Leitsatz (amtlich)
Nach 6. ÄndG BVG § 30 Abs 1 S 2 entfiel eine Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erst dann, wenn letztere durch arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen nach BVG § 26 beseitigt war. Die ab 1960-06-01 geltende Vorschrift des BVG § 30 Abs 6 idF des 1. NOG KOV läßt Erhöhungen der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die nach altem Recht begründet waren unberührt.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1956-06-06, § 26 Fassung: 1950-12-20, § 30 Abs. 6 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Anschlußrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 27. März 1962 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Beim Kläger wurden 1949 als Schädigungen nach dem Körperbeschädigtenleistungsgesetz Dystrophie, reizlose Hautnarben an linker Brust- und Rückenseite, am linken Unterarm und am rechten Oberschenkel, sowie geringe Schädigung des Mittelnerven am linken Unterarm anerkannt und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. gewährt. Mit Umanerkennungsbescheid vom 21. März 1951 wurden als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) statt Dystrophie Abklingender Eiweißmangelschaden sowie zusätzlich Erkrankung des Mondbeins der rechten Hand mit Bewegungseinschränkung im rechten Handgelenk anerkannt und ab 1. Mai 1951 Rente nach einer MdE um 50 v. H. gewährt. Auf die Berufung (alten Rechts) des Klägers verglichen sich die Parteien 1952 dahin, daß (statt Dystrophie) Herzmuskelschädigung bei weitgehend abgeklungenem Eiweißmangelschaden anerkannt und Rente weiterhin nach einer MdE um 70 v. H. gezahlt wurde. Mit Neufeststellungsbescheid vom 20. Mai 1957 setzte das Versorgungsamt (VersorgA) die Rente ab 1. Juli 1957 auf 30 v. H. herab, da sich der Herzmuskelschaden gebessert habe und die Gebrauchsfähigkeit der Hand nur wenig behindert sei. Zusätzlich wurde leichte Verbildung des linken Schlüsselbeines anerkannt. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Klageverfahren, in dem der Kläger - wie schon im Widerspruchsverfahren - besondere berufliche Betroffenheit geltend machte, wurden durch Ergänzungsbescheid vom 15. Dezember 1959 bei gleicher MdE von 30 v. H. neben den anderen Schädigungsfolgen reizlose Narben an der linken Brust- und Rückenseite wieder, eine Herzmuskelschädigung aber nicht mehr anerkannt. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 1. Juli 1957 wegen besonderer beruflicher Beeinträchtigung Rente nach einer MdE um 40 v. H. zu zahlen und wies im übrigen die Klage, die auf weitere Anerkennung der Herzmuskelschädigung und zusätzlich eines Krampfaderleidens sowie Rentengewährung nach einer MdE um 70 v. H. gerichtet war, ab. Die Berufung wurde zugelassen. Die von beiden Beteiligten eingelegten Berufungen wurden mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 27. März 1962 als unbegründet zurückgewiesen. Der Herzmuskelschaden sei entgegen der Auffassung des Dr. R ausgeheilt, was sich aus den Gutachten von Dr. B und Dr. G ergebe. Das Krampfaderleiden beruhe auf einer anlagebedingten Bindegewebsschwäche. Eine höhere MdE als 40 v. H. sei nicht gerechtfertigt, da Dr. G Dr. B und Dr. G die MdE auf 30 v. H. geschätzt hätten. Zutreffend habe das SG festgestellt, daß der Kläger in seinem Beruf als Stellmacher besonders betroffen sei. Solange die eingeleiteten berufsfördernden Maßnahmen nicht erfolgreich durchgeführt seien, sei die MdE entsprechend der besonderen beruflichen Beeinträchtigung festzusetzen, denn bis dahin böten sie keinen Ausgleich. Auch nach § 30 Abs. 6 BVG idF des 1. Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) - nF - könne die MdE-Erhöhung nicht von den arbeits- und berufsfördernden Maßnahmen abhängig gemacht werden. Die besondere berufliche Beeinträchtigung dauere entgegen dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 20. Februar 1957 - Va 2 - 9500/56 - solange an, bis sie durch solche Maßnahmen ganz oder teilweise behoben sei. § 30 Abs. 6 BVG nF gebe jedenfalls in den Fällen, in denen der Grad der MdE auch noch für einen Zeitraum vor dem 31. Mai 1960 festgestellt werden müsse, keine Handhabe, die MdE-Erhöhung vom Ausgang der berufsfördernden Maßnahmen abhängig zu machen. Die Revision wurde zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision und die Beklagte Anschlußrevision eingelegt. Der Kläger rügt Verletzung der §§ 103, 106, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie 1, 30 und 62 BVG. Bei Festsetzung der Höhe der MdE habe das LSG außer acht gelassen, daß Dr. P im Gutachten vom 8. Juli 1961 neuere Feststellungen getroffen und keine Besserung, sondern eine allmählich zunehmende Verschlechterung festgestellt habe. Die Gutachter Dr. G, Dr. B und Dr. G hätten nur eine MdE von 30 v. H. angenommen. Dem stünden die Feststellungen des Dr. P und die Tatsache gegenüber, daß Dr. ... im März 1961 den Arm des Klägers in Gips gelegt und ihm Berufswechsel mit leichterer körperlicher Arbeit verordnet habe. Mit diesen Widersprüchen hätte sich das LSG auseinandersetzen, mindestens Dr. G nochmals hören müssen. Keinesfalls hätten die späteren Tatsachen unberücksichtigt und das Gutachten des Dr. P nur bei der Frage beruflicher Betroffenheit verwendet werden dürfen. Das LSG habe damit § 128 und evtl. auch die §§ 103, 106 SGG verletzt. Das LSG habe auch übersehen, daß 1952 die damaligen Schäden mit einer MdE um 50 v. H. und die Herzmuskelschädigung mit einer MdE um 20 v. H. bewertet worden seien und deshalb nicht erkannt, daß die MdE von 50 v. H. auch weiterhin gerechtfertigt gewesen sei; diese wäre allenfalls mit Rücksicht auf die Feststellungen des Dr. P noch zu erhöhen, keinesfalls aber zu mindern gewesen. Bei der Frage der beruflichen Betroffenheit habe das LSG den Brief des Arbeitsamts B vom 7. März 1962 und die guten Befähigungen und Aussichten des Klägers in seinem Beruf als Karosseriestellmacher nicht beachtet, sondern nur eine schematische Erhöhung um 10 v. H. vorgenommen; die MdE hätte um mindestens 20 v. H. erhöht werden müssen, so daß sich eine Gesamt-MdE von über 60 v. H. ergeben hätte. § 62 BVG sei verletzt, weil sich der Herzschaden nicht wesentlich geändert habe, sondern lediglich abweichend beurteilt worden sei. Schließlich habe das LSG § 1 Abs. 3 BVG dadurch verletzt, daß es nicht geprüft habe, ob die angeblich anlagebedingten neurovegetativen Beschwerden nicht durch die Dystrophie verschlimmert wurden. Auch hierdurch seien die §§ 128, 103 und 106 SGG verletzt. Der Kläger beantragt, unter teilweiser Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie der Bescheide vom 20. Mai 1957, 15. Dezember 1959 und 12. Dezember 1957 die Beklagte in vollem Umfang zu verurteilen, dem Kläger über den 30. Juni 1957 hinaus Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Verstöße gegen die §§ 103, 106, 128 SGG oder die §§ 1 Abs. 3, 62 BVG lägen nicht vor.
Mit der Anschlußrevision rügt die Beklagte Verletzung des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF und § 30 Abs. 6 BVG nF. Der Kläger habe eine berufliche Betroffenheit erst mit Schriftsatz vom 15. September 1958 geltend gemacht, weshalb die Erhöhung frühestens ab Antragsmonat (September 1958), nicht bereits ab 1. Juli 1957 habe erfolgen dürfen. Außerdem sei übersehen worden, daß eine Höherbewertung der MdE erst hätte erfolgen dürfen, wenn zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen i. S. des § 26 BVG keinen Ausgleich boten. Für die Zeit ab 1. Januar (richtig: 1. Juni) 1960 sei in § 30 Abs. 6 BVG nF ausdrücklich bestimmt und bewußt zur Bedingung gemacht worden, daß der Erhöhung der MdE solche Maßnahmen vorauszugehen hätten. Eine Erhöhung dürfe hiernach nur erfolgen, wenn Maßnahmen nach § 26 BVG weder möglich noch zumutbar oder aus vom Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen erfolglos geblieben seien. Erst am 25. Juni 1961 habe der Kläger erklärt, er könne seinen Beruf als Stellmacher nicht mehr ausüben und sei mit der Durchführung von Maßnahmen nach § 26 BVG einverstanden. Diese Maßnahmen seien noch nicht abgeschlossen worden. Der Beklagte beantragt, unter teilweiser Aufhebung der Urteile des LSG und des SG die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Bremen zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt, die Anschlußrevision des Beklagten zurückzuweisen. Die Erhöhung der MdE wegen beruflicher Betroffenheit müsse unabhängig von einem Antrag von Amts wegen erfolgen. Darüber hinaus habe er eine solche schon am 3. April 1951 geltend gemacht. Damals hätte man den Kläger schon umschulen müssen. Auch hätte Dr. G 1957 ihn zu seiner beruflichen Tätigkeit befragen müssen. Die Erhöhung der MdE könne im vorliegenden Fall auch nicht nach § 30 Abs. 6 BVG nF von viel zu spät eingeleiteten berufsfördernden Maßnahmen abhängig gemacht werden.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Auch die Anschlußrevision der Beklagten ist innerhalb der normalen Revisionsbegründungsfrist und somit fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 556 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Nach Abs. 2 dieser Vorschrift muß die Anschlußrevision zwar in der Anschlußschrift begründet werden, Begründungsnachträge sind jedoch innerhalb der Begründungsfrist zulässig (vgl. Baumbach/Lauterbach ZPO Anm. 1 zu § 556 ZPO).
Der Senat hat es bei der zugelassenen Revision für zweckmäßig gehalten, zunächst auf die Anschlußrevision, mit der die Verletzung materiellen Rechts (§ 30 BVG) gerügt wurde, einzugehen. Diese erwies sich als nicht begründet.
Weder die Beklagte noch der Kläger wenden sich gegen die Annahme einer besonderen beruflichen Betroffenheit des Klägers, infolgedessen sind die dahingehenden Feststellungen des LSG für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG). Der Kläger hat bereits mit Schriftsatz vom 3. April 1951 vorgetragen, daß seine Verwundung ihn am Schreibtisch nicht besonders behindere, daß sie aber in seinem Beruf ein Hindernis sei, zumal das Schlüsselbein nach oben vorstehe. In diesem Zusammenhang hat er auch auf die Beschwerden an der rechten Hand hingewiesen. Er hat auch in seinem Widerspruch die große Behinderung in seinem Beruf betont. Demgemäß hat der Widerspruchsbescheid eine besondere berufliche Betroffenheit i. S. des § 30 BVG geprüft und diese verneint. Das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe eine berufliche Betroffenheit erst am 15. September 1958 geltend gemacht, trifft somit nicht zu. Zu prüfen war daher, ob in den angefochtenen Bescheiden aus dem Jahre 1957 für die Zeit ab 1. Juli 1957 die MdE wegen besonderer beruflicher Beeinträchtigung höher zu bemessen war. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt nicht die Vorschrift des § 30 Abs. 2 und 6 idF des 1. NOG in Betracht, denn diese ist erst am 1. Juni 1960 in Kraft getreten (vgl. Art. IV § 4 Abs. 1, 2 des 1. NOG). Vielmehr ist § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des Sechsten Änderungsgesetzes zum BVG vom 1. Juli 1957 (BGBl I 661) anzuwenden. Hiernach ist die MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen besonders betroffen wird, es sei denn, daß zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen i. S. des § 26 BVG einen Ausgleich bieten. Der mit den Worten "es sei denn" eingeleitete Nachsatz weist bereits darauf hin, daß grundsätzlich die Feststellung der besonderen beruflichen Betroffenheit zu einer angemessenen Erhöhung der MdE führt und daß nur ausnahmsweise hiervon abzusehen ist, wenn sich feststellen läßt, daß die besondere Betroffenheit durch arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen ausgeglichen wird. Die Worte "einen Ausgleich bieten" bedeuten demnach nicht, daß bereits die theoretische Möglichkeit, es könne in Zukunft ein Ausgleich erzielt werden, die MdE-Erhöhung ausschließt, denn durch eine solche bloße Möglichkeit wird die tatsächlich bestehende besondere berufliche Betroffenheit, die zu einer Erhöhung der MdE führt, nicht beseitigt. Die Worte: "einen Ausgleich bieten" bedeuten sonach einen Ausgleich bewirken. Demgemäß hat der erkennende Senat bereits in BSG 16, 107 entschieden, daß bei Prüfung der besonderen beruflichen Betroffenheit i. S. des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF ein Versorgungsberechtigter nicht auf den Ausgleich verwiesen werden darf, den eine weder eingeleitete noch durchgeführte arbeits- und berufsfördernde Maßnahme i. S. des § 26 BVG möglicherweise bieten würde. Durch den 2. Halbs. des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF ist sonach die Bestimmung des 1. Halbs., daß die MdE bei bestehender besonderer beruflicher Betroffenheit höher zu bewerten ist, grundsätzlich nicht eingeschränkt. Erst wenn die besondere Betroffenheit durch solche Maßnahmen beseitigt ist, entfällt eine entsprechende MdE-Erhöhung. Wollte man etwas anderes aus dem Gesetz herauslesen, so würde man den 1. und 2. Halbs. des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF in einen unlösbaren Widerspruch zueinander setzen. Denn der Ausgleich durch Maßnahmen nach § 26 BVG kann nicht im Monat der Antragstellung bewirkt werden, vielmehr vergeht stets eine meist beträchtlich lange Zeit, bis die besondere berufliche Betroffenheit festgestellt und danach durch Umschulung oder Fortbildung die berufliche Leistungsfähigkeit gebessert bzw. wiedererlangt ist (§ 26 Abs. 2 BVG aF). Zieht man hierbei die zahlreichen Fälle in Betracht, in denen die Versorgungsbehörde eine besondere berufliche Betroffenheit des Beschädigten als Voraussetzung von Maßnahmen nach § 26 BVG zunächst verneint und erst nach Jahren hierzu rechtskräftig verurteilt wird, so würde dem Beschädigten dann stets ohne eigenes Verschulden Jahre hindurch die in § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF zwingend vorgeschriebene Erhöhung der MdE vorenthalten. Dem gewonnenen Ergebnis steht die Auffassung im Rundschreiben des BMA vom 20. Februar 1957 (BVBl 1957, 34 - vgl. ferner BVBl 1957, 115 -), zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen i. S. des § 26 BVG müßten vorausgehen und voll ausgeschöpft werden, ehe eine höhere MdE-Bewertung erfolgt, nicht grundsätzlich entgegen, wenn man hierin eine Anweisung an die Versorgungsbehörden erblickt, wie sie im Regelfall zu verfahren haben. Dieses Rundschreiben kann aber keine Bedeutung für die Fälle haben, in denen solche Maßnahmen zu Unrecht nicht durchgeführt worden sind und infolgedessen ein Ausgleich nicht stattgefunden hat. Da im vorliegenden Fall die besondere berufliche Betroffenheit noch nicht beseitigt war, hat das Vordergericht zutreffend die Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ausgesprochen.
Das LSG mußte auch für die Zeit ab 1. Juni 1960 zu keinem anderen Ergebnis gelangen. Bei Prüfung dieser Frage konnte der Senat unerörtert lassen, wie die Vorschrift des § 30 Abs. 6 BVG nF in denjenigen Fällen, in denen nur für die Zeit nach Inkrafttreten des 1. NOG (1.6.1960) eine Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit vorzunehmen war, auszulegen ist, d. h. ob die Rehabilitationsmaßnahmen nun für die Zukunft den Vorrang in dem Sinne haben, daß die MdE ohne diese Maßnahmen nicht erhöht werden darf (so schon für das alte Recht: Rundschreiben des BMA vom 20.2.1957 in BVBl 1957, S. 34 und Schreiben vom 31.5.1957 in BVBl 1957, 115; vgl. für das neue Recht: van Nuis-Vorberg, Teil IV S. 29 ff; Wilke, Komm. z. BVG S. 133, Rohr in ZfS 1964, 297, 298 und Tichy KOV 1964, 129). Denn im vorliegenden Fall hatte ab 1. Juli 1957 nach den für diese Zeit maßgebenden gesetzlichen Vorschriften eine MdE-Erhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit zu erfolgen. Diese MdE-Erhöhung wird durch die ab 1. Juni 1960 geltende Neufassung des § 30 BVG nicht berührt oder beseitigt. Denn § 30 Abs. 6 BVG nF enthält weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Bestimmung des Inhalts, daß nach früherem Recht vorgenommene MdE-Erhöhungen überhaupt oder ab 1. Juni 1960 etwa deshalb rückgängig zu machen seien, weil mögliche und zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen seinerzeit nicht vorausgegangen waren. Das Gesetz läßt nicht die Auslegung zu, daß eine vor dem 1. Juni 1960 begründete Rechtsposition beseitigt werden könne, weil in Zukunft einer Erhöhung der MdE wegen beruflicher Betroffenheit mögliche und zumutbare Berufsförderungsmaßnahmen entgegenstünden. Die durch das Erste Neuordnungsgesetz angeordnete verstärkte Berufshilfe ersetzt nicht die Höherbewertung der MdE wegen beruflicher Betroffenheit. Diese Vorschrift konnte zwar die Versorgungsbehörde veranlassen, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor der letzten Tatsacheninstanz solche Maßnahmen durchzuführen und den Beteiligten bzw. dem Gericht deren Ergebnis mitzuteilen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG waren solche Maßnahmen jedoch lediglich eingeleitet. Nur eingeleitete Maßnahmen nach § 26 BVG können aber eine im Einklang mit dem früheren Recht zugesprochene MdE-Erhöhung nicht beeinträchtigen. Die Vorschrift des § 30 Abs. 6 BVG nF hat insbesondere Bedeutung für diejenigen Behörden (Versorgungsämter, Hauptfürsorgestellen), die kraft Gesetzes verpflichtet sind, den Beschädigten jede Hilfe zu gewähren, die der Besserung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit dient (§ 26 Abs. 1 BVG nF) und die darum bei einer besonderen beruflichen Betroffenheit solche arbeits- und berufsfördernden Maßnahmen ohne Verzug einzuleiten bzw. durchzuführen haben. Aus den Absätzen 2 der §§ 5 und 6 der Verordnung (VO) zur Kriegsopferfürsorge vom 30. Mai 1961 (BGBl I 653) ergibt sich, daß auch während der Dauer von Maßnahmen nach § 26 BVG die berufliche Betroffenheit nicht entfällt, und zwar auch dann nicht, wenn ein Unterhaltsbeitrag nach § 18 der VO gewährt wird; denn dieser wird - im Gegensatz zur Beschädigten-Grundrente nach § 30 Abs. 1, 2 BVG nF - nur zur Sicherung des Lebensunterhalts während der Förderung geleistet. Die Vorschrift des § 30 Abs. 6 BVG nF dürfte daher unter dem Gesichtspunkt der in den §§ 26 ff BVG geregelten Kriegsopferfürsorge, nämlich einer nur vorläufigen Zurückstellung einer Höherbewertung der MdE wegen beruflicher Betroffenheit zu betrachten sein. Der Senat brauchte jedoch hierauf nicht näher einzugehen und auch nicht zu prüfen, ob § 30 Abs. 6 BVG nF dann, wenn die Verwaltungsbehörde berufsfördernde Maßnahmen nicht rechtzeitig durchgeführt hat, angesichts des eindeutigen Gesetzesbefehls in Abs. 2 dieser Vorschrift und der §§ 26 ff BVG überhaupt zum Zuge kommen kann. Denn die neue Vorschrift konnte im vorliegenden Fall schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis führen, weil sie erst am 1. Juni 1960 in Kraft getreten ist und die nach altem Recht zutreffend vorgenommene MdE-Erhöhung hierdurch - zumindest ohne nachträglich durchgeführte Maßnahmen nach § 26 BVG - nicht berührt wird. Das gleiche gilt für die Neufassung des § 30 BVG durch das 2. NOG vom 21. Februar 1964.
Da sonach die Entscheidung des LSG, soweit sie eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ohne vorausgegangene arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen nach § 26 BVG vorgenommen hat, nicht zu beanstanden ist, war die hiergegen gerichtete Anschlußrevision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Das LSG hat sich bezüglich der MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf die Gutachten von Dr. G, Dr. B und Dr. G gestützt, die die MdE auf 30 % geschätzt haben. Es ist hierbei nicht auf das Gutachten des Dr. P vom 8. Juli 1961 eingegangen, sondern hat dessen Gutachten nur hinsichtlich der Frage einer beruflichen Betroffenheit berücksichtigt. Das rügt die Revision zu Recht als Verstoß gegen § 128 SGG. Dr. P hat keine Besserung der Handverletzung festgestellt, sondern die Auffassung vertreten, daß die Erwerbsminderung seit 1945 bestehe, allmählich zunehme und daß der Kläger auf die Dauer die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr werde ausüben können. Zusammenfassend heißt es dann: Wesentlich sei die Lunatummalazie mit der daraus resultierenden, im Laufe der Jahre zunehmenden Arthrosis deformans und der Bewegungseinschränkung des Handgelenks mit glaubhaften Schmerzen; der Kläger werde auf die Dauer einen Handwerkerberuf konkurrenzfähig nicht ausüben können. Diese gutachtlichen Feststellungen standen mit der Feststellung im Bescheid vom 20. Mai 1957, wonach die Gebrauchsfähigkeit der Hand nur wenig behindert sei, nicht in Einklang. Dasselbe gilt für die Feststellungen der Gutachter, auf die sich das LSG stützte. Dr. G war 1957 der Auffassung gewesen, daß die MdE bisher recht hoch bemessen gewesen sei. Er hat den Narben und der geringen Gefühlsstörung an der linken Hand keine erwerbsmindernde Bedeutung beigemessen und die Gebrauchsfähigkeit der Hand als nur wenig behindert bezeichnet. Dr. B hat sich 1959 nur mit den Herzbeschwerden befaßt und nicht begründet, weshalb er für die übrigen Schädigungsfolgen nur eine MdE von nicht mehr als 30 v. H. angenommen hat. Ähnlich hat Dr. G im Gutachten vom 14. November 1960 zum rechten Handgelenk lediglich erwähnt, daß "zumindest" dessen Beweglichkeit besser geworden sei. Nachdem der 1961 gehörte Gutachter Dr. P die Handverletzung nicht als geringfügig beurteilt, sondern ihr sogar für die Frage, ob der Kläger überhaupt einen Handwerkerberuf auf die Dauer noch ausüben kann, ein entscheidendes Gewicht beigemessen hatte, mußte sich das LSG bei verfahrensrechtlich einwandfreier Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens wenigstens mit diesem Gutachten auseinandersetzen und dartun, weshalb diese Schädigungsfolge entsprechend dem Gutachten Dr. G, dem die Gutachter Dr. B und Dr. G gefolgt waren, trotzdem die Erwerbsfähigkeit des Klägers nur wenig behindere. Stattdessen ist das LSG auf das Gutachten des Dr. ... bei der Frage der organisch bedingten MdE überhaupt nicht eingegangen. In dieser unvollständigen Würdigung liegt ein Verstoß gegen § 128 SGG.
Auch die weitere Rüge des Klägers, das LSG habe zur Frage der beruflichen Betroffenheit die Verhältnisse des Klägers in seinem Beruf und die Auskunft des Arbeitsamts nicht berücksichtigt, greift durch. Denn das LSG hat nicht dargetan, daß und weshalb es die von ihm für richtig erachtete Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um 10 v. H. für ausreichend hielt. Offenbar hat es angenommen, der Kläger werde mit den 10 v. H. zufrieden sein. Es hat nur ausgeführt, weshalb eine berufliche Betroffenheit an sich bestehe und warum die noch nicht abgeschlossenen berufsfördernden Maßnahmen einer Erhöhung nicht entgegenstünden. Der Kläger hatte jedoch, wie im Tatbestand des Urteils ausdrücklich festgehalten ist, geltend gemacht, die MdE sei, solange die berufsfördernden Maßnahmen nicht durchgeführt sind, mit 20 v. H. höher zu bewerten. Wenn sich das LSG mit dieser entscheidungserheblichen Frage nicht befaßt und auch mit keinem Wort das Schreiben des Arbeitsamts Bremen vom 7. März 1962, wonach dem Kläger gewerbliche Arbeiten überhaupt nicht mehr zuzumuten sind, gewürdigt hat, so ist hierin ebenfalls ein Verstoß gegen § 128 SGG zu erblicken.
Die Revision des Klägers ist auf Grund dieser Verfahrensverstöße auch begründet, weil nicht auszuschließen ist, daß das LSG bei verfahrensrechtlich einwandfreier Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Das LSG-Urteil war daher aufzuheben, ohne daß noch geprüft zu werden brauchte, ob auch die weiteren Verfahrensrügen durchgreifen. Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen in der Sache nicht selbst entscheiden konnte, war die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung unter Umständen auch zu erwägen haben, ob der von ihm angenommene Wegfall des Herzmuskelschadens ausreichte, um die MdE von 70 v. H. auf 30 v. H. zu ermäßigen, nachdem 1952 im Vergleich vor dem Oberversicherungsamt die damalige MdE von 50 v. H. wegen der Herzmuskelschädigung nicht um 40 v. H., sondern nur um 20 v. H. (auf 70 v. H.) erhöht worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen