Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 04.11.2020; Aktenzeichen 10 LB 207/19) |
VG Osnabrück (Entscheidung vom 22.03.2018; Aktenzeichen 4 A 189/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. November 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 11 753,70 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
1. Der Kläger begehrt die Gewährung von Beihilfen nach dem Milchreduktionsprogramm der Europäischen Union für den Reduktionszeitraum vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Dezember 2016.
Rz. 2
Der Kläger war mit einem Anteil von 95 % Gesellschafter der N. GbR, die im Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem (InVeKoS) unter der Betriebsnummer xxx geführt wurde. Mit einem Anteil von 5 % war seine geschiedene Ehefrau Mitgesellschafterin dieser Gesellschaft. Die N. GbR lieferte im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2015 insgesamt 167 911 kg Milch an die Firma D. GmbH in D. Am 20. November 2015 übertrug die Mitgesellschafterin ihren Anteil an der N. GbR mit Wirkung vom 30. April 2016 auf den Kläger als einzigen verbliebenen Gesellschafter. Im Juli 2016 lieferte der Kläger als Einzelunternehmer 20 085 kg Milch an die genannte Firma. Die Milchgeldabrechnung wurde auf die N. GbR ausgestellt.
Rz. 3
Unter dem 15. September 2016 beantragte der Kläger unter der ihm zwischenzeitlich als Einzelunternehmer zugewiesenen Betriebsnummer yyy eine Beihilfe zur (beabsichtigten) Verringerung der Milcherzeugung nach der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 der Kommission vom 8. September 2016 zur Gewährung einer Beihilfe zur Verringerung der Milcherzeugung (ABl. L 242, S. 4) - Delegierte Verordnung (EU) 2016/1612 -. Hierfür legte er Milchgeldabrechnungen für den Monat Juli 2016 sowie den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2015 bei, die alle auf die N. GbR ausgestellt waren. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2016 lehnte die Beklagte die beantragte Beihilfe ab, da beihilfeberechtigt nur ein Antragsteller sei, der im Bezugszeitraum Oktober bis Dezember 2015 sowie im Juli 2016 auf seinen Namen Milch an einen Erstverkäufer geliefert habe. Der Kläger könne eine solche Lieferung für den Bezugszeitraum Oktober bis Dezember 2015 und/oder Juli 2016 nicht nachweisen.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage als unbegründet abgewiesen, da dem Kläger die Milchlieferungen im Bezugszeitraum von Oktober bis Dezember 2015 nicht zugerechnet werden könnten. Das Oberverwaltungsgericht hat die von ihm zugelassene Berufung, nachdem es zunächst eine stattgebende Entscheidung nach § 130a VwGO in Aussicht gestellt hatte, aufgrund mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. Es fehle bereits an einem zulässigen und plausiblen Antrag, der Voraussetzung für die Genehmigung der Beihilfe nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 sei. Die vorgelegten Nachweise passten nicht zu den aus der Betriebsnummer des Klägers im Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem als Einzelunternehmer abgeleiteten Antragsdaten. Der Kläger habe als Rechtsnachfolger der N. GbR auch materiell keinen Anspruch auf die Genehmigung seines Beihilfeantrags nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612. Er sei als Einzelunternehmer nicht dieselbe (juristische) Person, die im Bezugszeitraum Oktober 2015 bis Dezember 2015 Kuhmilch geliefert habe. Dies sei vielmehr die N. GbR gewesen.
Rz. 5
2. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) sowie einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat seine Annahme, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Genehmigung seines Beihilfeantrags nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612, auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt. Es hat zum einen angenommen, es fehle bereits an einem zulässigen und plausiblen Antrag, der Voraussetzung für die Genehmigung nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 sei (UA S. 10 ff., unter 1.). Zum anderen hat es darauf abgestellt, der Kläger habe als Rechtsnachfolger der N. GbR auch materiell keinen Anspruch auf die Genehmigung seines Beihilfeantrags nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 (UA S. 13 ff., unter 2.). Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser tragenden Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. November 2018 - 3 B 16.17 - ZOV 2019, 34 und vom 25. Juni 2021 - 3 B 1.21 - juris Rn. 7 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Gegen die erste Begründung, der Beihilfeantrag sei unzulässig, weil er (auch) keine Nachweise im Sinne von Art. 2 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Buchst. a Ziffer ii, Buchst. c der Delegierten Verordnung (EU) 2016/2012 enthalte, macht der Kläger keinen durchgreifenden Zulassungsgrund geltend.
Rz. 7
a) Der gerügte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 8
Der Kläger sieht in dem angegriffenen Urteil eine Überraschungsentscheidung, weil er nach dem Verlauf des berufungsgerichtlichen Verfahrens nicht habe damit rechnen können, dass das Oberverwaltungsgericht auf eine Unzulässigkeit des Beihilfeantrags abstellen, den Gesichtspunkt der Beschleunigung und Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens für wesentlich halten und einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz durch unterschiedliche Behandlung der Rechtsnachfolge verneinen würde. Nach dem Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 10. Oktober 2019 sowie der Mitteilung vom 29. Mai 2020 über die beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss gemäß § 130a Satz 1 VwGO habe er davon ausgehen können, dass das Berufungsgericht der Auffassung sei, es bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Genehmigung des Beihilfeantrags. Das Ladungsschreiben vom 8. Juli 2020 mit dem Hinweis, über die Sache solle in der anberaumten mündlichen Verhandlung am 4. November 2020 ergebnisoffen verhandelt werden, habe er nicht dahin verstehen können, dass der Senat an der bisher zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung nicht mehr festhalten wolle. Auch in der mündlichen Verhandlung sei ein solcher Hinweis nicht erfolgt. Mit diesem Vorbringen zeigt der Kläger keinen Verstoß gegen die Vorschriften über die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und über die gerichtliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) auf.
Rz. 9
Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich dann als unzulässiges "Überraschungsurteil" dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 2001 - 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f. und vom 2. März 2010 - 6 B 72.09 - NVwZ 2010, 845 Rn. 14 jeweils m.w.N.). So liegt es hier nicht.
Rz. 10
Das Berufungsgericht hat in seiner Verfügung vom 8. Juli 2020, mit der die Beteiligten zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 4. November 2020 geladen worden sind, darauf hingewiesen, dass "der Senat an seiner Absicht, die Sache durch Beschluss gemäß § 130a Satz 1 VwGO entsprechend dem Inhalt des Zulassungsbeschlusses vom 10. Oktober 2019 zu entscheiden, nicht mehr festhält. Die Sache soll am 4. November 2020 ergebnisoffen verhandelt und durch Urteil entschieden werden". Mit Schreiben vom 30. Oktober 2020 hat das Gericht diesen Hinweis wiederholt. Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 4. November 2020 ist die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert worden. Gegenstand der Erörterung waren dabei auch das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 sowie die "Frage eines Anspruchs aus der Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes".
Rz. 11
Danach musste der anwaltlich vertretene Kläger damit rechnen, dass das Berufungsgericht abweichend von der im Zulassungsbeschluss und im Schreiben vom 29. Mai 2020 zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung entscheiden könnte. Soweit der Kläger beanstandet, das Berufungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung nicht darauf hingewiesen, dass "es an seiner ursprünglichen Rechtsauffassung nicht mehr festhält, sondern die Rechtsfrage genau umgekehrt beantworten möchte", zeigt er auch mit diesem Vorbringen keinen Verfahrensfehler auf. Das Gericht ist nicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 2 B 26.19 - juris Rn. 34 ff. m.w.N.).
Rz. 12
b) Soweit der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bezeichnet,
ob ein Milcherzeuger Anspruch auf eine Beihilfe nach der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 der Kommission hat, wenn zwischen dem Bezugszeitraum und dem Verringerungszeitraum gemäß Art. 1 Abs. 1 eine Rechtsnachfolge in Bezug auf den Milcherzeugungsbetrieb eingetreten ist,
ergibt sich daraus kein durchgreifender Zulassungsgrund hinsichtlich der Begründung des Berufungsgerichts, der Beihilfeantrag sei wegen Nichterfüllung der Anforderungen des Art. 2 Abs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 unzulässig.
Rz. 13
aa) Der Kläger erläutert die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage damit, das Problem der Rechtsnachfolge sei in dem kurzen Normsetzungsverfahren im September 2016 nicht bedacht worden. Die dadurch entstandene Lücke sei durch eine analoge Anwendung des Art. 14 Nr. 2 Unterabs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. L 181 S. 1) zu schließen. Die Nichteinbeziehung von Rechtsnachfolgern in den Anwendungsbereich der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 verstoße gegen den Gleichheitssatz. Die Rechtsfrage sei dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Rz. 14
Danach greift der Kläger mit der Rechtsfrage die Begründung des Berufungsgerichts an, er habe als Rechtsnachfolger der N. GbR auch materiell keinen Anspruch auf die Genehmigung seines Beihilfeantrags. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf zu der vom Berufungsgericht angenommenen Unzulässigkeit des Beihilfeantrags lässt sich diesem Vorbringen nicht entnehmen.
Rz. 15
Das gilt auch für den Vortrag des Klägers unter "2. Klärungsfähigkeit" der Beschwerdebegründung (S. 4 f.). Er macht geltend, das Argument, die dem Antrag beigefügten Nachweise über die Milchlieferungen im Bezugszeitraum seien auf die N. GbR und nicht auf den Kläger bezogen gewesen, könne im Fall der entsprechenden Anwendbarkeit der Regelung des Art. 14 der Verordnung (EU) Nr. 639/2014 nicht durchdringen. Für einen Rechtsnachfolger sei es unmöglich, Belege darüber vorzulegen, dass er selbst im Bezugszeitraum Milch an Erstverkäufer geliefert habe. Daher müssten die auf den vorherigen Betriebsinhaber bezogenen Nachweise ausreichen. Im Übrigen habe das Berufungsgericht völlig überzogene formelle Anforderungen aufgestellt. Dass die N. GbR nicht mehr existiere und er der alleinige Rechtsnachfolger gewesen sei, habe er bereits bei der Antragstellung dem Sachbearbeiter mündlich mitgeteilt. Jedenfalls im Rahmen einer Anhörung hätte geklärt werden können, dass er im Juli 2016 Rechtsnachfolger der N. GbR gewesen sei und die vorgelegte Milchgeldabrechnung daher an ihn gerichtet gewesen sei.
Rz. 16
Mit diesem Vorbringen legt der Kläger nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass und welchen grundsätzlichen Klärungsbedarf der Streitfall in Bezug auf die Anforderungen an die Zulässigkeit des Beihilfeantrags gemäß Art. 2 Abs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 aufwirft. Es fehlt insoweit bereits an der Formulierung einer bestimmten, fallübergreifenden Rechtsfrage. Zudem hat das Berufungsgericht angenommen, dass, selbst wenn ein (Gesamt-)Rechtsnachfolger unter Berücksichtigung der Milchlieferungen seiner Rechtsvorgängerin die Beihilfe beantragen könnte, sich der Umstand der Rechtsnachfolge aus dem Antrag des Klägers nicht ergebe und damit für die Beklagte nicht erkennbar gewesen sei. Dem Antragsteller sei aber nach Art. 2 Abs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 aufgegeben, einen Beihilfeantrag einzureichen, dessen Angaben und beizufügenden Nachweise von vornherein vollständig und richtig sind. Etwaige Sachverhaltsermittlungen und Nachforderungen durch die Genehmigungsbehörde seien nach den Verordnungsbestimmungen nicht vorgesehen und von der Behörde auch sonst nicht zu verlangen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass es sich bei dem Milchreduktionsprogramm um ein Massenantragsverfahren handele und der Genehmigungsbehörde gemäß Art. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 nach Ablauf der Antragsfrist nur ein enger Zeitkorridor von knapp drei Arbeitstagen verbleibe, um der Kommission nach Vornahme einer Plausibilitäts- und Zulässigkeitsprüfung alle zulässigen und plausiblen Beihilfeanträge zu melden. Das Beschwerdevorbringen setzt sich mit diesen Ausführungen weder auseinander noch arbeitet es einen darauf bezogenen grundsätzlichen Klärungsbedarf heraus.
Rz. 17
bb) Auch wenn man in den Ausführungen des Klägers zur Klärungsfähigkeit der bezeichneten Rechtsfrage (Beschwerdebegründung, S. 4 f.) eine sinngemäße Erstreckung der Grundsatzrüge auf das erste Begründungselement der Entscheidung des Berufungsgerichts erblicken wollte, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit der Milchgeldabrechnung für den Monat Juli 2016 eine von den Antragsdaten inhaltlich abweichende Unterlage vorgelegt, weil diese (unzutreffend) auf die N. GbR und nicht auf ihn als Einzelhandelskaufmann ausgestellt gewesen sei, und so die Frist des Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 Buchst. a der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 versäumt. Es ist nicht zweifelhaft, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Zulässigkeitsanforderungen von zutreffenden Annahmen ausgegangen ist.
Rz. 18
(1) Art. 2 Abs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 bestimmt die Anforderungen an einen zulässigen Beihilfeantrag. Hierfür sind nach Buchst. b i.V.m. Buchst. a Ziffer ii sowie Buchst. c auch Nachweise über die Gesamtmenge der im Bezugszeitraum an Erstverkäufer gelieferten Kuhmilch sowie Nachweise darüber erforderlich, dass sich der Antrag auf einen Milcherzeuger bezieht, der im Juli 2016 Kuhmilch an Erstverkäufer geliefert hat. Ermittlungen zur Identität des Milcherzeugers durch die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten und die Nachforderung entsprechender Unterlagen sind in der Verordnung weder vorgesehen noch aus anderen Gründen erforderlich. Art. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 gibt den Mitgliedstaaten einen Zeitraum von lediglich drei Arbeitstagen vor, um der Kommission nach einer Zulässigkeits- und Plausibilitätsprüfung alle zulässigen Anträge zu übermitteln. Bei dem Programm nach der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 handelt es sich um ein Massenantragsverfahren, in dem die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Rücksprachen oder interne Datenbankabgleiche vorzunehmen. Das im Bereich der Agrarbeihilfen auch im Sinne der Antragsteller zur Effizienzsteigerung eingeführte elektronische Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem setzt voraus, dass die vom Beihilfeantragsteller beizubringenden Informationen von vornherein vollständig und richtig sind, so dass sein Antrag auf Ausgleichszahlungen ordnungsgemäß ist und er Sanktionen vermeidet (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - C-63/00 [ECLI:EU:C:2002:296], Schilling u.a. - Rn. 34).
Rz. 19
(2) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass Nachweise nicht mehr nachgereicht werden könnten, weil die maßgebliche Frist des Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 Buchst. a der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 am 21. September 2016 verstrichen sei, führt nicht auf eine in der Revision klärungsbedürftige Frage. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 1 NVwVfG i.V.m. § 32 Abs. 5 VwVfG ausscheidet, weil die in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 Buchst. a der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 geregelte Frist eine Ausschlussfrist sei. Die Voraussetzungen einer Ausschlussfrist i.S.d. § 32 Abs. 5 VwVfG sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Hierfür ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung ein verspäteter Antragsteller materiell-rechtlich endgültig seine Anspruchsberechtigung verlieren soll. Das Fachrecht muss jedoch einen hinreichenden Anhalt für die Annahme bieten, der Gesetzgeber habe dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Frist gegenüber dem Interesse des Bürgers an deren nachträglicher Wiedereröffnung auch bei unverschuldeter Fristversäumnis schlechthin den Vorrang eingeräumt und deswegen die Wiedereinsetzung generell versagt (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2020 - 5 C 1.20 - BVerwGE 169, 54 Rn. 14; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 - 12 RK 22/87 - BSGE 64, 153 ≪156 f.≫, jeweils m.w.N.). Das ist hier der Fall.
Rz. 20
Die Delegierte Verordnung (EU) 2016/1612 legt in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 vier Stichtage für die Einreichung der vollständigen Anträge fest. Sie wurde, wie sich aus ihren Erwägungsgründen ergibt, als kurzfristige Maßnahme der Krisenintervention erlassen. Zu diesem Zweck ist das gesamte Verfahren strikt formal organisiert und an kurze Fristen gebunden. Nach Erwägungsgrund 8 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 war eine Krisenintervention anlässlich des Milchpreisverfalls in einem begrenzten Zeitraum bezweckt ("derzeitige problematische Marktlage"). Der Verordnungsgeber zielte auf die möglichst rasche Verringerung der im Zeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 auf den Markt gelangenden Kuhmilchmengen. Das ergibt sich schon daraus, dass die Verordnung am 8. September 2016 erlassen wurde, der erste Stichtag für die Einreichung der vollständigen Anträge aber bereits der 21. September 2016, 12:00 Uhr (Ortszeit Brüssel) war. Aus Erwägungsgrund 10 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 folgt, dass der Zeitraum Juli 2016 für die Bestimmung der beihilfefähigen Antragsteller gemäß Art. 1 Abs. 2 festgelegt worden ist, weil dieser zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung der aktuellste Zeitraum war, für den Antragsteller Kuhmilchlieferungen nachweisen konnten. Auch das belegt, dass die Verordnung auf einen möglichst raschen Eingriff in den Markt ausgerichtet war.
Rz. 21
Um diesen Zweck zu erreichen, enthält die Verordnung klare und abschließende Vorgaben zu den Voraussetzungen für die Gewährung der Beihilfe und legt entsprechend in Art. 1 Abs. 1 fest, dass sie "unter den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen" gewährt wird. Um dem Ziel einer raschen Marktstabilisierung gerecht zu werden, gibt die Verordnung sowohl für die Antragsteller als auch für die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten jeweils knapp bemessene Verfahrensfristen vor. Die Anforderungen an einen zulässigen Antrag sind in Art. 2 Abs. 2 und 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 im Einzelnen geregelt. Alle zulässigen und plausiblen Beihilfeanträge waren bis um 16:00 Uhr (Ortszeit Brüssel) am dritten Arbeitstag nach den in Art. 2 Abs. 2 festgelegten Stichtagen für die Einreichung von Anträgen (21. September 2016, 12. Oktober 2016, 9. November 2016, 7. Dezember 2016, jeweils 12:00 Uhr, Ortszeit Brüssel) von den Mitgliedstaaten an die Kommission zu melden. Diese kurze Meldefrist schloss Nachfragen und eigene Ermittlungen der zuständigen Behörden aus. Demgemäß verlangt Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1612 ausdrücklich die Einreichung eines "vollständigen Antrags". Hervorzuheben ist außerdem, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 3 lediglich eine Plausibilitäts- und Zulässigkeitsprüfung der Anträge vorzunehmen und sie die Antragsteller nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 innerhalb von sieben Arbeitstagen nach dem jeweiligen Stichtag für die Einreichung der Anträge über die Genehmigungen zu informieren hatten. Gegebenenfalls wurde nach Art. 4 Abs. 2 ein Zuteilungskoeffizient ermittelt, was ebenfalls nahelegt, dass nach dem Stichtag eingehende Anträge nicht berücksichtigt werden sollten, um den Zweck der Stützungsregelung gefährdende Nach- und Neuberechnungen auszuschließen. Auf den binnen 45 Tagen nach Ablauf des Verringerungszeitraums bei dem Mitgliedstaat einzureichenden Zahlungsantrag (Art. 5 Abs. 2) hatte die Zahlung spätestens am 90. Tag nach Ablauf des Verringerungszeitraums zu erfolgen, es sei denn, es wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet (Art. 5 Abs. 4 Satz 2). Das gesamte Verfahren war demnach - insbesondere auf der ersten Stufe, auf der die Entscheidung über die Genehmigung nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 zu treffen war - auf eine möglichst rasche, formalisierte Prüfung der Zahlungsvoraussetzungen angelegt.
Rz. 22
(3) Angesichts dieses klaren Befundes bedürfte es auch nicht der Revisionszulassung, um gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union herbeizuführen (vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 [ECLI:EU:C:1982:335], C.I.L.F.I.T. u.a. - Rn. 21 und vom 6. Oktober 2021 - C-561/19 [ECLI:EU:C:2021:799], Consorzio Italian Management u.a. - Rn. 39 ff., 51). Es kann daher offenbleiben, ob der grundsätzliche Ausschluss des Zulassungsgrundes aus § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO für in absehbarer Zeit außer Kraft tretendes Recht (sog. auslaufendes Recht) auch bei Normen des Unionsrechts Anwendung finden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2019 - 3 B 2.19 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 36 Rn. 11 ff. m.w.N.). Eine solche Konstellation liegt hier vor, denn die Delegierte Verordnung (EU) 2016/1612 ist zwar noch in Kraft, das Programm zur Milchmengenreduzierung aber - wie auch der Kläger in seiner Beschwerdebegründungschrift feststellt (S. 3) - mittlerweile beendet.
Rz. 23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15080431 |