Verfahrensgang
Tenor
- Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 2004 – NotZ 6/04 –, der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. April 2003 – 1 Not 10/02 – und die Verfügung des Präsidenten des Landgerichts Darmstadt vom 28. August 2002 – Ic J 20 (SH 6) – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Bundesgerichthofs wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
- Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das an einen Notar gerichtete Verbot, sich in ein Telefonbuch eintragen zu lassen, das seinen Amtssitz nicht einschließt.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und Notar mit Amtssitz an der Grenze eines Oberlandesgerichtsbezirks. Er ließ in dem Telefonbuch einer benachbarten Großstadt seinen Namen, seine Anschrift und seine Telefonnummer mit dem Hinweis auf seine Stellung als Notar veröffentlichen. Die Großstadt gehört zu dem angrenzenden Oberlandesgerichtsbezirk, das dortige Telefonbuch schließt den Amtssitz des Beschwerdeführers nicht ein.
2. Der Präsident des Landgerichts untersagte dem Beschwerdeführer im Wege der Dienstaufsicht unter Berufung auf § 29 Abs. 1 BNotO die weitere Veröffentlichung des Telefonanschlusses. Eintragungen im Telefonbuch hätten grundsätzlich ortsbezogen zu erfolgen, also dort, wo sich der Amtssitz des Notars befinde. Das Oberlandesgericht wies den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung zurück.
Beim Bundesgerichtshof blieb die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ohne Erfolg. Der Eintrag des Beschwerdeführers in dem Telefonbuch stelle eine unzulässige Werbemaßnahme dar. Rechtsgrundlage für die Untersagung sei § 29 Abs. 1 BNotO. Danach habe der Notar jedes gewerbliche Verhalten, insbesondere eine dem öffentlichen Amt widersprechende Werbung zu unterlassen. Zwar könne ein schlichter Telefonbucheintrag allein wegen seines Inhalts nicht als amtswidrige Werbung verstanden werden. Die rechtliche Ausgestaltung des Notaramtes verleihe einem solchen Eintrag unzulässigen Werbungscharakter aber dann, wenn er in einem Telefonbuch vorgenommen werde, das nicht zumindest auch für den Amtssitz des Notars ausgegeben sei.
Dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit, eine angemessene und gleichmäßige Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen sicherzustellen und hieran gemäß § 4 BNotO die Zahl der zu bestellenden Notare auszurichten, könne nicht hinreichend Rechnung getragen werden, wenn die grundsätzliche Ortsbezogenheit des Notaramtes nicht beachtet werde. Dies sei auch dann der Fall, wenn der Notar Maßnahmen ergreife, durch die er ausschließlich solche potentiellen Rechtsuchenden auf seine notarielle Tätigkeit hinweise, die außerhalb seines Amtsbereichs oder gar seines Amtsbezirks ansässig seien. Dadurch werde die Gleichmäßigkeit des Urkundenaufkommens gefährdet, die Voraussetzung für die flächendeckende Existenz leistungsfähiger Notariate mit ausreichendem Gebührenaufkommen sei.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Ein Werbeverbot müsse auch bei Notaren dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Es sei nicht einmal ansatzweise rational nachvollziehbar, dass die notarielle Berufsausübung durch amtsbezirksübergreifendes Erscheinen der Publikation gefährdet werden solle. Die meisten Werbeformen, so die Zeitungswerbung und die Werbung im Internet, seien ohnehin nicht auf notarielle Amtsbezirke beschränkt oder beschränkbar.
4. In ihren Stellungnahmen halten das für den Amtssitz des Beschwerdeführers zuständige Hessische Ministerium für Justiz, die für ihn zuständige Notarkammer Frankfurt am Main, die Bundesnotarkammer sowie der Deutsche Notarverein die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein halten die Verfassungsbeschwerde für begründet.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das an den Beschwerdeführer gerichtete Verbot, seine Anschrift und Telefonnummer in einem nicht seinen Amtssitz einschließenden Telefonbuch zu veröffentlichen, verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG.
a) Art. 12 Abs. 1 GG gilt grundsätzlich auch für den Beschwerdeführer, der als Notar einen staatlich gebundenen Beruf ausübt (vgl. BVerfGE 73, 280 ≪292≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats, NJW 2005, S. 1483). Das Grundrecht schützt auch die berufliche Außendarstellung des Grundrechtsträgers einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme seiner Dienste (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪256≫; 94, 372 ≪389≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats, NJW 2005, S. 1483). Durch das an den Beschwerdeführer gerichtete Verbot wird mithin in seine durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit eingegriffen.
b) Dieser Eingriff bedarf nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt. Es kann hier dahinstehen, ob sich aus der Bundesnotarordnung überhaupt eine Ermächtigung zum Erlass von Untersagungsverfügungen im Wege der Dienstaufsicht ableiten lässt. Jedenfalls bietet § 29 Abs. 1 BNotO – über den auch die Berufsrichtlinien der zuständigen Notarkammer nicht hinausgehen können – bei verfassungsorientierter Auslegung keine hinreichende materielle gesetzliche Grundlage für das ausgesprochene Verbot.
§ 29 Abs. 1 BNotO untersagt allein die dem öffentlichen Amt des Notars widersprechende Werbung. Gerechtfertigt ist dieses Verbot als flankierende Maßnahme zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Berufsausübung der Notare (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats, NJW 2005, S. 1483 ≪1484≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1997, S. 2510 ≪2511≫). Amtswidrig ist deswegen eine Werbung nur dann, wenn sie die ordnungsgemäße Berufsausübung des Notars in Frage stellt. Auf die Veröffentlichung der Telefonnummer eines Notars in einem seinen Amtssitz nicht einschließenden Telefonbuch trifft dies jedoch nicht zu.
aa) Es kann nicht unterstellt werden, diese Art der Information signalisiere die Bereitschaft des Notars, unter Verletzung seiner Amtspflichten Urkundstätigkeit außerhalb seines Amtsbereichs oder Amtsbezirks auszuüben (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats, NJW 2005, S. 1483 ≪1484≫). Sofern er aber die Grenzen seines Amtsbereichs oder Amtsbezirks nicht überschreitet, ist es dem Notar nicht untersagt, notarielle Leistungen für Rechtsuchende zu erbringen, die außerhalb seines Amtsbereichs oder Amtsbezirks ansässig sind.
bb) Die ordnungsgemäße Berufsausübung des Notars unterliegt auch im Hinblick auf die Ortsbezogenheit der notariellen Tätigkeit unter Berücksichtigung des § 4 BNotO keiner Gefährdung.
Aus § 4 BNotO lässt sich auch keine Rücksichtnahmepflicht des Notars auf die Belange der Justizverwaltung ableiten, die ihn daran hindern könnte, sich um auswärtige Rechtsuchende zu bemühen. § 4 BNotO richtet sich an die Justizverwaltung, die im Rahmen des ihr Möglichen für eine angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen Sorge zu tragen hat. Die Pflichten des Notars hinsichtlich der Ortsbezogenheit seiner Tätigkeit sind in den §§ 10a, 11 BNotO geregelt. Hiernach ist dem Notar Urkundstätigkeit außerhalb seines Amtsbereichs oder Amtsbezirks grundsätzlich untersagt. Weitergehende – ungeschriebene – Rücksichtnahmepflichten bestehen in dieser Hinsicht nicht.
Im Gegenteil ließen sich solche Pflichten damit nicht vereinbaren, dass Notaren Einträge in allgemein zugängliche, überörtlich verwendete Verzeichnisse gestattet sind (allgemeine Meinung; vgl. § 29 Abs. 3 Satz 2 BNotO für Anwaltsnotare in überörtlichen Sozietäten und generell Ziff. VII Nr. 3 der Richtlinienempfehlungen der Bundesnotarkammer; Eylmann, in: Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 2. Aufl. 2004, § 29 BNotO Rn. 5). Von solchen Verzeichnissen geht eine Werbewirkung auf auswärtige Rechtsuchende aus, die ebenfalls die angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen erschweren kann. Für diese Folge ist es nicht entscheidend, ob die Verzeichnisse den Amtssitz des Notars einschließen.
Schließlich lassen auch die Gesetzesmaterialien keine Absicht des Gesetzgebers erkennen, die Notare über den Gesetzeswortlaut hinaus zur Rücksichtnahme verpflichten zu wollen. Zwar heißt es dort, eine zielgerichtete Verlagerung notarieller Amtsgeschäfte könne im Interesse einer geordneten Rechtspflege nicht hingenommen werden (BTDrucks 13/4184, S. 28). Dies bezieht sich jedoch auf § 29 Abs. 3 Satz 1 BNotO, also nicht auf eine allgemeine ungeschriebene Pflicht, sondern eine die Notare konkret verpflichtende Norm. Unabhängig von der teilweisen Nichtigkeit dieser Norm (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats, NJW 2005, S. 1483) spricht auch die Regelung dieses einen Spezialfalles dafür, dass der Gesetzgeber im Übrigen keine allgemeine Rücksichtnahmepflicht vorgesehen hat.
2. Hiernach ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache selbst ist an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1459746 |
NJW 2006, 359 |
DNotZ 2006, 226 |
ZNotP 2006, 36 |
BRAK-Mitt. 2006, 31 |