung, den wirtschaftlichen Ertrag dieser Tätigkeiten und ihre soziale Wertung (Versicherungsfachmann bzw. Versicherungskaufmann - kaufm. Angestellter im Versicherungswesen) betreffen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen