Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 63
Soweit eine Diskrepanz zwischen dem wahren Willen des Erblassers und dem in der Verfügung von Todes wegen zum Ausdruck gekommenen Willen durch Auslegung nicht beseitigt werden kann, kann die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung möglicherweise durch Anfechtung beseitigt werden. Anfechtbar ist dabei nicht das gesamte Testament, sondern nur die einzelne letztwillige Verfügung. Die Anfechtung beseitigt Verfügungen, die nicht dem wahren Willen des Erblassers entsprechen oder auf einem Motivirrtum beruhen.
Rz. 64
Zur Anfechtung berechtigt ist gem. § 2080 Abs. 1 BGB jeder, welchem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zugutekommt, d.h. derjenige, der durch die Aufhebung der angefochtenen Verfügung einen rechtlichen Vorteil erlangt. Bei wechselbezüglichen oder vertraglichen Verfügungen, die den Erblasser schon zu Lebzeiten binden, ermöglicht § 2281 Abs. 1 BGB, der auf das gemeinschaftliche Testament analog angewendet wird, die ansonsten nicht vorgesehene Anfechtung auch durch den Erblasser.
Rz. 65
Anfechtungsgründe sind der Inhaltsirrtum (unzutreffende Vorstellung über die Bedeutung der Erklärung) und der Erklärungsirrtum (Fehler in der Erklärungshandlung, z.B. Verschreiben). Nach § 2078 Abs. 2 Fall 1 BGB berechtigt auch jeder Motivirrtum zur Anfechtung. Die Anfechtung ist bei solchen Umständen begründet, die den Erblasser bei Kenntnis mit Sicherheit dazu veranlasst hätten, anders zu testieren. Zur Anfechtung berechtigt es auch, wenn der Erblasser durch widerrechtliche Drohung zu der Verfügung bewegt wurde (§ 2078 Abs. 2 Fall 2 BGB). Ein besonderer Fall des Motivirrtums ist schließlich in § 2079 BGB geregelt. Danach kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist.
Rz. 66
Soweit eine Erbeinsetzung, eine Enterbung oder die Ernennung eines Testamentsvollstreckers sowie eine Auflage angefochten werden soll, ist die Anfechtungserklärung gegenüber dem Nachlassgericht abzugeben (§ 2081 BGB). Hinsichtlich Vermächtnissen und Teilungsanordnungen enthält das Gesetz keine Regelung. Hier muss die Verfügung gemäß der allgemeinen Bestimmung des § 143 Abs. 4 S. 1 BGB durch formlose Erklärung gegenüber demjenigen angefochten werden, der durch die angefochtene Verfügung unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt. Die Anfechtung kann nur innerhalb eines Jahres vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund erfolgen (§ 2082 BGB).